Reflexionen über religiöse Dimensionen der US-Kriegswut
Autor: Walter Hess
Am heutigen 11. 9. 2005 jährt sich der terroristische Angriff auf die US-Machtzentralen in New York und Washington zum 4. Mal. Das waren Ereignisse, die US-Präsident George W. Bush jun. als Rechtfertigung zur Einleitung des 3. Weltkriegs und dem damit verbundenen Aushebeln von Gesetzen nutzte. Verschiedene Medien haben sich am heutigen Gedenktag der religiösen Dimension der militärisch masslos aufgerüsteten Kriegsnation USA angenommen, die oft zu wenig beachtet wird, obschon das Vokabular wie der „Kreuzzug gegen das Böse“ unmissverständlich darauf hindeutet. Somit gibt es also einen religiösen Fundamentalismus, der sich in Attentaten und Kriegen äussert, nicht nur im Islam, sondern ebenso sehr auf US-amerikanischer Seite.
Man darf nicht vergessen, dass die meisten Kriege der Vergangenheit Religionskriege waren, wenn auch immer wieder andere Motive mitgespielt haben. Und beim Wiedererstarken der Religionen in den USA, welches für die übrige Welt nicht ohne nachahmerische Folgen bleiben dürfte, sind solche Überlegungen zwingend in die Beurteilung der Weltlage einzubeziehen. Wirtschaft und Religionen gewinnen an Macht, wenn die Staatsmacht im Rahmen der globalen Gleichschaltung (Globalisierung) abgebaut wird; sie füllen gewissermassen das Vakuum aus, werden zu den dominanten Grössen.
Weil die Religionen in Europa an Bedeutung verloren haben und sich hier immer mehr Menschen vom Kirchenjoch befreien, wird oft übersehen, dass in Amerika und islamischen Ländern die Religionen an Bedeutung gewinnen und damit die Gefahr von Kriegen wächst, wie das Verhältnis USA–Islam beweist. Mit solchen Aspekten befasste sich am Sonntag, 11. September 2005, der deutsche Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg in der Sternstunde Religion am Schweizer Fernsehen SF DRS, der die aktuellen Spannungen insbesondere auf den am 5. Juni 1967 begonnenen Sechs-Tage-Krieg zurückführte, als Israel einen Präventivschlag gegen Ägypten durchführte. Während dieses Kriegs besetzten israelische Truppen dann die ganze Sinaihalbinsel, den Gazastreifen, das Westjordanland, Ost-Jerusalem und die syrischen Golanhöhen. Wurde dieser Verstoss gegen das Völkerrecht auch anfänglich im Westen noch kritisiert, wurde er wenige Jahre später einfach als gegebene Tatsache hingenommen, und es wurde von den Staaten des Westens kaum noch versucht, das Unrecht gegenüber den gedemütigten und bestohlenen Palästinensern zu korrigieren. Das waren schwer wiegende Fehler, die nachhaltig zur Destabilisierung der geopolitischen Lage beitrugen.
Und heute sind es die USA, die sich berufen fühlen, in ihrem Kampf gegen die „Achse des Bösen“ Kriege willkürlich dort loszutreten, wo sie Feinde vermuten bzw. orten. Bush am 12. 9. 2001: „This is a monumental struggle of the good versus the evil. And the good will prevail.“ Kippenberg sprach sogar von einem Armageddon, nach der biblischen Johannes-Offenbarung der mythische Ort, an dem sich die bösen Geister die Könige der gesamten Erde für einen grossen Krieg versammeln. Wahrscheinlich ist dieser Ort heute das Pentagon in Verbindung mit dem Weissen Haus. Das US-Regime wird von der mangelhaft informierten Weltöffentlichkeit vorerst noch als Weltpolizist wahrgenommen; doch eine derart über jedes vernünftige Mass hinaus hochgerüstete „Polizei“, wie sie von dort aus geleitet wird, muss grösseres im Schilde führen als bloss für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Die USA, die sich an keine Gesetze gebunden fühlen, sind kein Garant für den Weltfrieden, wie alle Erfahrungen gerade in jüngster Zeit gelehrt haben, sondern in ihrem monumentalen Kampf gegen das von ihnen ausgemachte und als solches bezeichnete Böse zur grössten Bedrohung für die Stabilität und den Frieden, so weit es ihn noch gibt, geworden. Es wird noch einige Zeit brauchen, bis das in der übrigen Welt hinreichend wahrgenommen wird. Inzwischen muss noch eine unglaubliche Naivität in weltpolitischen Fragen überwunden werden. Die militante Sektensprache – klare Gliederung in Gut und Böse – müsste immerhin Impulse dazu geben. Macht und Gier (einschliesslich Rohstoffe) haben selbstverständlich ihren Anteil bei der Bezeichnung des Bösen. Die gute, auserwählte Nation begleitet ihre Militäraktionen mit Gebeten und fühlt sich mit Gott verbunden, der sie segnet. Solche himmelschreiende Bigotterien sind besonders abstossend und gefährlich.
Der Kampf des Guten gegen das Böse ist auch immer wieder das tragende Motiv des Hollywood-Schaffens, der Comics, der Videospiele und all des Aggressionsspielzeugs amerikanischen Zuschnitts – eine Gabe an die Welt, ein Teil der Freiheit nach US-Manier. Alles ist geadelt vom immer gewaltbereiten Erlöser George W. Bush, der sich nur dann diskret im Hintergrund hält, wenn es ertrinkende Menschen im eigenen Lande zu retten gälte, bis er unter dem Druck der Weltöffentlichkeit endlich eine Rettung zulassen muss. Wo steckt in dieser Religion denn eigentlich die Ethik?
In der „Aula“ von SWR2 sagte Professor Hans-Eckehard Bahr, praktischer Theologe am 4. Gedenktag: „Die Europäer tun gut daran, die religiösen Strategie-Begründungen der Amerikaner bitter ernst zu nehmen, sie nicht länger kontinental ‚aufgeklärt’ zu belächeln oder als rhetorische Floskeln abzutun. Die Deutschen speziell sollten aufhören, den Verantwortungsträgern jenseits des Ozeans die gleiche stupide Religions-Inkompetenz zu unterstellen, die hierzulande an der Tagesordnung ist.“ Das gilt ja wohl nicht allein für die Deutschen, sondern für alle Länder.
Wenn wieder sektiererische Sprüche aus den patriotisch vereinten Vereinigten Staaten via die eingebetteten Medien über den Atlantik zu uns schwappen, wird man sich daran erinnern müssen. Oft genug ist gerade das mit Gewalt und Krieg verbunden, was unter dem Deckmantel von Gott und Göttlichkeit daherkommt. Das finstere Mittelalter scheint wieder aufzuleben, diesmal allerdings im erweiterten und bedrohlicheren Massstab.
Hinweise auf Blogs zum Thema
07. 09. 2005: „Die USA schreiben verschlungene Schützenpanzerwege vor“
06. 09. 2005: „Die tödliche Gefahr der zentralistischen Globalisierung“
15. 08. 2005: „US-Kriege der Zukunft: Täuschen, tarnen, effizient töten“
07. 07. 2005: „Deep Impacts: Der Krieg im Universum dauert an“
22. 02. 2005: „Vor 60 Jahren: US-Bombenangriffe gegen die Schweiz“
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Im Nebel auf dem Spürnasenpfad in Todtmoos
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