Textatelier
BLOG vom: 06.11.2017

Schreiber und ihr Werkzeug – Schreiben und Lesen für Kinder

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 

Im September 2015 organisierte mein ehemaliger Schulkamerad Günther Lang in der Mediathek in Müllheim die Ausstellung „Gute Kinder- Kinderbücher und Illustrationen um 1900.“ Vorangegangen war eine Ausstellung über „böse“ Kinder in der Kinderbuchliteratur. Er war auch an Ausstellungen über keltische Münzen und „Stein-Zeiten“ im Markgräfler Museum Müllheim massgeblich beteiligt. Über diese beiden Ausstellungen schrieb ich Blogs (s. Hinweise am Schluss).

Da einige Teilnehmer unserer privaten Wandergruppe die Begehung des Mühlenpfades in Müllheim mit 20 Stationen schon länger geplant hatten und ich von der neuen Ausstellung von Günther Lang hörte, ergab sich eine passende Gelegenheit, beide Vorhaben zu realisieren.

 


Günther Lang erklärt die Schriften in einem alten Buch
 

Günther Lang hat sich sofort bereit erklärt, uns seine neue Ausstellung in der Mediathek  „Kleine Schreiber und ihr Werkzeug – Schreiben und Lesen für Kinder“ zu zeigen.

3 Wanderfreunde und ich fuhren am 19.10.2017 nach Müllheim. Auf einem Parkplatz vor der Mediathek begrüsste uns Günther Lang, führte uns in den Ausstellungsraum und stellte die Leiterin der Mediathek, Petra Zirlewagen, vor.
Bevor wir die grosse, beidseitig einzusehende Vitrine mit etwa 60 Objekten in Augenschein nahmen, erklärte Günther Fakten zum Lesen und Schreiben.

„In alten Schriftkulturen waren die Fähigkeiten zum Schreiben nur einem Kreis von ‚Wissenden’ aus dem religiösen Bereich, der Gesetzgebung, der Verwaltung und dem Handel vorbehalten. Schreiben und Lesen gehören naturgemäss untrennbar zusammen. Das Erlernen der alten Kulturtechnik des Schreibens, ist, im Grunde genommen – immer noch – ein Privileg. In den armen Ländern der Welt können Kinder, auch heute noch, oft nur ein winziges Grundwissen erwerben.“

Wie Günther Lang weiter bemerkte, war es bei uns ein langer Weg zu „Bildung für Alle“. Preussen hatte 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Der Unterricht erfolgte oft durch unqualifizierte Personen wie Kriegsversehrte, entlassene Soldaten, Witwen, Dorfhirten, Kirchendiener, Amtsboten und alle möglichen Leute, die nicht nur mit 3 Kreuzen ihren Namen schreiben konnten. Ab und zu gab auch der Dorfpfarrer Unterricht, nicht  nur in Religion, sondern auch im Schreiben und Lesen.

In Basel gab es erst seit 1838 die allgemeine Schulpflicht. Vorher galt das Lesen- und Schreibenlernen als Zeitverschwendung. Nur wer Gelehrter oder Geistlicher werden wollte, musste Lesen und Schreiben erlernen. Zu jener Zeit gab es sogar Könige und Grafen, die kein Wort lesen oder schreiben konnten. Sie hatten ihre Vorleser oder Hofschreiber.

Zurück zur Ausstellung: „Die Ausstellung kann alle Aspekte der Aneignung von Schreib- und Lesefähigkeit nur andeuten“, so Lang.

Ausgestellt wurden frühe Lern- und Lesebücher, Schreibwerkzeuge wie Tafel und Stift, Tintengefässe, Füller, Federhalter, Schiefergriffel mit Griffelspitzer sowie einige Schulhefte des 19. Jahrhunderts (das früheste von 1832). Den Griffelspitzer sahen wir zum ersten Mal.
Lang nahm das kleinformatige Buch „Regeln der Deutschen Schönschreibkunst“ von 1775 aus der Vitrine und zeigte uns verschiedene Schreibarten, die im 18. Jahrhundert genutzt wurden. Er sprach über die Entwicklung der deutschen Schrift, von der lateinischen Schrift bis zur Sütterlinschrift. In einzelnen Buchstaben, z.B. dem kleinen „e, n, m oder u“ erinnert diese noch stark an die Runen.

Die Sütterlin-Schrift wurde übrigens vom Berliner Grafiker Ludwig Sütterlin (1865-1917) geschaffen und wurde seit 1900 bis 1942  und nochmals um 1954 an deutschen Schulen unterrichtet. Ich kann mich noch gut an die Schrift erinnern. Sie wurde von unseren Grosseltern und Eltern genutzt. In alten Küchenrezepten von den Altvorderen machte ich Bekanntschaft mit dieser Schrift. Heute gibt es sogar Kurse im Internet zur Erlernung dieser Schrift.

Leider wird die Schönschrift in Schulen nicht mehr gelehrt. Wir erinnerten uns noch ganz gut an unsere Schönschriftexperimente in der Grundschule. Es gab dann in den Klassen 1-4 Noten in „Schrift“. Was bleibt? Wir bewundern heute die Schönschrift im Internet und in Ausstellungen.

Bleiben Schüler dumm, wenn sie nicht schreiben?
„Wer nicht schreibt, bleibt dumm“ (Warum unsere Kinder ohne Handschrift das Denken verlernen)“, war die provokante Äusserung der Lehrerin Maria-Anna Schulze Brüning in einem Vortrag in der Mediathek am 25.10.2017.  Sie beobachtete, wie sich die Handschrift ihrer Schüler an einer Gesamtschule in Hamm rapide verschlechterte. Leider werden Handschrift und Rechtschreibung in den Grundschulen vernachlässigt. „Lernfreude und vernetztes Denken bleiben dabei auf der Strecke und Krakelschriften werden für Kinder immer mehr zum Handicap.“ In ihrem Buch unter dem erwähnten Titel bringt sie Lösungsvorschläge, um aus der „Sauklaue“ eine Handschrift zu machen.
Auch in meinem Blog vom 11.04.2007 („Schönschrift als Unterrichtsfach: Ein edles Handwerk stirbt“) griff ich das Thema Schreiben auf.

Viele Bücher und Schreibgeräte
Wie Günther Lang erzählte, geht es bei den ausgestellten Büchern um das Üben der Feinmotorik durch das Schreiben, um Rechtschreibung und Spracherwerb. Also kurzgesagt immer um`s Schreiben und Lesen.

Die Auswahl der Bücher war sehr gut gewählt. So konnten wir diese bewundern: „Das goldene ABC“ (1966), „ABC Bilderbuch“ (1920), „Sprache und Schrift – Das Lautdenken für Ohr und Auge“ (1870), „Lernlust – eine Comenius-Fibel“, „Friendly Tales“ (Nordamerikanisches ABC-Buch, Chicago 1920),  und „Karl der Tausendkünstler – unterhaltendes ABC-Buch für fröhliche Knaben“ (1810). Lang meinte scherzhaft, nun suche er ein Buch für fröhliche Mädchen. Die Bücher waren teils aufgeschlagen oder die Cover zu sehen.
Auch einige Schulhefte des 19. Jahrhunderts (das früheste Heft stamme von 1832) waren zu sehen, ausserdem ein Blatt aus dem Schreibmeisterbuch des F. J. Wirth aus Kitzingen (18. Jahrhundert).

 


Schiefertafel und ein Tafelschoner
 

Besonders schön fanden die Besucher einen bunten Tafelschoner aus den 40er- und 50-er Jahren, in dem eine Schiefertafel (30-er Jahre) steckte. Daneben sah man etliche alte Tintenfässer, Füller, Federhalter, Schiefergriffel mit Griffelspitzer, Schreibzeuge aus Keramik (17/18. und 19. Jahrhundert) mit einer zusätzlichen Streusandbüchse. Der Sand wurde auf die geschriebene Seite gestreut, um die Tinte zu trocknen.

 


Vitrine in der Mediathek
 

Ein kleines Fazit
Die Ausstellung bietet dem schon etwas älteren Erwachsenen  einen guten Rückblick in die eigene Schulzeit. Oft hörte ich beim Anblick der Gegenstände in der Ausstellungsvitrine den Ausspruch: „So mussten wir auch schreiben“ oder „die Schiefertafeln und Griffel waren nach noch Ende der 1940er Jahren gebräuchlich.“ Für mich persönlich waren die hand- und druckkolorierten alten Bücher von besonderem Interesse. Die Ausstellung dürfte auch bei Kindern auf Interesse stossen, weil diese einen Blick in die Schulzeit von anno dazumal werfen können. Ich bin überzeugt, dass jetzt auch Leute in die Mediathek kommen, die sonst nicht dort auftauchen.

Unser Dank geht an Günther Lang, der immer wieder super Ideen für Ausstellungen hat und an die Leiterin der Mediathek Petra Zirlewagen.

Internet
www.muellheim.de

Mediathek
Nussbaumallee 7
D-79379 Müllheim
E-Mail: mediathek@muellheim.de
Leiterin: Petra Zirlewagen

Literatur
Clauss, Stephan; Schulze Brüning, Maria-Anna: „Wer nicht schreibt, bleibt dumm“ (Warum unsere Kinder ohne Handschrift das Denken verlernen),  Piper Verlag München 2017.

Hinweise auf weitere Blogs von Heinz Scholz
09.11.2016: Stein-Zeiten: Vom Faustkeil bis zum Mühlstein
25.10.2012: Keltische Münzen: Verschwundener Kopf und Pfahlbaugeld
11.04.2007: Schönschrift als Unterrichtsfach: Ein edles Handwerk stirbt

 


*
*    *

Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst