„Nürnberger Reise“: Unterwegs mit Hermann Hesse
Autor: Emil Baschnonga
Ende 1925 hatte Hermann Hesse ein Meisterwerk geschrieben, die „Nürnberger Reise”. Seine Reise vom Tessin bis zur Endstation Nürnberg dauerte insgesamt 6 Wochen, von vielen Zwischenhalten unterbrochen. Sein Reisebericht ist von Jugenderinnerungen und Abstechern in seine Gedankenwelt durchwoben. Er suchte alte Freunde auf und genoss ihre Gesellschaft so sehr wie den vortrefflichen Wein, den sie ihm auftischten.
Er war auf einer Vorlesungsreise unterwegs. „Wodurch nun“, fragte er, „wird es diesem Dichter (Hesse) ermöglicht, seine Blätter dennoch zu lesen, statt davonzulaufen und sich aufzuhängen?“
Beim Lesen bin ich sein Reisebegleiter geworden. Frech und wagemutig füge ich meine Reisegedanken bei, denn er ist mein Freund und wird es mir nicht übel nehmen.
„Der Verfasser (Hesse) dieser Reiseerinnerung hat nicht das Glück, zu jenen Menschen zu zählen, welchen für ihre Handlungen klare Gründe bewusst sind ...“, beginnt sein Bericht. Diesen Morgen früh bin ich im „Buch des Betrachters“ des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset (ebenfalls ein lieber Freund) auf den Satz gestossen: „Denn das Leben der Person und des ganzen Universums kennt keine definitiven Zustände, sondern nur eine unaufhörliche Folge von Umständen, die einander ablösen und aufheben.“
Das bewahrheitete sich auch immer wieder auf meinen Geschäftsreisen. Ich hatte oft ein ähnlich ambivalentes Gefühl wie Hermann Hesse auf seiner Vorlesetour. Zum Glück wechseln die Umstände. Jede Geschäftssitzung fand ihr Ende, so dass ich zu besseren Zuständen gelangte, draussen in meiner eigenen Freiheit, im vollbeschäftigten „Nichtstun“, wie es auch von Hermann Hesse so sehr geschätzt wurde.
Das Wort und der Ort „Blaubeuren“ beschworen in Hesse sinnliche Phantasien aus seinen Jugendjahren herauf. Das Titelbild seines Besuchs zeigt die ‚schöne Lau’, die Eduard Mörike (1804−1875) „schwebend bis an die Brust im Wasser“ erscheinen liess, im offenen Brunnen im Kellergewölbe des Nonnenhofes. Diese schöne Lau hatte es Hermann Hesse ebenfalls angetan. Seine Phantasie wechselte zwischen der schönen Lau und der Judith (aus dem „Grünen Heinrich“ von Gottfried Keller) hin und her. Er war sehr enttäuscht, als er den Keller des Nonnenhofes besuchte: „… und es enthüllte sich eine dieser gewohnten Rohheiten, nämlich ein zementierter Fleck, noch ziemlich neu, Zementglattanstrich, und hier war also das Bad der Lau! Unter diesem verfluchten Zementflecken …“
Ich selbst hatte keine literarische Fixpunkte für meine sinnlichen Phantasien, ausser vielleicht und vorübergehend Emily in Charles Dickens „David Copperfield“. Meine Geliebten sind die Schosskinder meiner eigenen Phantasie und diese heissen Emma, Jasmina und Latifa (die ich gern für den Leser aufleben lassen möchte, wenn meine beiden Liebesnovellen eines Tages vielleicht veröffentlicht werden).
„Nachdem wir die Denkmäler frömmerer Zeiten besucht hatten ...“ – so ergreifend konnte sich nur Hermann Hesse ausdrücken. Auf seiner Reise begegnete er vielen Schutzpatronen, die ihn „von der trüben Ebene der Erfahrungswelt“ ablenkten.
Heute haben wir Patronen statt Schutzheilige.
Höchste Zeit also, um wieder bei Hermann Hesse einzukehren und einen guten Tropfen mit ihm zu geniessen.
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