Adipöses: Die Fast-Food-Generation mit ihren XXL-Grössen
Autor: Heinz Scholz
„Willkommen in der Pizzarepublik!“ Mit diesem Ausruf wurden die Zuschauer der Fernsehsendung „Focus TV spezial“ des Fernsehsenders VOX am 9. Juli 2005 begrüsst. Die Sendung befasste sich mit den dicken Kindern, die nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz überhand nehmen. Ursachen der Volkskrankheit „Fettsucht“ sind falsche Ernährung und zu wenig Bewegung. In Deutschland soll bereits jedes 5. Kind und jeder 3. Jugendliche zu viele Pfunde auf den Rippen haben. Mediziner bezeichnen ein Kind mit einer Grösse von 1,60 Meter und über 80 kg Gewicht als adipös. Die Folgen sind nicht ohne: Immer mehr Heranwachsende leiden unter Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und psychischen Problemen. Mediziner schätzen die Kosten in Deutschland auf Grund der Fehlernährung auf 71 Milliarden Euro pro Jahr.
Renate Künast, die deutsche Ministerin für Verbraucherschutz, bringt die ansteigende Anzahl von Fettsüchtigen in den letzten 20 Jahren nicht nur mit der falschen Ernährung, sondern im besonderen Masse mit dem erhöhten Fernsehkonsum in Verbindung. „In vielen Kinderzimmern steht heute schon ein Fernseher“, betonte die Ministerin. In der Tat ist es so, dass die bewegungsarmen Kinder vor dem Fernseher Schokoriegel, Sticks, Chips und andere Kalorienbomben essen.
Genetische Veranlagung?
Wie die Universität Marburg herausfand, gibt es auch eine genetische Veranlagung zur Fettsucht. Die Forscher züchteten fette Mäuse und entdeckten 80 Gene, die den Fettansatz begünstigen. „Wahrscheinlich ist dies auch beim Menschen der Fall“, so die Professorin Gudrun Brockmann, Züchtungsbiologin an der erwähnten Universität. Wunschtraum vieler Mediziner ist es, eines Tages diese Gendefekte zu beheben. Aber es ist immer sehr einfach, einen falschen Lebensstil Gendefekten in die Schuhe zu schieben ...
Er ass 20 Tafeln Schokolade
In dem „Focus“-Filmbericht wurden etliche Übergewichtige vorgestellt. So berichtete der 5-jährige Diego über seine Lieblingsbeschäftigungen: Fernsehen und Schokoriegelessen. Ein 16-jähriger, 162 kg schwerer Bursche betonte, die Lust zum Essen sei bei ihm so schlimm gewesen, dass er immer auf der Suche nach Nahrung war. Bevor er in das Adipositas-Rehazentrum Insula kam, ass er täglich bis zu 20 Tafeln Schokolade. Die durchschnittliche tägliche Kalorienaufnahme betrug bei ihm 10 000 kcal! Die Mutter des Schwergewichtigen schloss sogar den Kühlschrank ab und kürzte das Taschengeld. Aber er fand immer Mittel und Wege, um sich Essen zu beschaffen. Eine Jugendliche ass nur Fast-Food und als Zwischenmahlzeit 1 kg Quark am Tag. Schier unglaublich: Eine 8-Jährige erhielt nie Gemüse von ihrer Mutter.
Wie Dr. Wolfgang Siegfried, Leiter der Insula-Klinik, betonte, erhalten die adipösen Kinder eine energiereduzierte Kost (1600 bis 1700 kcal/Tag) mit reichlich Gemüse und Salat und viel Bewegung. Die Fast-Food-Generation muss zuerst lernen, mehr Gemüse und Salat zu essen. 2/3 der Patienten nehmen jedoch nach dem Klinikaufenthalt wieder zu. Für diese bietet der Klinikchef eine Vertiefungstherapie an. Die Ehemaligen werden eingeladen und essen mit den neuen Kandidaten ihre Speisen und tauschen Erfahrungen aus.
„Die allermeisten Eltern sehen nicht, dass ihre Kinder übergewichtig sind“, betonte Dr. Dorothea Kroll, die 160 adipöse Kinder in Berlin-Spandau betreut. Die Kinderärztin bietet spezielle Abnehmprogramme an. Sie bedauert, dass nur wenige Kinderärzte hier aktiv werden.
Auch die Nahrungsmittelindustrie bekam ihr Fett ab. Durch geschicktes Marketing werden dick machende Nahrungsmittel als „gesund“ verkauft. Als negative Beispiele wurden spezielle Schokoladen für Kinder und Frühstücks-Cerealien mit hohem Zuckeranteil genannt. Diese Produkte sind Kalorienbomben.
Kein Glück mit der Ernährungsumstellung
Ernährungsgewohnheiten bei Kindern lassen sich schwer ändern. Dazu 2 Beispiele: An einem Gymnasium in der Nähe von Kaiserslautern wurde einige Zeit lang eine gesunde Kost als Mittagsmahlzeit angeboten. Bevor dieser Versuch gestartet wurde, waren die Verantwortlichen auf der Suche nach einem Sponsor. Bezeichnenderweise war nur der Nestlé-Konzern bereit, hier Gelder locker zu machen.
Die Lieblingsspeisen der Kids waren vor diesem Experiment Pizzas, Döner, Pommes und Hamburger. Der Küchenchef war jedoch mit der Annahme des neuen Essens nicht zufrieden, vieles ging wieder zurück. „Sie wollten wieder ihre gewohnte Kost“, so der Küchenchef.
Dr. Mathilde Kersting berichtete über ähnliche Tendenzen in den USA. Die Ergebnisse fielen nach einem 30-jährigen Bemühen, das Essen der Heranwachsenden umzustellen, eher nüchtern aus. Die Kost ist heute immer noch zu fett und enthält eine erhebliche Menge gesättigte Fettsäuren. Viele Schulkantinen wurden geschlossen und durch Filialen von McDonald’s ersetzt. Fast-Food-Ketten und Cola-Produzenten treten als Sponsoren für Schuleinrichtungen auf und erhalten dann als Gegenleistung die Exklusivverkaufsrechte ihrer Produkte an der jeweiligen Schule.
140 Milliarden Dollar für Fast-Food
Die Fast-Food-verrrückten Amerikaner geben 140 Milliarden Dollar pro Jahr für diese schnelle Kost aus. 25 % der US-Bürger besuchen täglich ein Fast-Food-Restaurant, essen dort oder kaufen dort ein.
Dazu ein Beispiel aus dem Filmbericht: Eine berufstätige übergewichtige Frau besorgt sich jeden Tag Cola, Sprite, Pizza, Hamburger und Pommes auf dem Nachhauseweg – sie hat, wie sie sagt, keine Zeit zum Kochen – und dann wird zusammen mit der adipösen Tochter gemampft, bis sich beide gesättigt in den Fernsehsessel fallen lassen. Die Tochter leidet bereits unter Atembeschwerden und benützt ein Beatmungsgerät. Auf die Frage „Hält Dich das nicht ab, Hamburger und Pommes zu essen?“, antwortete sie: „Nicht wirklich.“ Kaum gesagt, mampfte sie mit einem leidenden Gesichtsausdruck weiter.
Vielen ist gar nicht bewusst, wie viele Kalorien die Produkte enthalten. Es wird manche überraschen, dass beispielsweise eine Pizza um die 1000 kcal oder eine zuckerreiche Portion (100 g) an Frühstücks-Cerealien 450 kcal hat.
Mediziner bezeichnen die Adipositas (Fettleibigkeit) als die Epidemie des 21. Jahrhunderts. Jährlich sterben bereits 300 000 US-Bürger an den Folgen einer Dickleibigkeit.
Grosse Geschäfte mit Adipösen
Es gibt inzwischen etliche Unternehmen, die riesige Geschäfte mit der Dickleibigkeit machen. So gibt es Versandhäuser, die Kleider in XXL-Grössen anbieten. Angeboten werden auch Spezialreisen für Dicke, zudem sind verstärkte Stühle, Betten, übergrosse Kloschüsseln im Handel. Auch Sarghersteller machen das grosse Geschäft. In den USA gibt es Spezialsärge mit einer Breite von 1,20 Metern.
Die grössten Gewinne fährt die Diätindustrie ein. Als Beispiel wurde das „Atkins-Diät-Programm“ genannt. Jeder 5. Amerikaner fiel bisher auf diese unsinnigen Diätempfehlungen herein. In den letzten 7 Jahren wurde jedes Jahr der Umsatz mit Atkins-Produkten verdoppelt. Ein wahnsinniges Ergebnis für leichtgläubige Menschen, das ist meine Meinung. Die US-Bürger wurden mit falschen Informationen überschüttet, und keiner hat es gemerkt. Ob nach dem Tod des Erfinders dieser Diät – er soll nach Angaben des Leichenbestatters 258 Pfund gewogen haben – und negativen Berichten von ehemals Diätgläubigen ein Umdenken erfolgt, ist fraglich.
So sehen dicke Kinder als Erwachsene aus
BBC3 strahlt zurzeit eine Fernsehserie mit dem Titel „Honey, We Are Killing The Kids“ („Liebling, wir bringen unsere Kinder um“) aus. In dieser Serie werden übergewichtige Kinder per Computergrafik so verändert, wie sie mit 40 Jahren aussehen, wenn sie sich weiterhin falsch ernähren. Als die Kinder dies sahen, waren sie schockiert. Die Kinder nahmen zusätzlich zu ihrer kalorienreichen Kost täglich bis zu 2 Liter gezuckerte kohlensäurehaltige Softdrinks zu sich. Ernährungsberater und Psychologen erstellen jetzt für die jeweilige Familie einen 4-wöchigen Ernährungsplan mit gesunder Kost auf. Die zuckerhaltigen Getränke und frittierte Speisen werden jetzt durch Mineralwasser, Salate, Früchte und Gemüse ersetzt. Hinzu kommen sinnvolle Freizeitbeschäftigungen. Wie die „Kronen Zeitung“ am 12. Juli 2005 berichtete, „legt man gerade in jungen Jahren den Grundstein für sein weiteres Leben.“
Gesundheitsförderung durch McDonald’s?
Wissenschaftler des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin fordern mehr Gesundheitsförderung in Kindergärten und Schulen. Dies ist richtig, denn ich beobachte immer wieder, wie Eltern ihre Kinder mit ungeeigneter Kost vollstopfen. Aber auch die Erwachsenen sind schlechte Vorbilder. So sah ich oft in Cafés oder Gaststätten, dass gerade die Korpulentesten besonders scharf auf Schwarzwälder Kirschtorten, Schoko-Sahnetorten und kalorienreiche Menüs waren.
Ich meine, die richtige Vermittlung einer gesunden Ernährung sollte frühzeitig beginnen. Im Kindergarten meines Enkels kommt regelmässig eine Ernährungsberaterin, die ihre Sache wirklich gut macht (es werden auch Eltern eingeladen; dann bereitet sie zusammen mit den Kindern ein gesundes Gericht zu).
Vorsicht vor den Fast-Food-Konzernen, die ihre Ansicht von einer gesunden Ernährung bereits den Kleinsten vermitteln wollen. In Österreich wurde kürzlich, wie die „Kronen Zeitung“ berichtete, McDonald’s verboten, Ernährungsunterricht in Kindergärten zu erteilen.
Ich finde es richtig, wenn die Bremer Forscherinnen und Forscher um die Professorin Iris Pigeot fordern, dass „Möhre statt Big Mac, Apfel statt Schokoriegel, Vollkornbrot statt Pizza nicht Wunsch bleiben, sondern immer mehr zu Wirklichkeit werden sollten“. Es gibt also noch viel zu tun (nicht allein) in unserem Land, um gesunde und vitale Kinder heranwachsen zu sehen.
Weitere Informationen zum Thema Fettsucht
Walter Hess: „Kontrapunkte zur Einheitswelt“, Kapitel: „Gesundheit hat mit der Nahrung zu tun“, Verlag Textatelier.com GmbH, Biberstein 2005.
Walter Hess: „Hinschied des Diät-Revolutionärs Atkins“, Textatelier.com
Heinz Scholz: „Diäten, die mehr schaden als nützen“, Textatelier.com
Heinz Scholz: „Fast Food zum Abgewöhnen“, Textatelier.com
Heinz Scholz: „Dicke Amerikaner“, Textatelier.com
Heinz Scholz: „Richtig gut einkaufen“. Dieses Buch erscheint Mitte September 2005 in der Verlag Textatelier.com.GmbH, Biberstein. Bitte beachten Sie die Informationen im Bücher-Teil: Startseite, linke Spalte.
Bundesgesundheitsblatt: http://www.bundesgesundheitsblatt.de
Pressemitteilung der Universität Bremen: http://idw-online.de/pages/de/news84110
Infos über gesunde Kost: www.dr-schnitzer.de
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