Textatelier
BLOG vom: 13.05.2016

Schweizer Bildungsgeschichte einmal anders

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Zur Zusammenfassung eines Referates vor dem Rotary-Club Wynental-Surental in der Gaststätte Rütihof in Gränichen im Mai 2016

Ausgehend von seinem Buch über die tausendjährige Geschichte der ehemaligen Stiftsschule von Beromünster, Schola Beronensis, erhältlich u.a. in der Wynabuchhandlung Reinach, erläuterte der Referent, dass Beromünster einst zum Aargau gehörte, als Mausoleumsort der Landgrafen von Lenzburg. Die Schulen von Beromünster, Muri, Zofingen seien die ältesten im alten Aargau. Unterhalten wurde die Schule von Beromünster aus dem Schweinezehnten, der z.B. aus Küttigen, Kirchberg, Hägglingen usw. eingetrieben wurde, weswegen die Stiftsschule Beromünster bis nach 1815 mit einer Metzgerei verbunden war. Als Beginn der Metzgete galt jeweils der 16. Oktober (Tag des heiligen Gallus); Beginn des Schuljahres war jahrhundertelang der Lukastag, 18. Oktober. Für die in Kosthäusern untergebrachten auswärtigen Schüler galt dafür – von wegen Heimweh – das Sprichwort: „Lukas macht die Augen nass.“

Beromünsters Traditionsschule wurde 1866 zu einer kantonalen Schule umgewandelt, und zwar nach dem Modell der 1835 und 1865 konzipierten aargauischen Bezirksschule. Es handelte sich also um ein Untergymnasium. Verfasser der Lehrpläne (auch von Willisau und Sursee) war der einstige Rektor der Bezirksschule Baden, Hermann Zähringer (1823 – 1880), auch ein ausgezeichneter Mathematikhistoriker und zeitweilig Rektor des Realgymnasiums Luzern. Was das aargauische Schulwesen im 19. Jahrhundert betrifft, lag in mehrfacher Hinsicht eine Pionierleistung vor.

Die Kantonsschule Aarau, seit 1802, galt als ein Elitegymnasium nach dem Vorbild des Preussen Wilhelm von Humboldt, mit dem berühmten Rektor Rudolf Rauchenstein, aber auch durch Pionierleistungen u.a. auf dem Sektor Turnen. Es geht in der Geschichte dieser Schule nicht nur um Einstein, über den viele falsche Vorstellungen im Umlauf sind. Einstein war nämlich ein ausgezeichneter Schüler, musste aber wegen ungenügender Leistung im Französischen mal ein Jahr wiederholen – Einstein ist kein geeignetes „Vorbild“ für schwache Schüler! Aber beeindruckend: früher musste man überall genügend sein, vgl. noch heute die Ausbildung bei der Polizei, wie Herr Altpolizeikommandant Léon Borer in der Diskussion bestätigte.

Nach Pirmin Meier gab es im Kanton Aargau drei insgesamt national, zum Teil international hervorragende Schultypen, zu deren Entfaltung Kantonsvater Johann Daniel Heinrich Zschokke wesentlich beigetragen hat, aber auch Beromünsters Philosoph Ignaz Paul Vital Troxler, der Schöpfer oder Mitschöpfer des Begriffs Mittelschule. Der letztere Begriff war und ist eine Programm für Allgemeinbildung für das ganze Leben. Es geht also nicht bloss um einen „Durchlauf“ zwischen Volksschule und Universität. Allgemeinbildung als Basis zu ständiger Weiterbildung natürlich, nicht zuletzt aber mit Lektüre, mit Philosophie, mit Naturwissenschaften, wobei im 19. Jahrhundert die Landesvermessung eine grosse Rolle spielte.

Die drei vorbildlichen Schultypen im Kanton Aargau zur Zeit Zschokkes, Troxlers und Rauchenstein:

  1. Die Kantonsschule, zur Zeit der Kantonsgründung (1803) die fast einzige kantonale Institution, die jedoch erst 1813 Staatsanstalt wurde. Die andere kantonale Institution der Frühzeit war die Gebäudeversicherung.
  2. Der Aargauer Lehrverein, als private Alternative und Herausforderung für die Kantonsschule, genommen wurde, wer hervorragendes Interesse zeigte und eine einigermassen gute Vorbildung hatte, aber diese Privatschule lebte tatsächlich von der Motivation ihrer Schüler. Fast alle bedeutenden Liberalen und Reformer des Kantons Aargau waren zwischen 1819 und 1830 sogenannte „Lehrvereinler“. Das Beispiel ist deswegen wichtig, weil es eine Pionierleistung der Erwachsenenbildung war und ein Beispiel, dass, dank Zschokke und Troxler, die Eigeninitiative in der Bildung zu Pionierleistungen führen kann. Das wäre auch heute nicht ausgeschlossen.
  3. Der Referent rühmte die 1835 und 1865 geschaffene Aargauer Bezirksschule als eines der weltweit besten Progymnasien. Dies galt so lange, als dieser Schultypus über vorbildliche und ehrgeizige Lehrer verfügte, oftmals bedeutende Akademiker, die sich gesellschaftlich engagierten. Für den Aargauer Bezirkslehrer des 19. und 20. Jahrhunderts galt überdies: Er verfügte über einen beachtlichen Berufsstolz, der nicht auf Einbildung beruhte, sondern auf einer hochqualifizierten fachlichen Ausbildung, verbunden mit einem hohen Engagement auch als Klassenlehrer. Bezirkslehrer sein galt als eine Lebensaufgabe und war mit hohem Ansehen verbunden. Das Entscheidende an der Bezirksschule war die Dezentralisierung einer hohen und vielfach ausgezeichneten Bildung. Auf dieser Basis hat zum Beispiel dann der ehemalige Rektor der Bezirksschule Baden, Hermann Zähringer (1823 – 1880) im Kanton Luzern die Mittelschulen von Beromünster, Sursee und Willisau erneuert. Zu den Vorzügen der AG Bezirksschule gehörte u.a. auch, dass die Mädchen dort schon sehr früh gefördert wurden, wiewohl noch lange kaum in den naturwissenschaftlichen Fächern, aber doch immerhin in den Sprachfächern. Die Bezirksschule bleibt, von ihrer Bildungsgeschichte her, noch heute eine Herausforderung, wiewohl es nicht darum geht, die Vergangenheit gegen die Gegenwart auszuspielen. Entscheidend für Lehrqualität war u.a. die hervorragende Integration der Bezirkslehrer in die damalige gesellschaftliche Elite und ihr Engagement auch jeweils in der lokalen Kultur. Dass Geographie mit Landesvermessung verbunden war, ist nur ein Beispiel für den praktischen Sinn der Bezirksschule zu ihrer frühen Blütezeit.

Mein Buch über die Bildungsgeschichte nicht nur von Beromünster trägt den Titel „Schola Beronensis – Wege und Irrwege der Bildungsgeschichte“. Es zeigt auf, dass zu einer guten Gymnasialbildung nicht die Trennung zwischen Realgymnasium und Literargymnasium gehört, sondern das Bestreben nach einer ganzheitlichen Bildung. Die Kantonsschule Beromünster entwickelte sich schon vor längerer Zeit zum Gymnasium des oberen Wynentals. Bezirksschüler erwiesen sich sowohl im Kanton Luzern wie auch zum Beispiel in den Kantonen Baselland und Baselstadt oftmals als überdurchschnittlich gut vorgebildet. Bezeichnenderweise ist der Luzerner Kaspar Villiger aus Pfeffikon in Reinach in die Bezirksschule gegangen. Er erwies sich dann später aber als Förderer von Beromünster als Maturitätsschule, was im Buch „Schola Beronensis“ ebenfalls dargestellt ist. Vorläufer dieses Buches war das Opus des ehemaligen Aargauer Erziehungsratssekretärs Fritz Meier (1836 – 1992): „Sturmläuten für die Aargauer Schule“. Seinerzeit eine Gedenkschrift zum 150. Jahrestag des Aargauer Schulgesetzes von 1835, erschienen 1985/86. Als eine bedeutende Schulgeschichte aus den letzten Jahren sei noch erwähnt: „Junge Schule – Lange Geschichte“ von Beat Hodler, erschienen 2014 im Verlag Hier+Jetzt Baden. Ein weiterführender Beitrag zur Bildungsgeschichte des Kantons Aargau, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Frauengeschichte. „Schola Beronensis“ bringt in dieser Hinsicht die ausführliche Geschichte des ersten Mädchens an Beromünsters Mittelschule, dessen Schuleintritt noch über einen Mahnbrief einer Mutter an die Regierung erkämpft werden musste, und zwar im Jahre 1963. Höhere Bildung hatte, aus der Tradition zum Beispiel des 19. Jahrhunderts, sowohl im Kanton Aargau als auch im Kanton Luzern lange einen männerbündischen Charakter. Auf satirische Weise ist dies – mit Anwendung auf die Stadt Bern – auch noch im Jugendbuch „Mein Name ist Eugen“ (1958) von Klaus Schädelin dargestellt. Das 19. Jahrhundert dauerte mit seinen geistigen Implikationen insofern bis tief ins 20. Jahrhundert hinein.

 
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