Textatelier
BLOG vom: 17.05.2016

Romantischer Redner an die schweizerische Nation

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Beromünster LU/CH


Vorschau auf eine Tagung im ehemaligen Kloster St. Urban vom 19. Mai über den Schweizer Philosophen Ignaz Paul Vital Troxler, geboren am 17. August 1780 in Beromünster, verstorben am 6. März 1866 in Aarau.

Am 19. Mai, also am Donnerstag nach Pfingsten, werden im Kloster St. Urban, wo der jugendliche spätere Arzt und Philosoph seinerzeit bei seinem Oheim, Pater Gregor Troxler, wesentliche Anregungen empfing, Vorträge über den wohl bedeutendsten Schweizer Philosphen zur Zeit der Romantik und des entstehenden Bundesstaates gehalten. Zu den Referenten gehören der Rechtshistoriker Prof. Lukas Gschwend, Dr. René Roca, Leiter des Forschungsinistutes für direkte Demokratie (Oberrohrdorf-Staretschwil), der Medizinhistoriker Prof. Dr. Peter Heusser, der Basler Publizist Christoph Keller, die Philosophiedozentin Prof. Katrin Meyer sowie der Beiträger dieser Textatelier-Kolumne. Die Veranstaltung steht unter der Leitung des von Franz Lohri, Herausgeber eines empfehlenswerten Jubiläumsbuches, gegründeten Vereins Troxlergedenkjahr. Anmeldung sind noch bis zum Vortag der Veranstalung möglich, und zwar an die Adresse info@troxlergedenkjahr2016.ch.

In Fortsetzung des Beitrages vom 8. März 2016 geht es im Folgenden um Ignaz Paul Vital Troxler als Philosophen und Redner an die schweizerische Nation, freilich nicht mit dem Echo, wie es seinerzeit Johann Gottlieb Fichte, der Redner an die deutsche Nation erreichte. Ignaz Paul Vital Troxler war mit dem berühmten Fichte zwar bekannt, recht eigentlich befreundet jedoch mit dessen Sohn  Immanuel Hermann Fichte (1796 – 1879), der wie Troxler zu den Aussenseitern der deutschen idealistischen Philosophie gehören sollte. Sowohl Troxler als auch der jüngere Fichte wurden jedoch dann von der anthroposophischen Bewegung nachhaltig rezipiert, um nicht zu sagen beansprucht.

Am 27. Januar 1830 empfahl der Leitausschuss der Universität Basel, Kuratel genannt, die Berufung des Luzerner Arztes Ignaz Paul Vital Troxler zum Professor für Philosophie. Mit seinem bei Sauerländer in Aarau publizierten Hauptwerk „Metaphysik“ hatte er sich von damaligen Denkschemata wie „Subjekt/Objekt“ oder „Geist/Natur“ abgesetzt. Dem Materialismus der Franzosen eine Absage erteilt, ohne einem leibfeindlichen Spiritualismus zu verfallen. Statt nach Kant orientierte sich Troxler eher nach Franz Anton Mesmer (1734  - 1815), dem Theoretiker des Magnetismus, von dessen Errungenschaften einer „Nachtseite der Naturwissenschaft“ sich Troxlers Studienkollege Gotthilf Heinrich Schubert sowie Arthur Schopenhauer begeistert zeigten. Troxler vermisste bei Kants Vernunftphilosophie ein ausreichendes Verständnis für die menschliche Sinnlichkeit.

Die Gedankenentwürfe des 1780 in Beromünster geborenen Gelehrten waren eine schweizerische Antwort auf die damalige Philosophie der Zeit: so Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, den Troxler „meinen geliebten und mich liebenden Lehrer“ nannte; G.W. F. Hegel, zu dessen besten Schülern man ihn zählte; auch Johann Gottlieb Fichte, den Redner an die deutsche Nation. Dass Troxler auf das Sommersemester 1830 nach Basel berufen wurde, im Winter 1830/31 sogar zum Rektor, war für die Rheinstadt revolutionär. Doch sollte er – Arzt und Philosoph, – wie der Poltererer Theophrastus Paracelsus (1527/28) schon nach wenigen Monaten die Stadt am Rheinknie fluchtartig wieder verlassen müssen. Der Polemik war er in heiklen Situationen seinerseits nicht abgeneigt.
 
Die Berufung Troxlers war 1830 nicht als Massnahme zur Politisierung der Universität gemeint. Im Zentrum von Troxlers Denken stand der Begriff „Gemüt“. Gemeint war eine Art Synthese zu den Leitbegriffen Leib – Seele – Geist – Materie, woraus sich die romantischen und idealistischen Philosophen gemäss Troxler je ihr einseitiges Weltbild gezimmert hatten. 

Troxlers Engagement als politischer Philosoph galt fast ausschliesslich der Schweiz. Seien es das Verständnis der „aktiven Neutralität“, welchen Begriff er in Aarau prägte; das Asylrecht als „Blüte der Neutralität“, dazu ein spezifisches Engagement für Föderalismus, Volkswahl und möglichst direkte Demokratie. Nicht zur Freude des Basler Bürgermeisters Heinrich Wieland. Dieser hatte beim Wiener Kongress 1815 die Schweizer Delegation angeführt, mit dem Ziel sicherer Aussengrenzen des Staatenbundes, Neutralität gegen aussen und einer oligarchischen Ordnung im Innern. Letzteres lehnte Troxler entschieden ab, weswegen er in Wien – als selbsternannter Kongressteilnehmer – dem Preussen Wilhelm von Humboldt beizubringen suchte, die Gesandten der Schweizer Tagsatzung seien nicht repräsentativ. Die nachnapoleonischen Mächte waren – wie Metternichs Österreich -  zwar an einer Friedensordnung orientiert, aber durch und durch autoritär und monarchisch strukturiert. Ein solches Europa lehnte Troxler entschieden ab. Dies galt noch für das Frankreich von Napoleon III. vor 1870. Entgegen einem Präzedenzfall ausländischer Einmischung bekämpfte er - kurz vor seinem Tod in Aarau 1866 - den Handelsvertrag mit Frankreich. Gemäss der damaligen Propaganda stand dahinter der Einfluss der französischen und auch schweizerischen Juden. Gemäss der Verfassung von 1848 verfügten sie noch nicht über die vollen Bürgerrechte.

Der beim radikalliberalen Troxler und beim konservativen Luzerner Philipp Anton von Segesser feststellbare Antisemitismus blieb lange ein Element der Politik, wiewohl es Troxler beim Widerstand gegen ausländische Einmischung in kantonale und regionale Angelegenheit der Schweiz vor allem um die Anwaltschaft der damaligen Landbevölkerung ging. Zum Beispiel im Kanton Aargau und speziell im Bezirk Zurzach, wo die 1862 gescheiterte Einbürgerung der Juden im Surbtal das alte System der Ortsbürgergemeinden in Frage stellte. (Es wurden dann separate christliche und jüdische Gemeinden konstituiert, zum Teil mit hochumstrittenen Ausmessungen von je einem „christlichen“ und „jüdischen“ Gemeindebann. Die Emotionen gingen hoch.)

Was hat diese Geschichte mit Troxlers früherer Berufung an die Universität Basel zu tun? Der politische Philosoph befürwortete den Bundesstaat, bekämpfte aber eine noch bis ins 19. Jahrhundert nachwirkende Benachteiligung der Landbevölkerung. Beim Konflikt Baselland – Baselstadt (1832) schien ihm ein für einen Professor und Rektor gebotenes neutrales Verhalten unmöglich. Im Kanton Aargau, wo Troxler das Bürgerrecht der einstigen Bauernkriegs-Gemeinde Wohlenschwil erwarb, lagen seine Sympathien bei der aufmüpfigen Freiämter Bewegung. Dieselbe hatte 1830 in der Schweiz einen Verfassungsrat als vom Volk gewählte verfassungsgebende Versammlung mit Waffengewalt durchgesetzt. Einen solchen Verfassungsrat forderte Troxler 1833 für die Durchsetzung eines schweizerischen Bundesstaates. In seinem brillant formulierten Verfassungsentwurf postulierte er ein Zweikammersystem nach amerikanischem Vorbild. Sein Einfluss auf die Tagsatzung und die Verfassungskommission im Revolutionsjahr 1848 wird jedoch überschätzt. Doch hat sich der liberale Schwyzer Abgeordnete Melchior Diethelm bei der Schaffung des Ständerates auf das Gedankengut von Troxler berufen.

Zu den unerfüllten Postulaten Troxlers gehörte das über Jahrzehnte vertretene Konzept einer schweizerischen National-Universität. Diese hätte er gerne von Basel aus begründet, der ältesten, 1460 begründeten Hochschule. In Aarau, bei dem von seinem Weggefährten Heinrich Zschokke begründeten „Bürgerlichen Lehrverein“, kämpfte Troxler im Streit mit Kantonsschulrektor Rudolf Rauchenstein um eine „Mittelschule“, bei welcher Philosophie und Naturwissenschaften für die Orientierung massgeblich werden sollten. Für den Philosophen Ignaz Paul Vital Troxler, verstorben im Frühjahr 1866 in Aarau, war ein Hauptargument für den Bundesstaat die Orientierung der Schweiz nach dem Artikel 30 seines Verfassungsentwurfs von 1833: „Der Bund anerkennt die Herrschaft geistiger und sittlicher Ideen über materielle Interessen und Kräfte.“ Bildung sollte für den romantischen Idealisten der höchste Bundeszweck sein.

 
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