Perplexionen: Fortschritt
Im Leben geschehen seltsame Dinge. Irgendetwas stimmte nicht mit seinen Füssen. Er war eben aus dem Bett gestiegen. Er schaute tief und staunte. Die grossen Zehen waren nicht an ihrem angestammten Platz, sondern dort, wo sonst die kleinen Zehen sind. Die kleinen Zehen hatten den Platz der grossen eingenommen. Eine optische Täuschung vielleicht, dachte er, und setzte seine Brille auf.
Erich ist ein Mensch, der nicht leicht aus der Fassung gerät. Auch diesmal nicht. Er machte einige Schritte. Es geht und ging auch so, stellte er erleichtert fest. Barfuss ging er zur Küche und braute sich seinen Morgenkaffee.
Seine zweite Stärke ist, dass er positiv denken kann. Das sollte die Socken nicht stören: links oder rechts ist ihnen einerlei. Als Bube, erinnerte er sich, brauchte es ein Weilchen, bis er klug wurde und lernte, dass es weder linke noch rechte Socken gab.
Schuhe sind jedoch den Füssen angepasst. Er fand die Lösung rasch und drehte sein Schuhwerk einfach umgekehrt aneinander und ergriff den Schuhlöffel. Schwupps glitten seine Füsse mühelos, genauer: mit gleicher Mühe wie sonst, in seine Schuhe. Besonders elegant sehen auswärts gebogene Schuhe nicht aus. Zum Glück war er keine Modeaffe.
Er war spät dran und musste zur Haltestelle des Trams springen. Ihm schien, dass er behender als sonst vorwärts kam. Abends würde er im „Brehms“ nachschlagen. Der Vogel Strauss hat schliesslich auch merkwürdig geformte Zehen, ging ihm durch den Sinn. Niemand im Büro, nicht einmal der Computer, merkte, dass etwas mit seinen Füssen nicht stimmte.
Erich spielt gerne Fussball und versprach sich einen erheblichen taktischen Vorteil von seinen ausgewechselten Füssen. Abends im Hinterhof kickte er den Ball. Mit etwas Übung... So übte er und wurde immer zuversichtlicher. Er traf das Goal aus unerwarteter Schussrichtung besser als je zuvor.
Was würde seine Frau von seinen Füssen halten? Sie schlief immer etwas länger als er. Ausgewechselte Füsse waren kein Grund, um sie aus dem Schlummer zu reissen. Erich gilt als sehr rücksichtsvoll, und nicht umsonst. Sie tanzt gern. Wie würde er jetzt einen schmissigen Tango hinkriegen? Wo hat der Tanzbär seine grossen Zehen, wenn er überhaupt solche hat? Er vertiefte sich in „Brehms Tierleben“, während seine Frau fernsah. Wie einfallsreich die Natur es für Tiere und Vögel, selbst Reptilien, eingerichtet hatte, um ihren Fortschritt zu sichern.
Genau das, was er lebenslang anstrebte, hatte der Glückspilz Erich auf einen Schlag erreicht: Fortschritt!
Emil Baschnonga
1.12.2004
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