Intensivregen und Feuer: Nachhilfe für Naturkatastrophen
Autor: Walter Hess
Es hat in den letzten Tagen stark geregnet, bis 250 Liter pro Quadratmeter, und das ist viel, sehr viel. Vor allem die Innerschweiz und das Bernbiet sind betroffen, aber auch die Ostschweiz inkl. Graubünden. Meine Schwägerin Greti aus Reichenbach im Kandertal BE hat einen mit Schlamm gefüllten Keller und verliess ihr Haus vorübergehend vorsichtshalber; sie ist verzweifelt. Die von Menschenhand übel zugerichtete Kander, die dem Tal den Namen gegeben hat, wird übrigens jetzt wieder renaturiert – früher lief dieser wilde Bach nicht in den Thunersee, sondern unterhalb davon in die Aare. Der Thunersee muss macherlei über sich ergehen lassen.
Wasser entfaltet eine ungeheure Kraft und Wirkungen, gibt Gegenständen Auftrieb, reisst alles Mögliche mit: Bäume, Autos, Campingwagen, Siloballen, mit denen Industriebauern die Landschaft dekorieren; Wasser führt zu Bergstürzen, reisst Strassen und Bahnlinien weg. Strassen, manchmal auch innerorts, werden zu reissenden Bächen.
Naturgewalten. Was haben aber wir Menschen dazu beigetragen? Wir sind Wettermacher geworden, greifen ins Klima ein. Es ist mir egal, was Wissenschaftler sagen und herausgefunden haben wollen oder die Unwissenden spielen: Allein unsere enorme CO2-Produktion kann nicht ohne Klimafolgen bleiben. Da genügt logisches Nachdenken. Der Umweltschutz gilt in der neoliberalen Globalisierung, in der es nur um kurzfristige und kurzsichtige Geschäftemachereien geht, nichts mehr.
Und die Leistungen der Wasserbauer waren in den vergangenen Jahrhunderten schlichtweg eine Katastrophe; das Wort ist auch hier angebracht und treffend. Sie vergassen, dass Gewässer Auslauf brauchen wie das liebe Vieh, allerdings aus anderen Gründen. Bei grossem Wasseranfall braucht das Wasser Platz in Form von Überschwemmungszonen dort, wo das Gebiet nicht oder nur schwach genutzt wird (Rückhaltegebiete). Doch Planer und Wasserbauer kanalisierten, zwängten die Gewässer ein, beschleunigten den Abfluss, die Überschwemmungsgefahren nach unten verlagernd. Mit politischem Segen. Man erinnert sich vielleicht wieder einmal daran, dass Sümpfe (Feuchtgebiete aller Art), die man trockenlegte, eine wichtige ökologische Pufferfunktion wahrnahmen. Man wollte Landwirtschaftsland gewinnen und muss die Bauern jetzt dafür bezahlen, dass sie nichts tun, damit die Natur wieder eine Chance erhält und es nicht noch mehr Überschüsse an Landprodukten gibt.
Die Landwirtschaftspolitik ist in ihren Auswirkungen wahrscheinlich noch verheerender als die Wasserbauer-Philosophie. Die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren maschinell verdichteten Böden führt ebenfalls zu einem vermehrten Oberflächenwasseranfall. Der Regen kann nur noch zum kleinen Teil versickern, läuft ähnlich wie über einen befestigten asphaltierten Platz ab und nimmt den Humus mit sich: Die angeschwollenen Bäche und Flüsse sind braun, durchsetzt mit humosen Bestandteilen, welche die Maschinen zerstören, wenn sie in deren Innereien eindringen und den Reinigungsaufwand erhöhen. Und die gute Erde fehlt dort, wo man sie brauchen würde.
Es hat in den letzten Tagen besonders stark geregnet, fürwahr. Aber dieser intensive Regen hätte nicht zu diesen enormen Schäden führen müssen, wenn in der Vergangenheit ein wenig ökologisches Fingerspitzengefühl vorhanden gewesen wäre – statt blosse Lust am Betonieren und Verbauen ...
...wenn man die Kanalisierungseuphorie nicht bis zum Exzess getrieben hätte (ich habe mit publizistischen Mitteln schon ab den 60er-Jahren dagegen angekämpft und z. B. einen Freiämter Bauern unterstützt, der sein Wiesenbächlein vor der Güterregulierung retten wollte);
... wenn man etwas zurückhaltender im Abdichten von Böden gewesen wäre und also die Abflussmengen nicht noch künstlich über jede Gebühr und Notwendigkeit hinaus vergrössert hätte;
... wenn man nicht exzessiv „reguliert“ und „korrigiert“ hätte, und
... wenn man Häuser nicht in bekannten Rutsch- und Überschwemmungszonen gebaut hätte.
Der Umgang mit dem Wasser war und ist dilettantisch. Ich erlebe das gerade aktuell in Biberstein. Der Obere Dorfplatz wurde neu gestaltet (Blog vom 4. 6. 2005: „Die Piazza del Campo in Biberstein AG ist eingeweiht“). Und der alte Brunnen wurde leider durch einen Granitbrunnen ersetzt, dessen Material keinen Bezug zum einheimischen Jurakalk hat. Der neue Brunnen hat einen länglichen grossen Trog und einen angegliederten kleinen, etwas abgesenkten Trog. Das Wasser sollte vom grossen zum kleinen Trog fliessen, wie das bei vielen Brunnen üblich ist (und sogar funktioniert). Das gelang den modernen Brunnenbauern nicht mehr.
Zuerst war der kleine Trog breiter als der grosse. Dann wurde er demontiert und verkleinert. Aber den Steinmetzen gelang es nicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das Wasser vom grossen in den kleinen Trog fliesst. Es geriet stattdessen auf den Rand des kleinen Trogs, lief über die Brunnenwand auf die Strasse ... Um die Schildbürgerei komplett zu machen, wurde die Abflussröhre des grossen Trogs abgesägt, so dass das Wasser dort direkt abläuft und der kleine Trog leer und trocken bleibt – wenn es nicht gerade regnet ... Man hat offenbar kapituliert.
Das Bibersteiner Brunnen-Beispiel hat keine grosse Tragweite, ist eher ein vergnüglicher Schildbürgerstreich, diesmal ungewollt. Aber es ist bezeichnend. Heute ist das Wissen, dass Wasser abwärts fliesst, kein Allgemeingut mehr (ich wusste das schon im vorschulpflichtigen Alter). Es ist unglaublich, was heute alles schief läuft und zur Katastrophe wird. Man macht dann in Betroffenheit, räumt auf, hilft – alles ist richtig und soll auch so sein. Die meisten Leute, die zu Schaden kommen, können nichts dafür. Aber darob sollte man das Nachdenken gleichwohl nicht vollständig vergessen.
Ähnliche Fehlleistungen sind in den feuergefährdeten Ländern festzustellen. Im Moment brennt es in Portugal an zahlreichen Orten. Einige Feuer mögen natürlichen Ursprungs sein. Aber die meisten entstanden aus mutwilligen Brandstiftungen (zur Gewinnung von Bauland) – vergleichbar mit unseren Kanalisierungen und Entsumpfungen. Und dann veranstaltet man selbst in Trockenperioden noch Feuerwerke, die bereits in feuchten Zeiten ein Unfug sind, wirft brennende Raucherwaren weg.
Die Natur führt immer wieder zu Katastrophen: Feuer, Stürme, Sintfluten, Erdbeben usf. gehören dazu. Ohne menschliches Zutun. Diese Katastrophen kann niemand im Griff haben. Man sollte sich damit zufrieden geben und nicht durch unsinnige Eingriffe diese noch zu vergrössern trachten.
Die Medien weichen der Schuldfrage aus. Niemand ist schuld. Und das ist ein grosses Problem. Solange nicht ehrlich und offen die Gründe und die menschlichen Irritationen beim Namen genannt werden, wird und kann sich nichts zum Besseren wenden.
Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Offenheit könnten hier lebensrettend sein. Feigheit, Unterdrückung unbequemer Wahrheiten, Lügen und Verdrängung aber führen zu Ausnahmezuständen ... die allmählich die Regel werden. Die Natur rächt sich nicht. Sie nimmt unter den gegebenen Voraussetzungen ihren Lauf, der nach menschlichen Eingriffen dann manchmal halt etwas gar heftig ausfällt.
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