Römerfest Augst: Zeitreise ins Stadtleben vor 1800 Jahren
Autor: Heinz Scholz
Das Alltagsleben der alten Römer und die Ausgrabungen, die in unserer Gegend in Hülle und Fülle vorhanden sind, interessierten mich schon immer. Als am vergangenen Donnerstag, 25. August 2005, in der „Badischen Zeitung“ das 10. Römerfest mit einem römischen Spektakel, ein archäologisches Experiment und viele Buden auf einem römischen Markt angekündigt wurde, konnte ich meine Begeisterung nicht mehr zügeln. Auch meine Familienangehörigen waren sofort Feuer und Flamme, als sie von Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen, Theater- und Tanzvorführungen und antiken Spielen für Kinder und Erwachsene hörten.
Am Sonntag, dem 28. August 2005, war es soweit. Wir fuhren nach Augst, um in Augusta Raurica (gegründet 44/43 v. u. Z.), der ehemaligen Römerstadt, das Familienfest gebührend zu feiern. Hautnah erlebten wir das Stadtleben der Menschen vor 1800 Jahren. Wie der Direktor der Römerstadt und Cheforganisator der Veranstaltung, Alex Furger, der Presse gegenüber betonte, wird bei solchen Festen auf die Authentizität grossen Wert gelegt.
Augusta Raurica (www.augusta-raurica.ch) war übrigens eine römische Kleinstadt, die in ihrer Blütezeit um 150 bis 200 u. Z. bis zu 20 000 Einwohner hatte. Viele Monumente sind in vorzüglicher Erhaltung vorhanden. Heute kommen jährlich etwa 120 000 Besucher in die Römerstadt. Aber das nur am Rande.
Als wir eine Eingangspforte nach Entrichtung des Eintritts (12 Franken, Kinder bis 16 Jahre hatten freien Eintritt) durchschritten, kam uns schon ein eichenlaubbekränzter „Cäsar“ entgegen. Er schlenderte würdevoll mit leicht erhobenem Haupt herum. Er wurde von einer jungen Römerin begleitet, die in eine Tunika geschlüpft war. Eine Tunika ist übrigens ein knöchellanges (beim Mann knielanges) (Unter-)Gewand aus Leinen.
Später sah ich noch etliche „Römer“ und „Römerinnen“ im Pulk der Besucher herumlaufen. Alle hatten Originalkleider und lederne Schnürschuhe an. Eine Abfallsammlerin in einer blauen Tunika sammelte fleissig den Müll, den die modernen Menschen hinterlassen hatten, ein. Andere originell verkleidete Schweizer halfen orientierungslosen Gästen, den richtigen Ort zu finden. Wie ich später hörte, belebten hier Schauspieler, Musiker und Tänzerinnen, die sich unters Volk mischten, die Szenerie. Auch Kinder liefen in geliehenen Kleidern aus der Römerzeit herum. In manchen Augenblicken glaubte man tatsächlich, in die damalige Zeit versetzt zu sein. Es war eine Zeitreise der besonderen Art.
Höhepunkte des Festes waren für die 25 000 Besucher das römische Wagenrennen und die Gladiatorenkämpfe. Das achtköpfige Kampfensemble „Institutio ars dimicandi“ aus Mailand lockte viele Zuschauer an. Da kämpfte ein Scorpius gegen Secundor. Eine waghalsige, helmgeschützte Aquilea trat gegen Darius an. Zunächst schien es, als ob die zarte Frau den Riesen bezwingen könnte. Schliesslich siegte jedoch der muskelbepackte Darius. Dass alles nicht so harmlos abging, wurde den Zuschauern bewusst, als die Kämpfer und die Kämpferin ihre Helme ablegten und zahlreiche blaue Flecken und andere Blessuren zum Vorschein kamen.
Am besten hat mir das Wagenrennen des Fuhrhalters Thomas Dettwiler und seines Gegners auf 2 Quadrigen (Vierspännern) gefallen. Als die „Römer“ in ihren zweirädrigen Wagen und mit den Pferden in halsbrecherischer Fahrt an uns vorbeisausten, erinnerte ich mich an den Film „Ben Hur“. In diesem Film lieferten sich der Protagonist und sein Widersacher Massinissa ein Rennen auf Leben und Tod. In Augst ging jedoch alles friedlich zu. Einmal gewann der Wagen mit den braunen Pferden, ein anderes Mal derjenige mit den Schimmeln, eine friedliche Demonstration unter dem Gejohle der anfeuernden Zuschauer.
Auch das kulinarische Angebot stand ganz im Zeichen der Antike. So gab es Getreiderisotto, römische Würste, Spanferkel, einen Eintopf aus einer Riesenpfanne und andere Köstlichkeiten aus der römischen Welt. Der Eintopf, der neben Erbsen, Linsen, Pinienkernen, noch Esskastanien enthielt, wurde in einem Holzteller serviert. Dazu gab es einen Holzlöffel gratis. Manche Besucher stutzten ungläubig ob dieser Utensilien (vielleicht stutzen sie noch heute). Ich probierte auch von dem kräftigen, etwas süsslich, aber hervorragend schmeckenden Eintopf. Da wurde mir wieder bewusst, wie gut eine einfache Kost schmecken kann.
„Haben Sie keine Cola?“ fragten etliche Durstige bei der Bestellung des Eintopfes. Aber es gab sinnvollerweise keine Cola, sondern nur Mineralwasser. Es sollte ja alles authentisch sein. Und Cola gab es bei den alten Römern noch nicht. An anderen Ständen oder römischen Beizlein (Spelunca oder Delirium) konnte man Bier, Wein und Wasser – allerdings in Plastikbechern – bekommen.
Das eingangs erwähnte archäologische Experiment war das Schmieden von römischen Beilen auf einer Feldesse.
Sehr interessant war der Gang durch den römischen Markt, einem römischen Stadtteil mit Schule und dem Händlerviertel. Man konnte sehen, staunen und kaufen. Interessant fand ich einen Stand mit römischen Schnürschuhen aus Leder und eine römische Schreibstube. Da wurde so manches mit Federkiel auf Pergament geschrieben oder mit einem Stift in Wachstäfelchen geritzt. Für Frauen sicherlich interessant war eine Schmink- und Frisierstube. Vor den Augen des Publikums verwandelte sich manch ein Fräulein in eine vornehme Römerin.
Beim Römerfest wurde Kultur beinahe in Reinkultur geboten und der Ausflug in die Geschichte gut vermittelt. Nun weiss ich, was die alten Römer in ihrer Freizeit machten (ich denke da an „Brot und Spiele“, um das Volk zufrieden zu stellen), was sie assen, welche Alltagsgegenstände sie benutzten, welches Handwerk sie ausübten, welche Kleider sie trugen und mit welchen Mitteln die Frauen ihre Schönheit zur Geltung brachten.
Wie man Lukanische Würstchen herstellt
Anhang: Wer sich für das Rezept der Lukanischen Würstchen (lucanicae) nach Apicius, dem ältesten erhaltenen Kochbuch Europas*, interessiert, hier ist es:
„Stampfe Pfeffer, Kümmel, Bohnenkraut, Raute, Petersilie, gemischte Kräuter (condimenta), Lorbeer-Beeren und Liquamen (Fischsosse) und mische dies mit sehr fein gehacktem Fleisch; dabei wird alles nochmals gründlich gestampft. Zu dieser Masse füge Liquamen, Pfefferkörner, reichlich Fett und Pinienkerne hinzu, stopfe damit eine lang und dünn ausgezogene Wursthaut (intestinum) und hänge die fertige Wurst zum Räuchern auf.“
* Übrigens gibt es das Kochbuch aus der römischen Kaiserzeit bei Reclam als vollständige 2-sprachige Ausgabe (Latein/Deutsch).
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