BLOG vom: 24.11.2005
Das Zerrbild vom „hinterlistigen bösen Wolf“ lebt erneut auf
Autorin: Lislott Pfaff
Im Basler „Gundeldinger Casino“ wird gegenwärtig das Dialektmärchen vom „Rotkäppchen und dem bösen Wolf“ aufgeführt, um „den Kindern die Angst vor dem Wolf“ zu nehmen, wie ich in der Basler Zeitung (bz) lese. Hier wird wieder einmal unüberlegt mit den Wölfen geheult und der Wolf als Untier dargestellt, das unbedingt zu eliminieren ist.
Die Sache ist aber viel komplexer. Der Wolf ist zwar ein Raubtier, aber bekanntlich nicht das einzige Raubtier unseres Planeten. Einerseits verhätscheln wir unsere Hauskatzen und Haushunde (der Wolf ist der direkte Vorfahre des Hunds!), die ebenso Raubtiere sind wie der Wolf, und anderseits tischen wir wie Eugen Urfer gedankenlos ein altes Märchen auf, in dem suggeriert wird, dass der „hinterlistige böse Wolf“ vom Jäger zu Recht verfolgt und getötet wird. Den Kindern wird ein überholtes Negativbild eingeimpft, das gemäss modernen Forschungsergebnissen von Wildbiologen und Archäologen noch nie gestimmt hat.
So lebten gegen Ende der Eiszeit Wolf und Mensch als Konkurrenten um die gleiche Beute friedlich nebeneinander – beide waren sie Raubtiere, aber keine Feinde. Erst ab dem Mittelalter wurde der Wolf (unter anderem als Jagdkonkurrent des Adels) gnadenlos verfolgt, und sogar Menschen wurden – wie auch „Hexen“ ─ als vermeintliche „Werwölfe“ von der Inquisition grausam zu Tode gebracht.
Seither ist der Wolf für viele Menschen eine gefährliche, zähnefletschende Bestie (und der ihn erlegende Jäger natürlich ein Held). Bis heute wird dieses Zerrbild auf alle Arten gepflegt, wie unter anderem im erwähnten Grimm’schen Märchen, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. Unglaubliche Horrorgeschichten wurden erfunden, um den Wolf als ein Symbol des Bösen zu brandmarken (sozusagen ein Tier auf der „Achse des Bösen“, wie George W. Bush es bezeichnen würde).
Ich finde, von dieser Dämonisierung des Wolfs, vor allem auch gegenüber den Kindern, sollten wir endlich loskommen. Sie ist sehr ungerecht und entspricht keineswegs den biologischen Tatsachen. Es wäre an der Zeit, die abergläubische Gedankenwelt des finsteren Mittelalters hinter uns zu lassen und die Resultate der modernen zoologischen Forschung zur Kenntnis zu nehmen.
Übrigens möchte ich nicht näher untersuchen, wer in unserer Welt gefährlicher ist für den Menschen, der Wolf oder der Mensch selbst …
Quelle: www.wild.unizh.ch
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