Der „Saupreuss“ in Bayern
Von Prof. Dr. Wigand Ritter
Das Verhältnis von Bayern zu Preussen ist von seltsamen Emotionen erfüllt. Wenn man in Bayern lebt, kann man diesem nicht entkommen und erzählt bald selber auch einen der unzähligen, abgründigen Preussenwitze, etwa jenen vom Lokführer Wastl, der, um einen Preussen von den Schienen vor seinem Zug zu verjagen, diesem bis in die Wiese nachfährt. Diese Geschichte steht unter anderen auch im Buch „Tief in Bayern“ von Mc Cormack.
Man kennt aber keinen rechten Grund für diese Abneigung, und auch die Bayern wissen keinen. Eigentlich haben sich beide Volksstämme ja erst nach der Reichsgründung 1871 kennen gelernt. Freilich blickte man damals in Berlin ein wenig auf das unzivilisierte und ärmere Bayern herab, doch wer kam damals schon nach Berlin oder nach Bayern! In Berlin hatten nur eine Handvoll Abgeordnete zu tun, und in Bayern lebten einige Künstler und Literaten, die allenfalls bis zum Starnberger See kamen, und ganz wenige Sommerfrischler zog es damals schon in die Alpenorte. Wenn diese Kontakte ausreichen sollten, um einen „Rassenhass“ zu schaffen, so hätten sich alle deutschen Stämme mit Lokomotiven gegenseitig niederfahren müssen.
Wir wissen auch nicht exakt, wann die Bezeichnung „Saupreuss“ entstand. Aber die unverhüllte Ablehnung, welche in diesen 2 Silben zum Ausdruck kommt, müsste einer Ablehnung von Kolonialbevölkerung gegenüber dem Kolonialherren entsprechen. Aber die Bayern waren gar nie eine den Preussen unterworfene Bevölkerung – oder doch?
Wer aber mag der echte Saupreuss sein, in dem man keinesfalls den Berliner, Brandenburger oder Pommern sehen darf? Hat es überhaupt jemals Menschen gegeben, gegen die sich eine solche Bezeichnung hätte richten können? Dem wollen wir hier nachgehen.
Nach der Gegenreformation und dem Dreissigjährigen Krieg hatte Bayern ruhig in seinem katholischen Sud vor sich hin geköchelt. Man kämpfte auf der Seite der Österreicher gegen die Türken, ohne davon etwas zu gewinnen, man packelte bei günstiger Gelegenheit mit den Franzosen und „verriet so Kaiser und Reich“; aber dies machten andere deutsche Fürsten ja auch. Den Münchner Wittelsbachern tat dies auch nicht viel Abbruch; denn für die gröberen Gaunereien hatte man ja immer noch die pfälzische Verwandtschaft wie z. B. den Winterkönig Friedrich.
Dann starben plötzlich die bayerischen Wittelsbacher aus, und 1777 erbten die Pfälzer. Österreich wollte mit dem neuen Kurfürsten ein Geschäft machen, das im Vorschlag eines Tausches Altbayern gegen Belgien gipfelte. Es war damals der Preussenkönig Friedrich II., der 1778 sozusagen Bayern rettete. Darauf also kann sich der Preussenhass nicht gründen.
Aber anderes, weit Schlimmeres geschah, womit das treukatholische Bayernvolk von den Weltereignissen aufgescheucht wurde, bis es unter Ludwig II. endlich weiterträumen durfte.
Zunächst war es noch harmlos. 1799 starb Kurfürst Karl Theodor, und es erbten seine entfernteren Verwandten von der Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld. Man sollte diese Orte im Atlas nachschlagen. Sie liegen weit im Westen, nahe bei Frankreich, und Napoleon hatte sie schon 1795 kassiert. Aber diese Pfälzer waren immer stramme Protestanten gewesen, mit dem Reichsfeind Schweden eng verbandelt. Nun aber mussten sie östlich des Rheins entschädigt werden. Das tat nicht allzu sehr weh, denn es gab genug kleine, reichsunmittelbare Fürstentümer, die man sozusagen unauffällig kassieren konnte. Man nannte dies Säkularisation (bei geistlichen Territorien) und Mediatisation (bei den Reichsrittern, Reichsstädten und kleinen Grafen).
Diese waren zumeist protestantisch, was den neuen bayerischen Kurfürsten Max Joseph sicher nicht störte. Unter diesem Max, der fest und treu zu Napoleon hielt, ging es also mit Bayern aufwärts. Bayern hatte auch einen neuen Minister mit nahezu diktatorischer Macht, einen Herrn Maximlilian de Montgelas aus Savoyen. Natürlich Protestant, und dieser (1799−1817) liess in die neu gewonnenen Territorien „säkularisieren“. Noch heute klagt man in Bayern über das, was damals an Porzellan, sprich Kulturgütern, zerschlagen wurde. Dies war dann geregelt mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803, der letzten Aktion des Deutschen Kaiserreichs.
1805 gründeten die napoleonhörigen Fürsten den Rheinbund, und in Verbindung damit wurde Max-Josef auch König von Bayern, erhielt von Österreich ganz Tirol und im Norden die hohenzollerischen Markgrafschaften Ansbach (1807) und Bayreuth (181o). Diese waren nicht nur protestantisch, sondern sogar „preussisch“ und wurden seit einigen Jahren von Berlin aus regiert, modernisiert und militarisiert.
Der bayerische Kronprinz Ludwig kam gar bald, „um sich die ansbachischen Dragoner beim Manöver des preussischen Heers einmal anzusehn“. Bald wurden sie auch eingesetzt, denn in Tirol war schon 18o9 der grosse Volksaufstand ausgebrochen.
Mit Ansbach-Bayreuth waren wirkliche protestantische Fürstenstaaten an Bayern gekommen, mit einem fürstlichen Dienstadel, welchen der König nun versorgen musste. Mit den kleinen Reichsfreien und den Baronen der Stadt Nürnberg war dies noch nicht so dringlich gewesen.
Nun aber war der Bedarf an Staatsposten sehr gross und er wurde auch von Montgelas wohl nicht ungern gefüllt, konnte er doch sicher mit den neuen Beamten besser zurechtkommen als mit Jesuitenzöglingen. Bald kursierte der Ausspruch: „Fallst in Minka öppas werden willst, brauchs bloss a Preuss sein“. Denn diese Franken wurden Preussen genannt und sahen sich vielleicht selber aus einem gewissen Überlegenheitsgefühl heraus so. Man war ja „aufgeklärt und modern“. Hier also tritt der „Preuss“ erstmals massiv in Erscheinung.
Mit hohen Beamten macht so mancher Bürger unangenehme Erfahrungen; das wird in Bayern nicht anders gewesen sein. Das Volk aber, die katholischen Bauernsöhne aus Altbayern, musste nun zum Militär und wurde von protestantischen, preussischen Feldwebeln gedrillt und von Preussen kommandiert. Wenn diese wenigstens ihre Schlachten gewonnen hätten! Aber trotz des Ungestüms der Bayern wurden diese von den Tirolern wieder und wieder vom Berg Isel herabgeworfen und sogar ganz aus Tirol vertrieben. Zuletzt durfte man unter dem gleichen Kommando noch nach Russland ziehen!
Kein Wunder, dass da die einfachen Soldaten, aber die „Saubreissn“, zu schimpfen begannen. Es gab aber auch in der Regierung nicht nur hohe Räte, sondern auch ausführendes Personal, wo sich fränkische, protestantische Beamte festsetzen konnten und als Polizisten, Feldwebel, Eisenbahner, Richter usw. einen Zipfel der Macht über das Landvolk erhielten.
Den Montgelas stürzte man 1817. König Ludwig I., der in seiner langen Regierungszeit Münchens Ruf als Kunststadt und Ort der Wissenschaft ausbaute, musste zunächst wohl noch an dem konfessionsfreien Konzept der Staatsverwaltung festhalten. Dies war die „Kolonialisierung“, welche wir oben postuliert hatten. Freie „Wahlen“ gab es erst nach 1848, und im Parlament gaben schnell die Anhänger des „Zentrums“ den Ton an. Noch Ludwig Thoma hat diese Leute mit der Figur des Abgeordneten „Filser“ karikiert.
Quellen
R.W.B. Mc Cormack : „Tief in Bayern“, Goldmann, Frankfurt 1993.
E. Deuerlein et al.: „Geschichte Bayerns“, Territorien Ploetz, Würzburg 1975.
Adresse des Autors
Dr. Wigand Ritter
Prof. em. für Wirtschaftsgeographie
Landsbergerstrasse 26/10
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