Textatelier
BLOG vom: 02.05.2017

Der Wille zur Macht - über Generationen hinweg: eine Politsatire

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Petra Fels wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Sie war hochschwanger, in wenigen Tagen soll die Niederkunft sein. Der Kleine in ihrem Bauch war schon seit Monaten sehr lebhaft gewesen. Es ist, als ob er regen Anteil am Leben seiner Mutter nimmt.
 
Petra war seit ein paar Jahren eine Person, die man "prominent" nennt. Mit ihr verbunden ist der Erfolg einer Partei, bei der es zunächst nicht so recht geklappt hatte, eine für einflussreiche Positionen in der Politik notwendige Mehrheit in der Bevölkerung zu finden. Seit Petra auf der Bühne erschien, wurde das anders. Sie sorgte dafür, dass das bisherige Führungsgremium zurücktrat, benannte neue Mitarbeiter und verlagerte die Ideologie der Partei in eine eindeutige Richtung.
 
Ihre Wahl zur Parteivorsitzenden wurde nicht nur von ihren Anhängern bejubelt, das Kind in ihrem Leib war so lebhaft, dass sie fühlte, das kann nur von einem Hochgefühl des Triumphes her rühren. Als wollte es ihr sagen: "Mach' weiter so Mama!".
 
Der Zeitpunkt ihres Auftretens war gut gewählt. Die politisch gewollten Neuerungen im Land stiessen nur bei einem Teil der Bevölkerung auf Zustimmung, ein anderer Teil, zwar in der Minderheit, aber nicht defensiv, wehrte sich. Petra gab diesem Teil eine politische Stimme.
 
Dabei war ihr bewusst, dass ein Grossteil dieser Protestierenden nur einen niedrigen Bildungsgrad vorweisen kann, der in einer immer mehr technologisierten Wirtschaft kaum noch Entfaltungs- oder Jobmöglichkeiten findet und ausserdem den Grund dieser eigenen persönlichen Misere in den gesellschaftlichen Verhältnissen sieht. Andere Sympathisanten haben einfach Angst vor Veränderungen in der Gesellschaft, so wie sie sie sich vorstellen und deshalb den Kurs der etablierten politischen Kräfte als schädlich ansehen. Wieder andere wollen die bisher geltenden Normen, so wie sie meinten, sich in ihnen wohl fühlen zu können, hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenlebens, religiöser Zugehörigkeit, Ablehnung des Fremden, wieder stärker im Fokus sehen, sind also der Meinung, das Rad zurückdrehen zu können, weg von der differenzierten und komplizierten, unübersichtlichen, unverständlichen Realität des Lebens zurück zu früheren Lebensformen, die in der Erinnerung als wohltuend, problemlos und einfach eingeschätzt werden, weil jedes Mitglied der Gesellschaft die ihm zugetane Rolle im Leben einnimmt. Sie wollen sich nicht mit der Kompliziertheit arrangieren, sondern sind der Meinung, dass es für schwierige Verhältnisse durchaus einfache Lösungen gibt, die man nur finden und definieren muss.
 
Eine Vollblutpolitikerin mit dem Drang zur Macht wie Petra konnte gar nicht anders, als hier ihre Chance zu sehen. Die Anfangserfolge gaben ihr Recht. Und ihr Ungeborenes ebenso. Sein Trommeln gegen die Bauchdecke der Mutter empfand sie als Beifall und Zustimmung, als Bejahung und Ansporn, auf diesem Wege voranzugehen.
 
Rückschläge liess das Ungeborene nicht zu, es verhielt sich so unruhig, fast aufrührerisch, so dass bei der Mutter die trotzige Reaktion entstand, gerade jetzt sei es wichtig, ihre Position mit aller Macht zu vertreten und geschickt Mitstreiter zu überzeugen, sich dieser anzuschliessen.
 
Die Akzeptanz ähnlicher politischer Gruppierungen im Ausland, vor allem in den Niederlanden und in Frankreich, gaben ihr Mut und Aufwind.
 
Mit ihrem Ungeborenen verliess sie nie das Gefühl, an der Spitze allein zu sein, sie fühlte, es war ihr Mitstreiter, ihr grösster Fan, ja, sie war von Anfang an überzeugt davon, dass der Sohn demnächst in ihre Fussstapfen treten würde, denn er würde sich auch als ausgewählt fühlen, seinem ausgeprägten Machtinstinkt in der Gesellschaft Gehör und Einfluss zu verschaffen.
 
So verhielt sie sich wie der "Fels in der Brandung", der nicht wankt und stur das Ziel nicht aus den Augen verliert, sich in den Wogen und Strudel der politischen Brandung und Stürme zu behaupten.
 
Gleichzeitig war sie der Meinung, dass ihre Kräfte, schon wegen des Kindes, nicht unbegrenzt strapazierfähig sind und entschied sich, ihre Spitzenposition nicht vehement zu grösserer politischer Machtfülle auszuweiten.
 
Mit der Zeit der Schwangerschaft entstand in ihr eine andere Version. Sie war dazu auserkoren, den Fels zu bereiten, auf dem ihr Sohn in 2 Jahrzehnten sein Imperium errichten kann. Sie fühlte die Lebensaufgabe, das Feld zu sein, auf dem der Samen aufgeht, der dann zu herrlicher Fülle ausbricht. Jedenfalls fühlte sie, dass der Widerspruch, einerseits eine politische Führerin sein zu wollen, aber andererseits ebenso eine gute Mutter, schon wegen der politische Grundsätze und der Ideologie, wie sich eine Mutter als Erzieherin in einer intakten Familie zu verhalten habe, nicht lösbar ist, wenn sie für ihre Karriere das Kindeswohl aufs Spiel setzt. 
 
So setzte sie alles auf eine Karte, als sie dafür warb, extreme Positionen der politschen Gruppierung zu Mässigung zugunsten einer mehr realistischen Sicht aufzurufen. Sie hatte es zwar geahnt, dass sie auf Widerstand der Unerbittlichen und Hasser der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung  stossen würde, aber dass man sie sogar für ihren Aufruf ins Aus setzen würde, so radikal hatte sie es sich nicht vorgestellt. Die Geister, die sie gerufen hatte, übernahmen die Oberhand und liessen sich durch ihre Schöpfer nichts mehr sagen.
 
So wiederholte sich hier das Spiel, was sie zu Beginn ihrer Karriere auch gespielt hatte, sie hatte die damalige Führungsriege ausgebootet, und jetzt passierte ihr das Gleiche. Tief in ihrem Innern grollte es, ihr Ungeborenes war gar nicht mehr ruhig zu kriegen und trat immer wieder gegen ihren Bauch und boxte wild. Der Wille zur Macht ist nicht nur in mir, sondern wird meine Generation überdauern, bis sich für ihn, dem Sohn, wieder ein günstiger Zeitpunkt und eine Gelegenheit ergibt, an die Öffentlichkeit zu gehen und für die Macht zu kämpfen, das waren ihre Gedanken. Beispiele für einen solchen Aufstieg gab und gibt es in Hülle und Fülle und sie spürte, sie hatte es in sich!
 
Allerdings sind solche Gedankengänge problematisch zu beurteilen, da niemand vorher sehen kann, was die Zukunft bringt und welche Entwicklungen in den kommenden Jahren sich durchsetzen werden. Aber, wenn sie ihre Karriere der letzten Jahrzehnte betrachtete, ahnte sie, dass bestimmte Urinstinkte in der Bevölkerung nur sehr schwer zu ändern sind, und wenn diese umschmeichelt werden, es immer Chancen zu einer Machtaneignung geben wird. Sie wird einst als Mutter der Nation dastehen, denn sie hat den Mann geboren, der demnächst die Massen begeistern wird.
 
Dann erfolgte die Niederkunft. Mit aller Macht, fast rücksichtslos, strebte das Kind ans Licht und in die Welt. Fast wütende schrie der Junge mit lauter Stimme in die Welt und streckte seine Fäuste nach oben. Nach dem überstandenen Schmerz jubelte Petra, und sie war überzeugt: Er wird es!

 


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