Fall Voser: Technik gegen das zu Ende gehende Leben
Autorin: Lislott Pfaff
Wie ein Brief der im Verlauf einer Herztransplantation am 23. April 2004 verstorbenen Rosmarie Voser an die Qualitätskontrolle des Universitätsspitals Zürich vom März 2005 gelautet haben könnte:
Sehr geehrte noch auf der Erde lebenden Damen und Herren,
Sie fragen mich mit Ihrem sehr bürokratisch wirkenden Brief, ob ich mit den Leistungen Ihrer Behandlung zufrieden war. Ich kann diese Frage leider nicht vorbehaltlos beantworten. Einerseits bin ich jetzt glücklich, da ich, von meinen Leiden erlöst, ein zeit- und raumloses Dasein friste, dessen Schönheit Sie sich als an die Erde und ihre Begrenztheiten gebundene Bewohner gar nicht vorstellen können. Insofern bin ich froh, dass Ihre Ärzte mich in diesen an sich wünschenswerten Zustand versetzt haben.
Andererseits hätte ich es vorgezogen, diesen Zustand ohne den erwähnten Beistand Ihrer Herzchirurgen zu erreichen. Denn früher oder später wäre ich ohnehin an meiner Herzschwäche gestorben – nur ohne all den Horror, den ich bis zu meinem Tod an Ihrem Universitätsspital durchmachen musste: vor der Operation etwa 40 Untersuchungen, darunter Magen- und Darmspiegelungen, Zähneziehen, mehrere Schläuche in meinem Körper usw. Und dann die Operation selber, besser gesagt die Operationen (in der Mehrzahl). Es widerspricht allein schon der menschlichen Würde, wenn einem der Brustkorb aufgesägt wird. Ein neues Herz wollte ich ja, aber ich war mir nicht bewusst, was das alles mit sich bringt − die Nähte im Brustraum, an der Hauptschlagader und an den Lungenarterien. Die darauf folgende Herzrhythmusstörung ging ja noch, der Einsatz eines Herzschrittmachers auch. Aber dann diese Pumpe in der Aorta, die inneren Blutungen und schliesslich die nochmalige Öffnung meines Brustkorbs – wieder ein vernichtendes Gefühl der Würdelosigkeit.
Ja, natürlich war ich bewusstlos, aber glauben Sie ja nicht, der Geist nehme solche körperlichen Erlebnisse nicht trotzdem wahr. Schliesslich ging es um mein Herz, um das Zentrum meines irdischen Selbst, meiner irdischen Gefühle, meines irdischen Lebens. Manchmal leide ich jetzt noch an diesen Schreckensstunden und -tagen, die ich auf der Erde, fern von meinem Heim, in einer sterilen Spitalwelt verbracht habe. Und mein Brustkorb wurde sogar noch ein drittes Mal geöffnet, daraufhin das fremde Empfinden der Herz- Lungen-Maschine: Technik pur gegen ein zu Ende gehendes Leben. Wie gesagt, ich hatte mir den Übergang vom Leben zum Tod angenehmer vorgestellt.
Es tut mir Leid für Sie, dass Sie mit der Fernseh-Reportage dieser Operation nicht auf einen weiteren Erfolg Ihres Transplantations-Zentrums aufmerksam machen konnten. Aber eben, so ist halt das Leben beziehungsweise das Sterben ...
Gez. R. V., 26. Juni 2005
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