Die Poesie des Tisches
Erinnerung an eine Ausstellung bei Dössegger, Möbel und Raumgestaltung, in 5303 Seon CH
In jedem Heim, in jedem Unternehmen und überall dort, wo sich Menschen treffen, ist der Tisch ein Objekt von zentraler Bedeutung. Er ist Unterlage und Grundlage zugleich. Man dekoriert ihn, tafelt gemütlich an ihm, benützt ihn als Schreibunterlage und ruht mit aufgestützten Armen darauf, wenn die Sitzung kein Ende nehmen will. Er strömt Ruhe und Zuversicht aus. Der Tisch ist aber auch ein Kulturobjekt. Er reflektiert die Geschichte des Lebens und des Wohnens im Verlauf der Geschichte. Und wenn er einmal Gebrauchsspuren abbekommen hat, ist er zu so etwas wie einem Geschichtsbuch auf einer beliebigen Anzahl von Beinen geworden, ohne gleich davonzulaufen, wenn es einmal brenzlig werden sollte.
Tisch mit asiatischem Tee: Iokie Zee bei Dössegger
Diesem bedeutungsvollen Möbel war im Spätherbst 2003 eine einfühlsam gestaltete Ausstellung im Hause Dössegger im aargauischen Seon gewidmet, das bekannte Unternehmen ist auf hochwertige Design-Möbel spezialisiert. In dem architektonisch bemerkenswerten, zugespitzten Haus mit seinen überlangen Holzbindern im Innern, die auf Sichtbetonmauern ruhen, präsentierten sich die Tische in ihrer ganzen Würde und Eleganz, ein markanter Kontrast zum Baukörper. Es waren Möbel-Persönlichkeiten, ob mit runden oder rechteckigen Tischplatten, ob aus urwüchsigem Ulmenholz oder einem anderen Material, welches das Ausdrucksbedürfnis ihrer stilsicheren Schöpfer treffend untermauerte.
An der Eröffnung der Ausstellung wurde ein passendes Programm dargeboten. Bei Tische zelebrierten Ursula Frischknecht und Josefine Krumm ihr „Niess-Scherzo“ nach Kurt Schwitter. Der Winter schien gerade hereinzubrechen, und das Niesen, Schnupfen und Ausstossen interpretationsbedürftiger gutturaler Laute war durchaus zeitgerecht und unterhaltsam obendrein. Ein guter Tisch erträgt alles, lässt sich von allenfalls herumschwirrenden Bakterien nicht anstecken. Am Tisch lässt sich niesen und geniessen.
Aber am liebsten ist es einem Tisch, wenn er etwas Gutes tragen darf, wozu ein zart duftender Tee gehört. Iokie Zee vom China-Restaurant Burghalde „Hou Hou“ in Lenzburg AG vermittelte Beispiele aus der weiten Welt des asiatischen Tees, servierte Teegebäck und in gewürztem Tee gekochte Hühnereier, deren Schalen zerdrückt waren, damit das delikate Teearoma ins Ei-Innere vordringen und dort sein Parfüm ausbreiten konnte.
Kunstobjekt Teebeutel: Der Künstler Adrian Spiegel, kunstinteressierte Dame mit den passenden Farben
Die Wände des Möbelhauses Dössegger waren mit Teebeutelkunstwerken des einheimischen Künstlers Adrian Spiegel dekoriert, Erinnerungen an genussvolle Stunden. Die ausgekochten Beutel mit ihren Fäden und Klammern wurden stabilisiert, haltbar gemacht, mit Tee oder mit Rost eingefärbt, zu verschiedenen Gruppierungen zusammengefasst, ein Recycling auf künstlerisch hoher Ebene, delikate Schaustücke, konserviert und damit nicht vom Tisch – aber an der Wand neben ihm. Markus Dössegger , seine Ehefrau, die weiteren Familienangehörigen und die Mitarbeiter waren höchst angenehme Gastgeber innerhalb einer wohnlichen Umgebung. Diese Atmosphäre ist in ihrem Möbelhaus immer da; es ist ein Traditionsunternehmen, dessen Geschichte bis ins Jahr 1887 zurück reicht.
Die Ausstellung bestätigte, was Theobald Nöthig seinerzeit in einem seiner tiefsinnigen Zweizeiler ausgedrückt hat:
„Nicht im Was, nur im Wie,
liegt bei Tisch die Poesie“.
In Seon (Bezirk Lenzburg) ist dieser poetische Stimmungsgehalt in einem reichen Mass anzutreffen. Und ihn findet man auch im nahen aargauisch-luzernischen Seetal, an den Gestaden des lieblichen Hallwilersees. Das Seetal ist eine sanfte, wohnliche Mulde, deren Seitenwände bereits reich möbliert sind. Falls aber noch entsprechende persönliche Möblierungs-Bedürfnisse ohne Einfluss auf das Landschaftsbild vorhanden sein sollten, gibt es genügend Inspirationen dort, wo sich die Strassen nach Lenzburg und Schafisheim verzweigen, in der Dössegger-Ecke in Seon.
Die erwähnte Ausstellung ist vorbei. Aber Tische überdauern alle Zeiten.
Peter Bilan
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