Dino
In der Tundra wurde des Dinosaurier-Ei gefunden, bloss kürbisgross, bei Aushubarbeiten. Es war intakt und kam, nach kurzer Verhandlung zwischen den Staatspräsidenten, in einem eigens dafür von der NASA entwickelten Brutapparat zu liegen. Hebammen aus allen Wissenschaften umhegten das Ei Tag und Nacht, 24 Stunden. Dann pochte es im Ei. Der Hirnchirurg und Nobelpreisträger Andersen aus Dänemark meisselte es aus der Schale ans Licht der Weltöffentlichkeit. „Dino is doing fine“, versicherte der Präsident der Vereinigten Staaten Ost und West, Süd und Nord. Das urzeitliche Kücken war flaumzart beschuppt, rosarot und unheimlich gefrässig.
Wie erwartet bestanden die Russen auf sofortige Rückerstattung ihrer Leihgabe. Der Völkerbund schaltete sich vermittelnd zwischen die Parteien ein. Inzwischen gedieh Dino bei vitaminangereicherter Farnpappe ausgezeichnet. Seine tägliche Gewichtszunahme wurde übers Fernsehen vor der Wettervorhersage durchgegeben. Nach einem Jahr war an Rückgabe nicht mehr zu denken, weder auf dem Luft- noch Wasserweg. Dino war zu gross und zu schwer geworden. „Lassen wir es doch ganz allein nach Hause schwimmen“, schlug der Senator von Nebraska vor. Allein, Dino erwies sich als wasserscheu. Vorsichtshalber beliess man ihm seine russische Staatsangehörigkeit und setzte ihn auf Schmalkost. Doch der Hunger als psychologischer Ausbruchfaktor wurde auch bei Dino unterschätzt. Dino brach am 3. Fasttag aus seinem Gehege aus und verschwand nicht spurlos in den Rocky Mountains. Wie der Elsässer Spargeln, verschlang Dino Bäume, am liebsten Tannenwipfel. Er frass sich von Tal zu Tal und wuchs beängstigend rasch.
„Vernichtet das Ungeheuer“, forderten Generäle, Förster, Papierhersteller und der Vorstand des nationalen Metzgerverbandes. Aber das Politbüro erhob unter Kriegsandrohung Einspruch bei der amerikanischen Regierung. Auch der internationale Tierschutzverband sprach sich gegen das Mordansinnen aus.
Schliesslich gelang es auf verblüffend einfache Weise, das Biest auf dem Landweg zu exportieren: südwärts ging es nach Mexiko und von dort aus über die Landbrücke nach Kolumbien. Dino folgte dem Mutterruf von Professor Andersen. Megaphonverstärkt sprach er ihm vom Geleitflugzeug ermunternd zu, und Dino watschelte der Stimme nach. Seine letzte Wegzehrung auf amerikanischem Boden bestand aus Kakteen in Arizona. Auf der anderen Seite spazierte es allein weiter ins brasilianische Bergland. Im Mato Grosso liess sich Dino nieder.
Dort verrichtete Dino geniesserisch endlich nützlichen Kahlschlag und half auf diese Weise der Infrastruktur weitaus rascher voran als alle Caterpillar-Vehikel zusammen. Nicht genug, suchten und fanden die Wissenschaftler eine noch wichtigere Rolle für Dino, die ganz nach dem Willen und der Vorstellung des Jahrhunderts Dino zum Energieträger verwandelte. Man sah Dino an, dass er die Schwelle der Pubertät erreicht hatte: kleine Stichflammen züngelten aus seinen Nüstern. Es gelang, niemand weiss oder will sagen wie, das Kunststück, dem schlafenden Jungdrachen 2 technisch vollkommen erfundene Energieumwandler in die Nasenlöcher einzubauen.
Leider liess Dino, seit er zum Dynamo geworden, mehr und mehr den Kopf hängen. Im ersten Jubel hatte die Welt voreilig geglaubt, in ihm einen langfristigen Energieproduzenten gefunden zu haben. Aufgebracht blies er durch die Nüstern, und sein wild um sich peitschender Schwanz warf Berge auf. Die Generatoren arbeiteten auf Hochtouren hart an der Kapazitätsgrenze. Umgerechnet deckte Dino zuerst den Energiebedarf von New York, Tokio und London zusammengezählt.
4 Monate später sackte sein „output“ auf ein Viertel zusammen. Der Grund dazu lag wohl in einer Fehleinschätzung von des Drachens Nackenkraft. Er konnte den Kopf nur mehr mühsam heben, vom Gewicht des Energiefernkabels arg beeinträchtigt. Und natürlich wagte sich niemand, ihn von der Leine zu lassen. 13 Monate später röchelte Dino ein letztes Mal energiespendend und starb.
Emil Baschnonga
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