Etwas wollte ich dich schon lange fragen: Kannst du mir vielleicht ein sehr profundes etymologisches Wörterbuch empfehlen? Noch ist mir nichts Befriedigendes über den Weg gelaufen.
Zurzeit suche ich nach den Wurzeln der Begriffe "Balz" und "balzen". In meinem Herkunftswörterbuch steht bloss, dass die Begriffe vermutlich von der Ausdrucksweise "in der Form falzen", also "fest zusammenlegen", kommen (16. Jahrhundert). Ansonsten liege ihr Ursprung im Dunkeln. Mit dieser Antwort bin ich natürlich nicht zufrieden...
P.T.
Antwort: Die Etymologie ist die Lehre von der Herkunft und damit die Geschichte der Wörter, wobei ein einzelnes Wort verschiedene Etymologien haben kann. Die Etymologie ist ein Randphänomen der Sprachwissenschaften. Das diesbezügliche deutschsprachige Standard-Werk war seit Jahrzehnten "Das Bedeutungswörterbuch" aus der Duden-Reihe, dem ich auch gleich einen Teil der obigen Angaben zur Herkunft des Wortes Etymologie entnommen habe (Duden 10, Ausgabe 1970). Inzwischen sind die etymologischen Angaben auch im umfangreichen "Deutschen Universalwörterbuch" aus dem Duden-Verlag zu finden, das sehr gute Angaben zur Sprachgeschichte enthält. Es dokumentiert den gegenwärtigen Zustand der deutschen Sprache (synchroner Ansatz) und bietet zusätzlich Angaben zur Sprachgeschichte (diachroner Ansatz). Dadurch wird die Wortgeschichte zu neuem Leben erweckt.
Es gibt auch zu sozusagen allen Sprachen etymologische Wörterbücher und Fachwörterbücher, so das "Wilton's Word & Phrase Origins" http://www.wordorigins.org/home.htm, das Du als ehemalige Übersetzerin ja verstehst, sodann das norwegische "Nynorsk etymologisk ordbok", Oslo: Aschehoug, ferner den "Dictionnaire étymologique complémentaire de la langue grecque: nouvelles contributions à l'interprétation historique et comparée du vocabulaire" von A. J. van Windekens und unzählige andere mehr.
Vergleichen wir die beiden Duden-Werke anhand ihrer Aussagen zu Balz und balzen:
"Das Bedeutungswörterbuch" von 1970 (die erste Ausgabe dieses Werkes), das über 24'000 Stichwörter enthält, führt den Begriff nicht. Dafür wird man im neuen "Universal-Wörterbuch" wenigstens in Bezug auf den Begriff fündig, kaum aber auf dessen Herkunft:
Balz[1], die; -, -en [mhd balz, H.u.]: 1. Liebesspiel bestimmter grösserer Wald- u. Feldvögel während der Paarungszeit: die B. der Fasane beobachten. 2. Paarungszeit bestimmter grösserer Wald- u. Feldvögel: In die B. treten. 3.*auf die B. gehen (Jägerspr.: Jagd auf balzende Vögel machen).
balzen (sw. V.: hat) [mhd. balzen]: (von bestimmten Wald- u. Feldvögeln) während der Balz (2) durch Lockrufe u. auffällige Bewegungen um Weibchen werben: die Auerhähne balzen; balzende Erpel; Ü* (ugd. scherzh.:) guck mal, wie die beiden balzen.
* Übertragung.
Der Nutzer erfährt also recht gut, was die Begriffe bedeuten, aber nur wenig über die Wortgeschichte, um die es Ihnen ja geht. Die Wörter stammen also aus der mittelhochdeutschen Sprache[2], und das H.u. ist die Abkürzung für "(weitere) Herkunft ungeklärt".
Da bist Du mit Deinem eigenen Wörterbuch noch verhältnismässig gut dran. Wenn immer modernere Bücher den Geist aufgeben, wende ich mich meinem "Brockhaus' Konversations Lexikon" in 16 Bänden aus dem Jahr 1892 zu, das ich mir während meiner Schulzeit antiquarisch beschaffte, in mehreren Fahrten auf dem Velogepäckträger etwa 20 km weit heimtransportierte (zwischen St. Gallen und Wald-Schönengrund SG), deren Rücken ich mit Isolierband flickte und das noch heute einen Ehrenplatz in meiner überquellenden Bibliothek einnimmt.
In einer wunderschönen Antiquaschrift werden darin 42 Zeilen dem Balzen (oder Falzen) gewidmet, wobei neben dem Zusammenhang mit dem Falzen aber nichts über die Herkunft des Wortes zu erfahren ist. Dafür aber vernimmt man das Folgende in poesievoller Sprache: "Besonders wichtig für den Jäger ist das Balzen des Auer- und Birkwildes, weil dieses fast ausschliesslich während der Balzzeit (März und April) geschossen wird (...). Der Auerhahn (...) bäumt abends in den Gipfel oder auch auf einen starken Seitenast eines Baumes mit viel Geräusch auf (schwingt sich ein), macht einige Schluckbewegungen mit dem Hals, wobei er einen grunzenden Laut von sich giebt (das Kröpfen oder Worgen) und beginnt sich beim ersten Morgengrauen in drei verschiedenen rasch sich folgenden Abteilungen zu balzen. Der erste Teil der Balzarie klingt wie das Zusammenschlagen von Holzstückchen mit trillerartigem Abschluss (Knappen oder Klippen), dann folgt ein klatschendes Schnalzen (Hauptschlag); den Schluss macht ein dem sanften Wetzen einer Sense ähnliches Geschwirre, Schleifen, Wetzen). Während des letzteren ist der Auerhahn wie taub und blind und kann von dem Jäger angesprungen werden (...) Setzt der Hahn mit dem Balzen aus, so muss der anspringende Jäger ruhig warten."
Was würden wir von Tieren sagen, die Menschen, denen beim Liebesspiel Hören und Sehen vergangen ist, anfallen? Meine Ansichten über die Jagd und ihre Traditionen habe ich in der Rubrik Kontrapunkte ("Die Jagd weidgerecht verblasen") beschrieben. Dies nur nebenbei hier geht es vor allem um die Sprache.
Ich betätige mich nun selber als Amateur-Etymologe und wage folgende Erklärung: Das Balzen könnte tatsächlich vom Begriff Falzen kommen. Nach meinem uralten "Brockhaus" bedeutet dieses Wort "das Verbinden zweier Blechteile durch Zusammenhaken der hakenförmig umgebogenen, geraden oder gekrümmten Ränder derselben. Die Verbindung selbst heisst Falz." Den Falz kannte man auch in der Buchdruckerei und in der Lederfabrikation.
Das Falzen verbindet also 2 Einheiten und das ist ja schliesslich auch das Ziel des Balzens. Erstaunlich, dass man im berühmten Dudenverlag in Mannheim noch nicht darauf gekommen ist.
Ich hoffe, Ihnen damit gedient und meinen Teil zur Sprachgeschichte beigetragen zu haben.
Walter Hess
[1] Hinter dem Begriff "Balz" verbergen sich laut Lexikoneintrag in der "Encarta Enzyklopädie" die "Verhaltensweisen männlicher Vögel, Säuger oder Fische während der Paarungszeit, die den weiblichen Tieren oder Konkurrenten imponieren sollen. Die hormonell bedingte und gesteuerte Balz ist meist begleitet von arttypischem Gesang, Flugspielen, Imponierposen (Präsentieren spezieller Sonderbildungen, Spreizen von Schmuckfedern)". Im Prinzip trifft das auch auf den Homo sapiens zu.
[2] Das Wort Mittelhochdeutsch (mhd.) bezieht sich auf die hochdeutsche Sprache und Literatur des 12. bis 15. Jahrhunderts, die besonders durch die höfische Dichtung in Minnesang und Epos gekennzeichnet war.
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