Textatelier
BLOG vom: 11.08.2005

Mühsamer Bericht über Handaushub im lehmigen Jurakalk

Autor: Walter Hess

Bitte lesen Sie dieses Tagebuchblatt nicht. Es enthält nichts Neues, nichts, das Ihr Leben erleichtern und Ihnen zu neuen Erkenntnissen verhelfen könnte. Schade für die Zeit. Tun Sie etwas Sinnvolleres! Glotzen Sie in die Glotze! Oder telefonieren Sie in der Welt herum! Ist die Verbindung einmal hergestellt, fällt Ihnen vielleicht schon etwas ein, das sie in aller Breite erzählen können. Nur zu! Oder lesen Sie ein gutes Buch! Etwas Schöneres, Erbauenderes gibt es kaum! Jedermann auf seine Weise.

Also, zurück ins Notizbuch: Weil ich heute wegen eines kleinen Mäuerchens zur Hangbefestigung einen Aushub im lehmigen Jurakalk machen musste, habe ich mich einfach mit der Aussicht auf eine Beschreibung der mühseligen Arbeit belohnt. „Wenn du den Aushub beendet hast, darfst du die Arbeit beschreiben“, sagte ich mir. Geschafft. Und so schreibe ich jetzt ganz allein für mich. Die Buchstaben werden einfach deshalb im Internet deponiert, weil dort genügend Platz ist. Der Umstand, dass Handaushub im Juragestein wohl noch nie so detailliert beschrieben worden ist, tut nichts zur Sache.

Die Aushub-Beschreibung: Der lehmige, mit Jurakalkbrocken jeder Grösse durchsetzte Boden unter einer dünnen Humusdecke muss zuerst mit einem Pickel gelockert werden. Wählt man die flache Seite des Pickels und schlägt man kräftig drauflos, stoppen Steine den Schlag brutal ab. Man spürt die Schläge in Händen und Armen; schlägt man weniger fest, bringt es gar nichts. Die Pickelspitze, wenn sie nach unten gerichtet ist, dringt tiefer in die Unterwelt, reisst ein Gräbchen auf. Ihr fehlt es an Breitenwirkung. Ich werde darauf zurückkommen.

Funken stoben in der sich abzeichnenden Miniaturgrube, und ein Steinsplitter flog an meine Brille. Meine Frau sagt angesichts der zerkratzten Brille jeweils, ich solle mit diesem teuren Gerät bitte sorgsamer umgehen – aber bei mir schienen Hopfen und Malz ohnehin verloren zu sein. Es sei eines der Weltwunder, dass ich überhaupt noch durch die Gläser sehen könne, fügt sie dann noch bei. Nach dem Steinschlag ein Tiefschlag. Ich trags mit Fassung.

Den Durst löscht man bei Schwerarbeiten besser nicht mit Bier. Es macht schlapp, und mit der Bierseligkeit ist es auch nicht weit her. Ich trinke intensiv kalkhaltiges Jurawasser. Unser gutes Wasser.

Wasser-Einflüsse: Nach einer Trockenperiode ist der Boden hart, nach Nässe jeweils schmierig; der Lehm klebt an Pickel und Schaufel. Die Werkzeuge sind dann schwer und schwer zu bedienen. Man wird den Dreck nicht los. Heute war es ziemlich trocken. Beim Vordringen ins Erdinnere fühle ich mich mit den Tunnelarbeitern, die unsere Alpen durchlöchern, tief verbunden. Sie stammen meistens nicht aus dem Ursprungsland des Emmentalers.

Im Umfeld grösserer Kalkbrocken empfiehlt es sich, die spitzige Seite des Pickels nach unten zu richten, die dann, wo immer möglich, tiefer in den Boden eindringt, locht und lockert. Der Pickelstiel entfaltet beim Versuch, den Stein aus der Verankerung im Erdreich zu lösen, eine Hebelwirkung – entweder der Hartholzstiel bricht oder der Stein löst sich. Meistens gibt das Holz nach. Ich habe immer einige Stiele in Reserve. Die zerbrochenen verwende ich zum Aufheizen des Brotbackofens. Ich habe zur Reduktion des Stielverbrauchs noch ein Brecheisen (Rammeisen) eingesetzt und dieses möglichst tief in den Boden gerammt, wenn immer es nicht an einem Stein abprallte. Manchmal gibt der Boden als der Gescheitere nach, aber nicht immer ... Steine haben ein merkwürdiges Beharrungsvermögen. Sie sind pickelhart, wenn man sie von ihrem angestammten Platz entfernen will.

Zwischen Steinen und Lehm sind Wurzeln, welche die Lockerungsarbeit arg behindern. Sie haben die Festigkeit von Abschleppseilen, leisten aber jedem Versuch des Abschleppens heftig Widerstand. Wie sie sich den Weg durch diesen steinbeinharten Bodenlehm bahnen konnten, ist mir schleierhaft. Ein weiteres der unendlich vielen Naturwunder, die sich an der Handaushub-Baustelle einstellen. Man muss sie (die Wurzeln, nicht die Wunder) mit einer Rebschere oder einer Säge entfernen; manchmal genügen einige kräftige Pickelschläge. Gelegentlich taucht ein Regenwurm auf, den ich unbedingt retten will. Ich lockere den vertrockneten Lehm um ihn sorgfältig, bringe ihn von Hand in den Garten, damit er dort den Boden umsetzt. Wie solch weiche Tiere in diesem pickelharten Boden herumkriechen können, ist mir ebenfalls unerklärlich. Dabei bleiben sie so sauber, dass sie von Vögeln ungewaschen gefressen werden. Ich habe Respekt vor diesen Tieren, vor den Würmern und den Vögeln.

Das gelockerte Material muss etappenweise weggeschaufelt werden. Der lockere Aushub ist wesentlich voluminöser als das kompakte Material im Hang. Ich habe immer das Gefühl, ich hätte überhaupt noch nichts abgetragen, aber dennoch einen grossen Haufen Aushub produziert. Kaum hat man wieder etwas Material mühselig gelockert, ist das Loch wieder voll. Denselben Effekt hat man in umgekehrter Weise beim Pürieren und Kochen von Spinat.

Und nach Stunden, kurz bevor die nötige Aushubtiefe erreicht ist, begegnet man regelmässig einer Stein-Rundung, die auf allen Seiten in die Unterwelt eintaucht und sich dort verliert. Dieser Stein muss noch weg. Und bei den diesbezüglichen Gewaltübungen erkennt man, dass die erwähnte Rundung nur die Spitze eines Stein gewordenen Eisbergs war. Der Stein erweist sich als viel grösser, tiefgreifender als vermutet. Man wagt den Zweikampf mit den letzten Kräften, pickelt, schaufelt, setzt das Brecheisen und dann noch einen Wagenheber ein. Und am Ende, wenn der Stein aus dem Loch gehoben und abtransportiert ist, ist das Loch zu gross. Man muss es z. B. mit Splitt oder Pflaster auffüllen und das Füllmaterial feststampfen. Sonst sinkt das Mäuerchen ein.

Es ist ein reines Vergnügen, über den Handaushub zu schreiben, das Ausheben als solches weniger. Bauarbeiterschicksale von damals. Die Bauarbeiter haben meines Wissens nicht darüber geschrieben, ein tristes Leben. Die heutigen Bauarbeiter sind Maschinisten. Maschinen können alles und kommen schneller vorwärts.

Ich bin noch der letzte Handausheber mit Schwielen an den Händen und einer zerkratzten Brille, ein museumsreifes Fossil wie die spiraligen Ammonitenspuren, die manchmal in einem Jurakalkstein abgebildet sind. Für all dies interessiert sich kein Mensch. Wie gesagt. Aber das ist begreiflich und auch nicht nötig.

Ich brauche übrigens keine Schlafmittel. Das eingesparte Geld investiere ich stilrein in Pickelstiele – und nicht etwa in Bagger.

Gute Nacht.

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