Textatelier
BLOG vom: 15.04.2005

Pledges: In England ist das Wahlfieber ausgebrochen

Autor: Emil Baschnonga

Der 5. Mai 2005 ist in England Wahltag. Bis dann wird aus alten Schläuchen viel Blödsinn verzapft und abgedroschene Versprechungen – so genannte "pledges" – in der Presse breit gewälzt, abgestützt auf die Manifeste der 3 Parteien (Labour, Tories und Liberal Democrats).

Gemäss dem wortträchtigen Labour Manifest (23 000 Wörter), im roten Taschenbuch-Format erschienen, soll das einst vorbildliche öffentliche Gesundheitswesen (National Health Service) verbessert werden – unter dem Slogan „Frei für alle, persönlich für jedermann“. Seit der letzten Wahl – und den Wahlen zuvor – hat es sich für Patienten kontinuierlich und empfindlich verschlechtert: Die Warteschlangen haben sich verlängert (so sehr, dass sich Patienten im Ausland operieren lassen), die Anzahl der verfügbaren Betten ist geschrumpft (ein 91-jähriger Mann wurde kurzerhand auf eine Matratze auf den Boden gelegt), die Hygiene lässt viel zu wünschen übrig (MRSA − Methicillin Resistant Staphylococcus aureus). Frei für alle? Der Steuerzahler blutet!

Das Erziehungswesen ist eine andere Hauptplanke der Labour Partei – Slogan: „Mehr Kinder machen den Abschluss.“ Die Schulpflicht soll von 16 auf 18 Jahre erhöht werden. Lehrlinge sollen bis zum 19. Lebensjahr in den Genuss von Fachausbildung kommen. Unterdessen verschulden sich die Studenten tief auf den Universitäten, falls sie keine reichen Eltern im Rücken haben. Viele der Staatsschulen sind derart verlottert, dass die Schüler entweder den Unterricht schwänzen oder ihn fortwährend stören. Beim Eingang müssen die Schüler auf Messer abgeklopft werden. Kein Wunder, dass selbst Eltern mit bescheidenem Einkommen ihre Kinder in teure Privatschulen schicken. Dem ist nicht immer so gewesen, erinnere ich mich. Im „City Institute of Law and Language“ konnte ich kostenlos Kurse besuchen, u.a. das A-Level Zertifikat für Englisch, das A-Level für Französisch (einfach zum Spass) erwerben. Wie genau die bitter nötigen Verbesserungen vorgenommen werden, darüber herrscht mitten im Wahlfieber Funkstille.

Das Rezept gegen Kriminalität kursiert unter den Schlagworten „Sichere Gemeinschaften, abgesicherte Grenzen“ (letztere, um die Immigration zu drosseln). Wiederum wird vorgesehen, die Gäste der „Pubs“ und „Clubs“ nach Waffen und Messer abzutasten. Die Zahl der „Hilfspolizisten“ (Community Support Officers) soll auf 24 000 erhöht werden. Identitätskarten sind ebenfalls vorgesehen. Solche Massnahmen gehen dem Übel keineswegs an den Kragen. Kaum ist ein Gauner oder Mörder im Gefängnis, wird er aus Platzmangel wieder entlassen . . . Desgleichen allgemein gefährliche Geistesgestörte. In den 60er-Jahren konnte eine junge Frau sicher spätabends heimkehren. Heute besteht die erhöhte Gefahr, dass sie vergewaltigt oder gar ermordet wird, wie man leider immer wieder aus der Presse erfährt.

Ich möchte hier diesen Exkurs abbrechen, legt er doch genügend dar, wie mangelhaft die Parteipolitik ist, wenn es den Politikern vorwiegend darum geht, ihre Pfründe zu sichern.

„Gib George eine blutige Nase“, forderte am 12. oder 13. April Cherie Blair die erlesenen 100 Gäste in einem Bangladeshi-Restaurant auf. Das war auf Herrn Galloway, Irak-Kriegsgegner, gemünzt. Mit dieser Attacke sollte dieser werte Postenanwärter zu Gunsten des gegenwärtigen Labour Posteninhabers für den Londoner Distrikt Bethnal Green und Bow schachmatt gesetzt werden. Übrigens wird während der Wahlkampagne der Irakkrieg und seine Folgen ziemlich totgeschwiegen. Er scheint kaum noch Randnotizen auszulösen.

Ich persönlich bin weder gegen Labour noch für die Konservativen. Die Wahl ist Sache der Briten. Im Grunde genommen bin ich apolitisch eingestellt. Nur finde ich, dass die vielen Miseren, die sich leider in meinem geliebten England auftun, mehr durch mutige und draufgängerische – und vor allem erprobte und qualifizierte – Leute angegangen werden sollten – nicht von Schwachstrom-Politikern.

Eines ist sicher: Nach den Wahlen wartet der Steuergeier erneut beflügelt auf.

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