Material zum Barrieren-Bau gegen US-Kultur-Sondermüll
Autor: Walter Hess
Die Unseco-Generalkonferenz hat am Donnerstag, 20. Oktober 2005, in Wien ein kleines Bollwerk gegen die weltweite Verseuchung mit dem minderwertigen US-Kulturschrott errichtet: „Kultur ist ein Teil unserer Identität; die Konvention ein wichtiger Erfolg für den Schutz und die Bewahrung der kulturellen Vielfalt in der Welt“, sagte die österreichische Aussenministerin Ursula Plassnik mit dem Herzen am rechten Fleck.
Die verabschiedete Konvention tendiert daraufhin, Kulturpolitik und öffentliche Kulturförderung zu erhalten damit Aktionen gegen wettbewerbsrechtliche Einschränkungen eine neue Legitimität zu verleihen. Ausschliesslich die USA und Israel, in ewiger Treue fest verbunden, stimmten dagegen; 148 von 154 vertretenen Unesco-Mitgliedstaaten (insgesamt sind es 191) stimmten dafür; 4 Länder enthielten sich der Stimme. Die Konvention tritt 3 Monate nach Eingang der 30. Ratifikationsurkunde bei der Unesco in Kraft. Das Kulturerbe darf nun also wieder geschützt werden, wenn man es überhaupt schützen will, und falls es nicht durch kriegerische Zerstörungsaktionen wie jene durch die USA-Einsätze etwa in Vietnam und im Irak zerschmettert wird.
Die Konvention bezeichnet die kulturelle Vielfalt als wichtigen Faktor für Pluralismus, und sie steht damit in einem diametralen Gegensatz zu den Tendenzen der verheerenden neoliberalen Globalisierung, die einen weltweiten kulturellen Einheitsbrei nach US-Rezepten anstrebt. Dementsprechend verwarf die US-Vertreterin in der Unesco-Kulturkommission, Louise V. Oliver, den aus 30 Artikeln bestehenden Text heimtückisch als „fehlerhaft, zwiespältig und protektionistisch“. Die USA störten sich logischerweise am meisten daran, dass sich die UN-Kulturorganisation damit in die Handelspolitik nach den WTO-Vorgaben einmischen kann, worunter etwa der massive Export amerikanischer Filme oder Musik (Produktionen aus dem audiovisuellen Sektor und der elektronischen Medien) leiden könnte – und hoffentlich auch massiv leidet.
Nachdem sich die Welt längst bereits freiwillig unter das US-Kulturdiktat unterworfen hat, kam es zum Zerfall lokaler, regionaler und nationale Kulturäusserungen, die von der US-Walze brutal platt gedrückt wurden, und damit zu einer dramatisch spürbaren kulturellen Verarmung, wozu der Ausbau der Informations- und Kommunikationstechniken und die dadurch ebenfalls geförderten Globalisierungsprozesse beigetragen haben. Auch die US-hörigen Kids, welche zum Beispiel die Radiomusik-Programme bestimmen, waren und sind Schrittmacher für eine gedankenlose Verbreitung des US-Kommerzes. In vielen Ländern, die noch ein paar Eigenarten retten wollten, musste den Medienschaffenden durch die Behörden vorgegeben werden, wie viele US-Konserven dem Publikum zugemutet werden dürften, ansonsten es wohl 100 % gewesen wären. Auch die Schweiz liess und lässt sich durch den Kulturexport von drüben masslos erniedrigen und ausbeuten.
Die Unesco-Konvention, die neue Hoffnungen aufkeimen lässt, dient dem Schutz der Kulturen in den westlichen kulturell bereits schwer geschädigten Ländern, auch der so genannten Entwicklungsländer, die allerdings meistens noch weniger Kulturdefizite als die Industrieländer haben. Ein Teil der von der Welthandelorganisation (WTO), dieses globalisierenden Stosstrupps, geforderten Liberalisierungen (Klartext: Öffnungen für den unbeschränkten Zugang durch US-Anbieter) können nun abgefangen werden.
Dass sich die Konvention hauptsächlich gegen die USA richtet, wagte zwar in Wien niemand zu sagen, zumal die USA nach 19-jähriger Abwesenheit gerade wieder in die Unesco zurückkehrten und die verdiente Schlappe einfingen). Die nationale Kulturpolitik und die öffentliche Kulturförderungen erhalten in allen Ländern gegen die wettbewerbsrechtlichen Einschränkungen durch die WTO eine neue Legitimität, eine Verteidigungswaffe sozusagen. Hoffentlich wird sie ausgiebig genutzt! Konkret: Staaten können in Zukunft ihre Subventionen für Theater, Opernhäuser, Bibliotheken und Museen schützen oder auch den Markt für Film, Fernsehen, Literatur und Musik gegenüber einer Überflutung aus anderen Ländern, insbesondere aus den USA, regulieren – aber sie müssen es nicht. Das Kernstück des Übereinkommens ist das Recht eines jeden Staates, regulatorische und finanzielle Massnahmen zu ergreifen, die darauf abzielen, die Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen auf seinem Staatsgebiet zu schützen. Und da ist einiges zu tun.
Mit dem Übereinkommen wird die Besonderheit kultureller Güter und Dienstleistungen vor anderen Waren anerkannt. Doch ist zu hoffen, dass das Muster auch auf jene „anderen Waren“ ausgedehnt wird, etwa solchen aus dem landwirtschaftlichen Bereich, um angepasste lokale Produktionen zu schützen beziehungsweise zu ermöglichen.
Die Initiative für das Abkommen ging von Frankreich und Kanada, diesen kulturbewussten Nationen, aus; sie verfechten das Konzept der „Exception culturelle“ (Kultur als Ausnahme); denn Kulturgüter und kulturelle Dienstleistungen als „Träger von Identitäten, Werten und Sinngehalten“ sollten nicht gleich wie andere Waren behandelt werden. Auch Deutschland spielt in den kulturellen Belangen eine Vorreiterrolle. Die Deutsche Unesco-Kommission initiierte 2004 eine „Bundesweite Koalition für kulturelle Vielfalt“ (Vorsitz: Prof. Max Fuchs), und sie wird die neue Bundesregierung bei der Umsetzung des Übereinkommens in Deutschland beraten.
Den Staaten bleibt es überlassen, die Konvention bei ihrer Kulturpolitik und bei internationalen Verhandlungen herbeizuziehen oder eben nicht. Höchste Vorsicht ist vor allem beim Abschliessen von bilateralen oder regionalen Freihandelsverträgen mit den USA geboten. Deren jüngste Abkommen mit Chile, Marokko und 4 der 5 zentralamerikanischen Staaten ausser Panama (CAFTA) haben diese der Möglichkeit beraubt, die Kulturpolitik selber bestimmen zu können. Der US-Schund hat dort einen ungehinderten Zugang. Auch die Türen für die Biopiraterie, die Gentechnologie usf. werden durch solche Abkommen geöffnet.
Die kulturelle Vielfalt ist jetzt, nachdem bereits vieles unter dem verbreiteten US-Sondermüll begraben liegt, wieder als Vektor einer nachhaltigen Entwicklung erkannt. Sie ist für die volle Verwirklichung der Menschen- und Grundrechte von grundlegender Bedeutung, ebenso für Frieden und Sicherheit auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Hoffentlich werden die Chancen üppig genutzt!
Hinweise auf Blogs zum Thema Globalisierung
10. 10. 2005: „Bananenrepubliken, Gen-Diktaturen und WTO-Sklaven“
04. 10. 2004: „Die entfesselte Welt: Ordnungsrahmen fehlen überall“
01. 10. 2005: „’Crash. Boom. Bang’: Kein Mittel gegen Hollywood-Schund“
26. 09. 2005: „D und CH: Wahlen, Abstimmungen und Kosmopolitismus“
22. 09. 2005: „Röpke: Das masslos überdehnte ‚Mass des Menschlichen’“
16. 09. 2005: „’Crash. Boom. Bang’: Hollywoods Kriegsverherrlichung wirkt“
12. 09. 2005: „Belebende Töne in Dur: Regionalorganisation dreiklang.ch“
09. 09. 2005: „Henry David Thoreau und die Pflicht zur Ungehorsamkeit“
07. 09. 2005: „Die USA schreiben verschlungene Schützenpanzerwege vor“
06. 09. 2005: „Die tödliche Gefahr der zentralistischen Globalisierung“
20. 08. 2005: „Alle Achtung beiseite – bei den fetten Manager-Katzen“
13. 08. 2005: „Die Glokalisierung als Reaktion auf die Globalisierung“
21. 07. 2005: „Übel aus dem Osten, aus dem Westen nichts Neues“
11. 07. 2005: „Wie man den Kindern das Töten und Schlagen beibringt“
04. 07. 2005: „Bush-Rede: Ein Kommafehler im Dienste der Ehrlichkeit“
06. 05. 2005: „Globalisierung, OECD, G10 und die Beruhiger vom Dienst“
02. 04. 2005: „Der Neoliberalismus, ausrangierte Alte und der Papst“
04. 03. 2005: „Hunter S. Thompson und die fiktive Wirklichkeit“
01. 02. 2005: „WEF 2005: Schminke über Globalisierungspleiten“
31. 12. 2004: „Bilanz 2004: Überhaupt nichts im Griff“
Hinweis auf weitere Blogs von Hess Walter
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