BLOG vom: 12.11.2005
Gran-Canaria-Reminiszenz: Prothese signalisiert Terrorgefahr
Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
Sonntag, 16. Oktober 2005, mittags
Ankunft per Auto am Flughafen Blozen: Wo hab’ ich hinter den hundert Reissverschlüssen meiner Reisetasche wohl das Flugticket hingesteckt?… Hektische Suche am Boden vor dem Check-in. Schliesslich findet es sich in einer Aussentasche des Koffers. Das ist ja noch einmal gut gegangen!
Mittagessen im Flughafen-Restaurant, 5. Stock. Danach muss ich den Eingang (Gate) zu meinem Flugzeug finden – es ist „Porte 20“ auf der französischen Seite des Flughafens. Aber da beginnen die Probleme … Meine Beinprothese signalisiert bei der Kontrolle durch den Metalldetektor Terrorgefahr, und ich darf nicht durch die „Porte“, sondern muss mich in ein Kämmerchen dahinter verziehen. Dort müsse ich auf die „Police“ warten, heisst es, obwohl ich den beiden französischen Damen an der Kontrolle meine Beinschiene durch Hochziehen des Hosenbeins gezeigt habe. Ich warte und warte … Erst nachdem ich energisch reklamiert habe, dass mein Flugzeug nächstens ohne mich abheben werde, kommt eine französische Polizistin, um meine Unschuld zu bestätigen.
Jedoch nicht genug des Ungemachs: Nochmals reagiert der Metalldetektor, diesmal auf meine Reisetasche. „Vous me donnez vos ciseaux?“ fragt der Kontrolleur. „Schere? Ich hab’ keine Schere“, sage ich, und schon öffnet der Wüstling den Reissverschluss – alles fliegt raus, auch die intimsten Toilettensachen. Endlich wird der Mann fündig. Ich hatte tatsächlich eine kleinere Schere eingepackt. Die wird zurückbehalten – ich könnte ja damit die ganze Flugzeug-Crew umbringen … Nun darf ich meine Siebensachen wieder einpacken und mich endlich auf den Weg zum Flugzeug machen, das ich im allerletzten Moment noch erreiche.
Während des Flugs ab Basel südwärts, auf einem der schmalen Sitze eingepfercht, erspähe ich durch das Bullauge abgestufte Jurahügel, an deren Fuss viel Grün, Wiesen, Wälder in helleren und dunkleren Nuancen. Darüber schwimmen herzige Wolken-Wattebäusche. Zwischen den Wäldern wie im Spielzeugmuseum hineingestreute Dörfer. Dann, im Hintergrund, oberhalb einer weissen Nebeldecke, aus welcher wie in einer Seelandschaft einzelne Hügel herausragen, die ganze Alpenkette mit der Matterhorn-Pyramide als hervorstechendem Wahrzeichen der Schweizer Bergwelt.
Gelandet. Busfahrt vom Flughafen Las Palmas bis Puerto Rico im Süden von Gran Canaria. Nicht viel Schönes ausser hie und da einem Ausblick aufs Meer. An der Küste entlang die riesigen Propeller von Windkraftanlagen. Daneben die rötlich-graue Lavasteinwüste, dazwischen ausgedehnte überdeckte Plantagen und Anpflanzungen von Bonsai-Palmen.
Ankunft im luxuriösen Vierstern-Hotel Riu Vistamar, hoch über dem Meer terrassenförmig ins Lavagestein hineingebaut. Die Réception befindet sich im 8. Stock, die zirka 700 Zimmer darunter. Meine habitacion ist sehr geräumig, mit vollem Blick aufs Meer. Obwohl der grosse Hotelkomplex sehr luxuriös wirkt, hat er ein paar unverständliche Nachteile: Auf den Balkonen vor den Zimmern gibts keine Sonnenstoren. Der Terrassenboden hat kein Gefälle, so dass das Wasser stehen bleibt, wenn es regnet. In der Mitte unten ein Ablauf, aus dem ein etwa 30 cm langer waagrechter Schnabel herausragt. Von dort plätschert das Wasser ungeniert auf den nächstunteren Balkon. So werde ich, als ich eines Morgens mein Zimmer verlasse, wiedergetauft, da eine Angestellte obendran den Terrassenboden fegt oder vom Regenwasser befreit.
Auf dem Dach ein Schwimmbad mit kleinem Wasserfall und mit Restaurant im Freien. Wird regelmässig besucht von einer grauen Katze mit (abgeschnittenem?) Stummelschwanz und von ihrer schwarzweissen Kollegin mit 2 winzigen Jungen. Entweder werden sie von den Gästen gefüttert, oder sie finden selbst irgendwelche Resten, die von den überreich gefüllten Tellern der Restaurantbesucher abfallen. Ich besorge mir am Selbstbedienungs-Buffet geeignete Fleischstücke, zerschneide sie und werfe sie den offensichtlich hungrigen Katzen hin. Sie sind sehr scheu, lassen sich nicht anfassen, sitzen nur abwartend da oder verstecken sich im Gartengestrüpp neben der Restaurant-Terrasse ...
Am Tag vor meiner Abreise kann ich einen der Winzlinge auf den Schoss nehmen und streicheln, am liebsten hätte ich ihn mit nach Hause genommen. Wird er hier, wo Katzen beim Hotelpersonal wenig beliebt sind, überleben? In der Nähe des Hoteleingangs lauert jeden Abend eine ebenfalls schwarzweisse Katze. Meist liegt sie auf dem Trottoir der Strasse, die von oben her zum grosszügig gestalteten Platz vor dem Hotel führt. Wenn die Schwarzweise mich aus dem Hotel kommen sieht, trippelt sie mir ein Stück weit entgegen. Sie weiss, ich bringe ihr das Nachtessen. Streicheln lässt sie sich jedoch nicht und weicht der Menschenhand ängstlich aus.
Das Hotel ist voller verliebter junger Paare und Familien mit Kindern in allen Altersstufen, vom Säugling bis zum Teenager. Daneben sehe ich auch viele ältere bis alte Gäste. Im Speisesaal steht mein kleiner Einzeltisch in der Nähe einer langen Tafel, an der 7 Erwachsene und 5 Kinder aus Dänemark sitzen – sitzen ist zwar nicht das richtige Wort, denn es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen: Leere Teller werden an den 5 Selbstbedienungsbuffets, die in dem riesigen Speisesaal verteilt sind, frisch gefüllt und an den Familientisch zurückgebracht. Die Kinder stehen auf, wechseln die Plätze, streiten miteinander oder mit den Eltern, zeigen sich gegenseitig ihre Leckerbissen. Ich erfahre, dass da 3 Generationen versammelt sind: Die Grosseltern, die hier ihr 40. Hochzeitsjubiläum feiern, ihre Söhne, Töchter, Schwiegersöhne und -töchter sowie deren Kinder. Eine der jungen Frauen hat es mir erzählt. So ich brauche mich während des Abendessens nie zu langweilen. Dieses wird übrigens in 2 Schichten abgehalten, eine um 18.30 und eine um 20 Uhr. So können alle (wohl etwa 1000) Gäste vor der Unterhaltungsshow in der Bar ihren Hunger stillen.
Montag, 17. Oktober 2005
Es regnet. Mittags Taxifahrt nach Puerto Rico, einem Badeort, dessen Zentrum aus Baracken besteht. Es sind Bazare, die Sonnenhüte, Bikinis, Taschen usw. verkaufen. Dazwischen Ess- und Trinkbuden. Von exotischer Ambiance keine Spur, es sei denn, man betrachte das Ganze als einen orientalischen Bazar. Ich kaufe ein Taschenwörterbuch Spanisch–Deutsch.
Spaziergang an den Strand von Puerto Rico. Dort studiere ich die etwa 15 Reihen mit je 20 Liegestühlen. Sie sind leer. Die zu mietenden Sonnenschirme wären heute als Regenschutz ganz praktisch. Von der Meeresküste steigen Lavafelsen steil in die Höhe. Daran angeklebt die zahllosen weissen Bienenwaben der Appartement-Siedlungen, dazwischen die meist sehr grossen Hotels.
Kleines Restaurant am Strand: Der Wirt schwatzt ununterbrochen, sein Redeschwall ist so unendlich und unfassbar wie das Meer … Sind wohl die Bergler deshalb so wortkarg, weil die hohen Gipfel ihrer Sprache Grenzen setzen?
Ab Dienstag, 18. Oktober, bis 25. Oktober
Kein Regen mehr, nur noch Sonne, heisse Sonne (26–30 Grad °C). Sie sticht wie mit Messern auf meiner Haut. Ich huste und schnupfe ständig. Während alle Frauen (und auch die Männer) halbblutt herumlaufen oder sünnelen, wickle ich mich in Pullover und Jacken und verkrieche mich im Schatten – diese verflixte Klimaanlage und dazu die ewig wirbelnden Ventilatoren machen mich ganz krank …
Abends jeweils das überwältigende Schauspiel des Sonnenuntergangs über der bleigrauen Decke des Meers, der rotgoldene Funkentanz eines nie endenden Feuerwerks, darüber das Türkis mit rosa Schlieren. Schwarze Wolkenbänke schieben sich davor. Das Meer ganz still, sanft gekräuselt wie ein See.
In der Ferne der Markenberg von Teneriffa, El Teide: Wie eine sanft gewölbte Frauenbrust schwebt er, lila gefärbt, auf einer dunklen Wolkenbank und sticht mit seiner spitzen Brustwarze in den hellen Himmel.
Hinweis auf weitere Ferien-Blogs
13. 09. 2005: „Kerala: Hotels, die wissen, worauf es ankommt“
09. 10. 2005: „Unter Kontrolle: Rückreise Köln–Zürich und Reise-Allerlei“
25. 07. 2005: „Andalusische Reise: Oh, wir hatten prächtige Ferien ...!“
29. 06. 2005: „Wachau-Urlaub (III) : Mohr im Hemd, besoffener Wachauer“
28. 06. 2005: „Wachau-Urlaub (II) : ,Sisi’, Helden und die Japaner in Wien“
27. 06. 2005: „Wachau-Urlaub (I) : Barocke Pracht und eine Venus“
22. 02. 2005: „Pilger-Irrfahrten der Sonnenanbeter nach Süden“
Hinweis auf weitere Blogs von Pfaff Lislott
Wo ist die Würde und wo sind denn die Rechte der Tiere?
Kuhkultur: Landwirtschaft mit oder ohne Milchviehwirtschaft?
Eine Welt ohne Gott? Ja, bitte! Sie wäre zweifellos besser
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