BLOG vom: 01.12.2005
Bäuerliche Kost (II): Von „Liebesböllchen“ und „Bubenspitzle“
Autor: Heinz Scholz
Im 2. Teil meiner Betrachtung über die bäuerliche Küche nehme ich die heutige Ernährungsweise in Baden-Württemberg unter die Lupe. Es sind Betrachtungen zur Küche aus Schwaben, Württemberg und Baden. Etliche der Speisen stehen auch auf dem Speisezettel so mancher Schweizer.
Thaddäus Troll schrieb in seinem ergötzlichen Band „Deutschland deine Schwaben“ über die schwäbische Küche Folgendes:
„Welch glückliche Verbindung von Spätzle und einem kräftigen Rostbraten mit viel gebräunten Zwiebeln darauf, welch der Zunge wohlgefällige Ehe mit einem saftigen Schlachtbraten! Welch kühne Liaison zwischen Spätzle und Sauerkraut. Wie gefällig dem Auge die falben Gebilde neben dem gesunden Grün des Spinats. Dazu einen Rindsbraten: Ich finde das im Gegensatz zu meiner preussisch angeseuchten Familie deliziös. Mit Bundeskanzler Kiesinger verbindet mich die Vorliebe für eine wegen seiner Verdoppelung der Kohlenhydrate von Ernährungswissenschaftlern mit Abscheu vermerkte Mesailliance von Linsen mit Spätzle, dazu ein kräftiges Rauchfleisch oder heisse Würstle. Kühn, sehr kühn ist der pazifistische Gaisburger Marsch: in einer Fleischbrühe Rindfleisch, Kartoffeln und Spätzle vereint. Aber Spätzle und Kartoffelbrei im inzestiösen Beilager auf einem Teller tun mir weh, und auch für die bäuerlich-sonntägliche Zusammenstellung von Kalbsbraten, Kartoffelsalat und gerösteten Spätzle hat meine Zunge nicht das richtige Verständnis.“
Linsengerichte mit Spätzle und Würste lernte ich während meiner Beschäftigung bei Thomae in der oberschwäbischen Stadt Biberach zur Genüge kennen. Zunächst war die Zutat Spätzle zu den Linsen für mich ungewöhnlich, kannte ich doch bisher nur den Linseneintopf mit Wurst- oder Fleischeinlage aus meiner damaligen bayerischen Heimat.
Die Schwäbin weiss mit Mehl vorzügliche, geschabte Spätzle und Knöpfle herzustellen. Dazu eine nette Anekdote. Als der pietistische Pfarrer Flattich zu Hofe weilte und wegen seiner nicht gepuderten Haare getadelt wurde, sagte dieser zum Herzog Karl Eugen: „I brauch mei Mehl zu den Knöpfle.“
Eine weitere Spezialität im Lande sind Maultaschen. Anlässlich eines Besuches beim Ipa-Verlag in Vaihingen an der Enz konnte ich in einer urigen Wirtschaft unter einer ganzen Reihe verschiedener Maultaschen-Zubereitungen wählen. So gab es eine bunte Spätzlepfanne (mit Schinken, Paprika, Petersilie), überbackene Spinatspätzle, Spätzle-Hack-Auflauf, Leber-, Kraut-, Kräuter- und Käsespätzle.
Wer Spätzle nicht mag oder wenn einem diese Nudelzubereitung zum Halse raushängt (also wenn er diese zu oft genossen hat), der kann einmal gedünstete, geröstete oder saure Kutteln probieren. Unglaublich, wie erfindungsreich einheimische Köche sein können.
Nun zu einigen Spezialitäten aus Baden-Württemberg mit kuriosen Namen.
„Liebesböllchen“ oder „Kavaliersböllchen“
Ein mittelbadischer Meisterkoch hat die Auflaufkrapfen in Weinschaumsosse „Liebesböllchen“ genannt. Er meinte, die Kavaliere der Prinzessin Maria Josepha von Österreich, die spätere Frau des Markgrafen Ludwig Georg Simpert von Baden-Baden, hätten diese Böllchen vom Wiener Hof ins Badische gebracht. Deshalb werden sie auch „Kavaliersböllchen“ genannt.
Die länglich geformten, fingerdicken Schupfnudeln werden auch „Bubenspitzle“ (Buebespitzle) genannt. Es handelt sich hier um fingerdicke, etwa 5 cm lange Nudeln aus Kartoffeln, Mehl und Eiern. Sie werden in kochendem Salzwasser zubereitet. „So bleibt es jeder Köchin freundlichst überlassen, ihre Grösse und Dicke phantasievoll der Vorstellung oder der Erfahrung anzupassen“, so Georg Richter in seinem Buch „Kulinarische Streifzüge durch Baden“.
Die „Bubenspitzle“ lernte ich zum ersten Mal bei meiner Schwiegermutter, die in Nordbaden wohnt, kennen. Inzwischen gibt es in vielen Restaurants diese Speise, meist in Kombination mit Speck und Sauerkraut.
„Posaunentorte“ und „blauer Zipfel“
Ein „blauer Zipfel“ ist eine rohe Bratwurst, die in einem Sud aus Estragonessig, Karotten, Petersilie, Senf, Pfeffer, etwas Weisswein und mit viel Zwiebeln gegart wird. Es ist eine Spezialität aus der Taubenländer Küche (das Tauberland um Tauberbischofsheim liegt übrigens im nördlichsten Zipfel von Baden-Württemberg).
Ein „Gerupfter“ ist ein reifer Camembert, der mit Butter, Eigelb, feingehackten Zwiebeln, Kümmel, Paprika, weissem Pfeffer und einem Schuss Weisswein angemacht ist. Es handelt sich hier auch um eine Taubenländer Spezialität.
Der Volkswitz bezeichnet den Zwiebelkuchen (Zwiebelweihe, Zwiebelwähe) in Baden-Württemberg als „Posaunentorte“. Wer ihn einmal versucht hat, weiss, was hier gemeint ist. Er schmeckt zweimal, beim Essen und einige Stunden später erst recht, wie H. Heimberger einmal äusserte.
„Allemande“ ist eine Fricassée-Sosse. Diese stellt eine weisse Tunke mit geriebenem Parmesan, Eigelb, Champignon und Petersilie dar.
„Katzeng’schrei“ und „Nonnenfürzle“
Im Buch „Gutes aus Gottes Garten – Bäuerliche Küche rund um den Bussen“ (siehe Blog über die Landfrauen vom 25. November 2005), sind noch ganz andere Bezeichnungen für beliebte Speisen bekannt. Hier einige davon:
Ein beliebtes Mittagessen in Schwaben ist das „Katzeng’schrei“. Es ist eine Speise aus gekochtem Suppenfleisch, das in einer Pfanne mit gebräunten Zwiebeln, verquirlten Eiern vermengt und herausgebraten wird. Dazu werden Preiselbeeren oder grüner Salat gereicht.
„Nonnenfürzle“ sind kleine Knödel aus Brandteig, die im schwimmenden Fett goldgelb gebacken werden. Wirft man die Teigknödel in heisses Fett, dann entsteht ein zischendes Geräusch, das einem „Nonnenfürzle“ ähneln soll. Ob das schon einmal ein „Forscher“ überprüft hat?
Eine „Unschuld vom Lande“ kennt wohl jeder (oder glaubt, diese zu kennen). Es handelt sich nicht um eine unberührte Maid, sondern um eine Apfelspeise. Die geschälten Äpfel werden entkernt, gegart und das Kernhausloch zu ¾ mit Hagebuttenmark gefüllt, dann wird über den ganzen Apfel Zwetschgenwasser gegossen, mit etwas braunem Zucker bestreut und angezündet.
Von Landfrauen erprobt
Viele dieser Rezepte, die von Landfrauen erprobt sind, fanden Eingang in eine Sammlung, die jetzt in Buchform erschienen ist. In dem Buch sind Aufläufe, Gratins, Eierspeisen, Fischgerichte, Fleischgerichte, Gebäck, Gemüsegerichte, Mehlspeisen, Kuchen, Torten, Obst- und Beerenspeisen, Salate, Spezialitäten und vieles mehr aufgeführt.
„Auch in Oberschwaben haben sich wie überall neue Gewohnheiten niedergeschlagen. Unsere Ess- und Trinkgewohnheiten hängen heute weitgehend von unserem Geschmack, unserer Lust nach etwas Bestimmtem ab“, schreibt Elfriede Elser, die Bezirksvorsitzende Landfrauen Riedlingen im Grusswort zum oben genannten Buch.
„Die Rezepte in diesem Buch überliefern aber nicht nur althergebrachte Spezialitäten unserer Heimat: dieses Essen schmeckt auch gut. Nichts gegen Pizza oder Gyros; doch sind mir eine gute Denette frisch aus dem Backofen oder echte schwäbische Saure Kutteln lieber“, bemerkt Landrat Peter Schneider in einem weiteren Grusswort zum Buch.
Das gilt auch für uns so. Wir bevorzugen in der Regel die einheimische Küche, speisen aber auch sehr gerne italienisch, griechisch oder chinesisch. Eine Abwechslung im Speiseplan bringt neue Geschmackserlebnisse.
Einige Sprüche über die Küche
Im Alemannischen sagte man: „Der beste Schutz vor der Hölle ist eine gute Küche!“ Und nach einem guten Essen könnte folgender Spruch von Oscar Wilde Wahrheit werden: „Nach einem guten Abendessen kann man allen verzeihen, selbst seinen Verwandten.“
Der Schwabe hat einen ungebremsten Appetit auf eine erwärmende Suppe. Heinz Eugen Schramm schuf dazu einen hübschen Reim:
„Vor Spätzle, Gräuchtem, SauerkrautBrauch i e Supp, e gscheite,sunst wär dr ganze Tag versaut,ond´s Weib net zom Beneide.“
„Ein Leben ohne Freunde, ist eine weite Reise ohne Gasthäuser.“
„Die Suppe ist wie die Liebe; erst ist sie heiss, wird aber schnell kalt. Sie kann aber immer wieder aufgewärmt werden.“
Und zum Schluss eine Volksweisheit:
„Der Weg zur Gesundheit führt durch die Küche, nicht durch die Apotheke!“
Quellen
„Gutes aus Gottes Garten – Bäuerliche Küche rund um den Bussen“, Herausgeber: Landfrauen, Bezirk Riedlingen, ISBN: 3-00-007131-8 (16 Euro).
Bezugsquelle: Elfriede Elser, Oberdorf 10, D-88524 Uttenweiler-Sauggart,
E-Mail: Josef.Elser@t-online.de
Anekdotensammlung” des Autors.
Hinweis auf andere Blogs zum Thema Ernährung
30. 11. 2005: „Bäuerliche Kost (I): Von ‚Ankebrot" und ‚Schareweihe’“
27. 10. 2005: „ANUGA: Achtung Nahrung und Genuss -- Abstand halten“
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