Textatelier
BLOG vom: 01.11.2017

Auserwählt und auserkoren

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Die ersten Fragen, die sich zu diesen Adjektiven (2. Partizip) stellen, sind:
- Durch wen auserwählt?
- Zu was auserkoren?

Beide Wörter sind etymologisch verwandt, und bei auserkoren verweist das Lexikon auf das Wort kiesen, das ich nicht aus der deutschen, sondern aus der niederländischen Sprache her kenne, dort bedeutet es wählen. Im Deutschen sei das Wort veraltet für prüfen, wählen.
Im Deutschen wurde das starke Verb kiesen (kor, gekoren) im 17. Jahrhundert durch ‘küren’ zurückgedrängt.

Eine Person, die für einen Ehrenposten oder -titel auserwählt wird, wird gekürt.

Im jüdisch-christlichen Verständnis gelten die Juden als das von Gott auserwählte Volk. Das moderne Judentum versteht das Auserwähltsein als grosse ethische Verpflichtung, Vermittler zwischen Gott und der Schöpfung zu sein, für alle Menschen.

Aber auch Jesus wird nach Lukas zitiert: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.

So betont der Pastor Anderson von der Faithful Word Baptist Church in Tempe, Arizona, dass die Juden nicht das auserwählte Volk Gottes seien, sondern
..wir Gläubigen das auserwählte Volk Gottes sind, und dass unsere Staatsangehörigkeit bedeutungslos ist. 

Im Islam sehen einige Anhänger ihre Religion als einzige Quelle aller Richtlinien an und ihre Anhänger sind auserwählt.

Die Schweizer betrachteten im späten Mittelalter wegen einiger siegreicher Schlachten, dass das schweizerische Volk von Gott auserwählt sei.
Ach gott lass ab din grimmen zorn, vergiss nit din volk auserkorn.

Auch Adolf Hitler fühlte sich von Gott auserwählt, der neue Befreier Deutschlands und der Begründer einer neuen Sozialordnung für die Welt zu sein.

Und in der heutigen Zeit?
Es gibt Stimmen, die Donald Trump in der Rolle sehen, das amerikanische Volk „mit Gottes Hilfe“ aus „der Knechtschaft der Einwanderer“ führen will:

Hier ein Auszug aus einem Interview im Deutschlandfunk mit dem Professor für Theologie am Alttestamentarischen Seminar der Universität Bonn, Ulrich Berges:

Florin: Er spricht häufig vom Volk. Er hat in seiner Rede von den Eliten gesprochen, die das Volk missachtet haben, die das Volk ausgebeutet haben. Und Sie haben es vorhin auch selbst gesagt, Sie fühlen sich an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert, an die Befreiung von der Knechtschaft. Sind die Amerikaner aus Sicht Donald Trumps das auserwählte Volk?

Berges: Ich denke, das hat sehr viel damit zu tun, ja. Es ist ein Volk, das aus der Knechtschaft der Einwanderer, die geknechtet sind, in das freie Volk, in die freie Nation gekommen sind, Freiheitsstatue, da wird eine neue Gesellschaft gebaut, die Gleichheit und so weiter für alle Menschen bereithält in diesem großen, neuen Kontinent.Das Stoppen der Einwanderung ist zugleich auch ein Stoppen dieses Mythos. Und er - das sagt er in der Rede mehrfach, heute, dieser Tag, das ist der Tag der neuen Zukunft, sagte er.Das ist schon eine Heilsinszenierung, die mit ihm jetzt an diesem neuen Tag anfängt. Und interessanterweise spielt er hier auf ein prophetisches Ethos an, das sind die Eliten, die die Macht haben, und jetzt wird die Macht übergeben an euch!Hier wird prophetisches Ethos miteingespielt, so spielt er sehr mit dem Mythem, mit dem mythischen Element, könnte man sagen, des neuen Landes, das bereitliegt und das sich das Volk unter seiner Leitung wieder zu eigen machen kann.

Wie ich schon aufgezeigt habe, auserwählt zu sein, hat viel mit Glauben, mit Religion zu tun. Nach Friedrich Nietzsche ist die Erfindung der Religionsstifter einerseits, eine bestimmte Art Leben und Alltag der Sitte anzusetzen, aber andererseits dem Leben eine Interpretation zu geben. Die Bedeutung und Originalität der Religionsstifter sei es, dass sie die Menschen dazu erwählen, dass sie erraten, wofür sie gebraucht werden, und wie der Wert der Lebensart interpretiert werden kann.

Zum Religionsstifter gehört psychologische Unfehlbarkeit im Wissen um eine bestimmte Durchschnitts-Art von Seelen, die sich noch nicht als zusammengehörig erkannt haben. Er ist es, der sie zusammenbringt; die Gründung einer Religion wird insofern immer zu einem langen Erkennungsfeste.

Darin liegt für Nietzsche die Genialität der Religionsstifter. Bescheidenheit, Tugendhaftigkeit, Abstinenz, Bedürfnislosigkeit der Menschen aus Trägheit heraus, aus dem Sich-Begnügen mit dem Gegebenen, führt er zusammen in eine Lehre, die die Wiederkehr der irdischen Mühsal verspricht zu verhüten. Das geht nur, in dem man den Menschen ein erstrebenswertes Ziel vor Augen bringt, und das Ziel mündet nicht zuletzt auch darin, sich selbst als auserwählt zu etwas Höherem, als etwas Besseres zu sehen.

Wohin das führt und führen kann, ist leicht an historischen Abläufen zu sehen. Im Namen der Auserwähltheit zu morden, zu vergewaltigen, zu foltern und zu quälen, war immer ein Ergebnis dieses Wahns, getreu dem Motto:

Und willst du nicht oder kannst du nicht (weil du nicht zu uns gehörst) mein Bruder sein (sprich: dich uns anschliessen oder unsere Ziele oder unseren Glauben zu übernehmen), dann schlag’ ich dir den Schädel ein!

Und das gilt auch für solche Religionen, die Liebe, Toleranz und Mitgefühl auf ihre Fahnen geschrieben haben, wie das Christentum oder der Buddhismus. (Jüngstes Beispiel ist, wie die Buddhisten in Myanmar an den Rohingyas Völkermord betreiben.)

Man könnte meinen, dass das auf die christlich geprägte, hochzivilisierte Nation USA nicht zutrifft? Daran ist aus meiner Sicht stark zu zweifeln. Das Sendungsbewusstsein der Amerikaner, der ganzen Welt ihre Art zu leben aufzuoktroyieren, und sei es mit Kriegshandlungen (Irak!), Drohnen (Afghanistan) oder wirtschaftlicher Macht, kostet vielen Menschen das Leben.

Mein Fazit: Immer wenn jemand sich als auserwählt bezeichnet und Anhänger rekrutiert, ist äusserste Skepzis sinnvoll. Immer wenn jemand behauptet, das Leben sei es nicht Wert zu leben und man soll sich von äusseren und inneren Zwängen befreien (oder befreien lassen) ist Skepzis sinnvoll. Nicht selten sehen diese Propheten oder Religionsstifter oder Führungspersönlichkeiten sich gern in der Rolle, Hirte zu sein zu wollen und ihre Nachfolger als Schafe an!

Quellen
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Fünftes Buch; Wir Furchtlosen, Vollständige Ausgabe nach dem Text der Ausgabe Leipzig 1887, Goldmann Verlag, Neuauflage 11/99, S.208
Duden, Das Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, Dudenverlag 2001
http://www.deutschlandfunk.de/der-neue-us-praesident-und-die-religion-trump-ist-auf-einer.886.de.html?dram:article_id=377987
http://www.faithfulwordbaptist.org/deutsch_israel_moment_1.html
http://www.scientific.at/2001/roe_0151.htm (Gottes auerwählte Völker? Rudolf Öller, Bregenz, 2001)

 


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