Burma: Die nützlichen Wasserhyazinthen im Inle-See
Autor: Walter Hess
Mühsames Rudern auf dem Wasserhyazinthen-Teppich: Auf dem Inle-See. [Fotos: Walter Hess]
Invasionen gibt es überall und immer wieder: Damit ist meistens ein feindliches Einrücken von militärischen Einheiten in fremdes Gebiet gemeint. Auch stellt man an allen sehenswerten Orten dieser Erde Touristeninvasionen fest. Und als Invasion bezeichnet man auch das Eindringen von Krankheitserregern in die Blutbahn. Selbst in der Pflanzen- und Tierwelt ist oft ein invasives Verhalten festzustellen; dieses ist allerdings meistens durch menschliche Aktivitäten inszeniert und/oder gefördert: Mit der Entdeckung der Neuen Welt (Amerika) begann der Pflanzentransfer über Kontinente hinweg – sogar Kartoffeln und Mais gehören dazu, durchaus positive Beispiele. Und wegen der enormen Mobilität oder auch bewusst im Rahmen von Handelsbeziehungen werden Arten überall hin verschleppt: Kaninchen seinerzeit nach Australien, Waschbären kamen aus Nordamerika nach Mittel- und Osteuropa. Der Japan- und Sachalin-Knöterich, der Bärenklau und das Indische Springkraut verdrängen einheimische Arten. Die tropische Killeralge Caulerpa taxifolia macht sich im Mittelmeer breit, die Argentinische Ameise bevölkert die Küstenregionen von Italien bis Portugal. Bei uns macht man gerade Jagd auf die allergisierende Ambrosia.
Einige von diesen Neophyten und Neozoen verschwinden zum Glück wieder, weil ihnen das Klima nicht zusagt, andere aber bleiben in ihrem neuen Lebensraum, sind also invasiv. Zu diesen gehört die Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes), die manchmal die Schifffahrt und Wasserkraftwerke behindert oder blockiert und eine der gefürchtetsten Pflanzen ist; oft gewinnt sie auch in Reisfeldern Oberhand. Sie wurzelt im Schlick, kann aber auch frei flottierend bestens gedeihen. Ich bin quadratkilometergrossen, dicken Pflanzenteppichen aus Wasserhyazinthen auf dem Inle-See in Burma im grossen Stil begegnet. Die Ruderarbeit im kleinen Boot war sehr beschwerlich, und man hatte das Gefühl, man könnte zu Fuss über das zugewachsene Wasser gehen.
Motorisierter Transport: Weg im schwimmenden Garten.
Einbeinfischer
Der Inle-See befindet sich südlich von Taunggyi im zentralen Hochland, dem Shan-Plateau, in Burma (Birma), das offiziell Myanmar heisst. Der See ist etwa 22 km lang und ungefähr 11 km breit und liegt auf einer Höhe von 975 m ü. M. Eine touristische Attraktion sind hier die einheimischen, einbeinigen Fischer, die sich mit einer eigenartigen Rudertechnik fortbewegen, und zwar nicht einfach als zirkusreifer Spass, sondern aus guten Gründen: Indem sie ihre einfachen Nachen mit einer Hand und einem Bein über den See steuern, bleibt ihnen immer eine Hand zum Arbeiten frei. Die Arbeit: Grosse Reusen werden in den See gestülpt. Dann sticht der Fischer mit einer Lanze umher, um die Fische ins Netz zu jagen. Stehend kann das Geschehen unter Wasser zudem besonders gut beobachtet werden.
Nun sagte man ja, es gebe an sich keine schlechte Situation, man könne sich nur falsch verhalten. Das heisst, man kann auch aus misslichen Lagen noch etwas herausholen. Ein falsches Verhalten war zum Beispiel das Bekämpfen der Wasserhyazinthen mit Herbiziden, wodurch noch grössere Schäden angerichtet wurden; das geschah aber nicht in Burma. Dort nutzen die „Söhne des Sees“, die Inthas, wie sich der hier lebende burmesische Stamm nennt, die rosettig wachsenden Wasserhyazinthen sozusagen für seegartenbauliche Zwecke. Die Inthas lebten einst im Süden des Landes, doch flohen sie im 18. Jahrhundert wegen ständiger Kriege mit dem Nachbarland Thailand und Repressalien an den Inle-See. Hier gründeten sie zunächst 4 Siedlungen, nach denen der See benannt ist: Inle heisst: „See der vier.“ Mittlerweile sind es 37 Dörfer geworden, und etwa 140 000 Menschen leben rund um den See, oft in Pfahlbausiedlungen.
Pagoden und Wohnhäuser am Inle-See: Iwama.
Eine Hand zum Arbeiten frei: Junger Einbeinruderer.
Substrat für schwimmende Gärten
Der See ist an vielen Stellen nur etwa 2 bis 4 Meter tief und bietet dadurch ideale Voraussetzungen für die Anlage von schwimmenden Gärten. Auch solche Gärten brauchen ein gutes Substrat, das man in Burma nicht in einem Gartencenter kauft, sondern selber herstellt – und zwar als eine Art Unterwasser-Kompostierung. Die w ild wachsenden Wasserhyazinthen, die wahrscheinlich aus Süd- und Mittelamerika über Java und Thailand eingeschleppt und wegen ihrer lilienfarbenen Blüten Zierpflanze als kultiviert wurden (man nennt sie „Phak Tob Chava“) , bilden im Laufe der Zeit einen natürlichen Teppich, in dessen Wurzeln sich der von den Flüssen angeschwemmte Schlamm zu einer Erdschicht verdichtet. Dadurch entsteht im Laufe der Zeit − etwa während 50 Jahren – eine bis 1 Meter tiefe Humusschicht. Pro Hektar Wasserfläche beläuft sich das Gewicht der Biomasse eines mehrjährigen Eichhornia-Teppichs auf etwa 75 Tonnen. Auf dem daraus entstehenden wertvollen, ausserordentlich fruchtbaren Grundschlamm werden schwimmende Gärten angelegt, und sie können vom Boot aus gepflegt werden. Es werden hauptsächlich Tomaten, Auberginen, Gurken, Bohnen und Blumen wie Astern angebaut. Nährstoffreiche Reihen aus Pflanzen und Schlamm werden mit Bambusstangen am Seeboden verankert. Für das Anlegen der Umfassungen werden wiederum Wasserhyazinthen verwendet.
Wasserhyazinthen haben übrigens die nützliche Eigenschaft, das Wasser, in dem sie leben, von darin enthaltenen Giftstoffen zu reinigen („ Phytosanierung“). In Europa ist die Azurblaue Wasserhyazinthe (Eichhornia azurea) als Teichpflanze bekannt .
Schwimmender Garten: Gurkenkultur.
Die Fische im Seegarten
Der Inle-See ist fischreich – und so dienen die schwimmenden Gärten gerade auch noch als Fischvermehrungsanlagen. Ru nd 20 verschiedene Fischarten leben darin, hauptsächlich Karpfenarten. Weil der See vielerorts zugewachsen ist (auch Algen gibt es), mussten spezielle Fischereimethoden entwickelt werden: Mit einem konisch geflochtenen, 2−3 m langen Bambuskorb gehen die Inthas auf Fischfang. Wenn auf der windstillen Oberfläche Luftbläschen oder Unterwasserbewegungen zu sehen sind, stossen die Einbein-Fischer genau an dieser Stelle mit ihrem riesigen Bambuskorb bis auf den Grund. Anschliessend stochern sie mit einem langen Stock in der einen Hand in den vom Korb abgetrennten Bereich, um die darin schwimmenden Fische aufzuschrecken. Im Korb hängt ein über einzelne Metallringe gespanntes Netz, das der Fischer und Einbeinruderer mit der anderen Hand an einer Schnur hält. Spürt er, dass ein Fisch dagegen stösst, lässt er das Netz fallen, und mit Geschicklichkeit und etwas Glück bleibt der Fisch im Netz hängen.
Im Moment ist eine Seegrasart auf dem Vormarsch, die nach und nach den See zuwuchert, so dass die findigen Inthas vor eine neue Herausforderung gestellt sind, wenn sie ihren See als Lebensmittel-Produktionsstätte erhalten wollen. Es wäre ja gelächelt, wenn sie nicht auch damit auf nutzbringende Weise fertig würden.
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