Textatelier
BLOG vom: 28.08.2005

Feuer und Flamme für das lukullische Biberstein (725 Jahre)

Autor: Walter Hess

Biberstein hat 1060 Einwohner und feierte am Wochenende den 725. Geburtstag. Pro Einwohner hat die Gemeinde also 0,684 Jahre oder 250 Tage auf dem Buckel, welch letzterer als Jura in Erscheinung tritt. Und so etwas muss selbstverständlich gebührend gefeiert werden, auch wenn die Bestimmung des Geburtsjahrs im Dunkel der Historie liegt (siehe Blog vom 10. 2. 2005: „Wenn die Gegenwart in Zukunft Vergangenheit sein wird“). Doch ich will hier nicht grübeln. Wichtig ist das Fest als solches und nicht der Grund.

An 3 Tagen habe ich mich ins Festgetümmel vorgewagt und dabei festgestellt, dass hier vor allem für leibliche Genüsse gesorgt war. Grosse detektivische Fähigkeiten waren dazu nicht vonnöten. Das Dorf war voller Beizen wie schon lange nicht mehr. So etwa servierte die neuuniformierte Musikgesellschaft Biberstein Raclette, die bürgerlichen Parteien boten frittierte Fische mit Rechtsdrall an, es gab dorfabwärts auch Nasi Goreng sowie Hot Dogs, Beweisstücke für Weltoffenheit, und der Jodlerclub Haselbrünneli servierte in einem Nebengebäude des Schlosses ein richtiges Sonntagsmenu mit Kartoffelstock, eigenhändig mit Muskatnuss verfeinert, Rindsbraten und Gemüse.

Meine angetraute Ehehälfte half ihrer Schwester in Reichenbach im Kandertal BE beim Bewältigen der Überschwemmungsfolgen – starke Männer (die weniger gut putzen können) habe sie genug, sagte meine Schwägerin, mein Hilfsangebot in den Regen schlagend. Und so war ich nach harten Gartenarbeiten froh, dass irgendwo in der Nähe noch währschaft gekocht wurde. Ich hatte das grosse Glück, im „Jodler-Stübli“ von Silvia Widmer bedient zu werden, mit der zusammen ich während der Zeit vor meiner Pensionierung viele Bus-Fahrten nach Aarau und zurück unternommen habe, eine reife Dame mit viel Ausstrahlung, was wichtiger als eine mehrjährige Ausbildung im Servicefach ist.

Der Kartoffelstock, der nicht allein auf Jodlermist gewachsen war, schmeckte auch als Halbfertigprodukt ordentlich, ebenso wie der Braten mit der braunen, währschaften Sauce, die mich an die Kochkünste meiner leiblichen Mutter erinnerte (an der die Vorfabrikation mit ihren Saucenwürfeln auch nicht spurlos vorbeigegangen war), und der Höhepunkt war vor allem das von Hand geschnittene Gemüse. Ich bin ein Bewunderer von Handarbeit. Den Verzehr des im Menupreis von 15 CHF inbegriffenen „Ice Cafés“ („Carte d’Or“) aus der ovalen Plastikverpackung tat ich mir selbstverständlich nicht an; irgendwo findet mein Jodler-Enthusiasmus sein seliges Ende. Die einsichtvolle Silvia hatte volles Verständnis dafür. Sie trug diesbezüglich auch keinerlei Verantwortung. Aber ich bewunderte die Jodler, die sich unter schwierigen Bedingungen hinter solch ein währschaftes Menu herangewagt hatten. Jodlerkäppi ab!

Ich kaufte beim Rotary-Stübchen im Schlosshof noch eine wohltätige Brezel und traf dort meinen früheren Redaktionskollegen Gaudenz Baumann, der in eine lange schwarze Kellnerschürze gekleidet war. Adel verpflichtet. Er war im Service tätig. Wir unterhielten uns über Brezel-Füllungen und beklagten überdies gegenseitig das Leid über den offensichtlich eklatanten publizistischen Niedergang – so einig waren wir schon lange nicht mehr gewesen. Gaudenz, ehemaliger Ausland-Redaktor, erträgt die Weltberichterstattung in den modernen Medien kaum noch und vertritt die Auffassung, allein schon die läppischen Homestories nach Sahlenweidli-Manier, die auch von Druckmedien nachgeahmt werden, würden zu viele Kräfte binden. Noch selten waren wir uns als vollkommen unterschiedliche Naturelle dermassen einig. Wir hatten schon während unzähligen „Aargauer Tagblatt“-Redaktionssitzungen über Sinn und Unsinn der Auto-Förderung und den Autokult gestritten, wobei ich jeweils die gegnerische Position einnahm. Die Entwicklungen gaben dem Gaudenz Recht. Ich fühle mich dennoch gut, bremsend, das heisst mit abgeschliffenen Bremsen auf den Autokult eingewirkt zu haben.

Übrigens schmeckten die Rotary-Brezel exzellent. Der nach innen und aussen wirkende Club hat seine Existenzberechtigung schon wegen des Vertriebs dieser Brezel aus der Schlossbäckerei, dessen Gewinn dem Schloss Biberstein als Heim für Behinderte zugute kam.

Durchs Dorf fuhr ein zur Spanischbrötlibahn umgebauter Traktor, hupend und mit Glockengebimmel, was wiederum mit dem Bereich „Essen“ zu tun hat: Es ging ja damals um den Transport von Frischgebäck zwischen Zürich und Baden; Biberstein lag allerdings nicht im Brötli-Einzugsgebiet. Hier deckte man sich mit kräftigendem Schwarzbrot ein.

Und am Sonntagvormittag wurde unterhalb des Schlosses, ganz in der Nähe der reissenden Aare, die sich im Normalfall hier auszuruhen beginnt und zum Stausee wird, ein grosser runder Grillplatz eingeweiht. Wohl über 700 Personen nahmen daran teil. Gemeindeammann Peter Frei im Festornat beschrieb die Symbolkräfte von Kreis und Feuer. Er sorgte also nicht für Grilliertes, sondern für geistige Kost. Und als 2. Festredner amtete der Aarauer Vizeammann Beat Blattner, der ebenfalls Feuer und Flamme für Biberstein war und dem man wegen seiner Zahnstellung früher „Biber“ gesagt hatte. Das traf sich wunderbar. Neben einem jungen Eichenbaum brachte er denn auch ein Stück rundum angeknabbertes Holz mit. Auch das verkraften wir hier in Biberstein noch.

Im Moment bin ich übrigens von einer gewissen Angst befallen, die echten Bibersteiner Biber könnten wegen des reissenden Aarewassers abgewandert, wenn nicht gar fortgespült worden sein. Wer fällt uns dann die Bäume? Sie mögen sich bitte wieder melden.

Alle Bibersteiner und geladenen Gäste hatten vor dem Fest „Bibersteinli“ (kleine, längliche, rechteckige Schieferplatten mit eingravierten Initialen des jeweiligen Empfängers) zugestellt erhalten. Sie zieren nun die Oberseite des Kreisrunds der Grillierplatz-Umrahmung. Man wird sich dort also wiederfinden, wenn das XL-Fest vorbei ist und man die Würste wieder selber über die Flammen halten muss.

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