Textatelier
BLOG vom: 02.12.2005

Swisscom und Fusionswahn: „S’isch gnueg Heu dunne“

Autor: Walter Hess
 
Die meisten Swisscom-Aktien gehören dem Schweizervolk, also dem „Bund“ (der Eidgenossenschaft), wie man hierzulande sagt, und der Bundesrat hat im nationalen Interesse darüber zu wachen, dass sie ihren Wert behalten, wenn möglich vermehren. Sie gehören zum Familiensilber. Der Bundesanteil an der Swisscom beläuft sich auf etwa 17 Milliarden CHF – er schwankt mit dem Aktienkurs der SCMN-Aktien.
 
Nun hat der Bundesrat die Notbremse gezogen und verfügt, dass sich die Swisscom nicht an Auslandsgeschäften beteiligen soll, traumatisiert von der unseligen Hunter-Strategie der Swissair, die nicht genug ausländische Gesellschaften zusammenkaufen konnte und daran zugrunde gegangen ist. „Ich bin überzeugt, dass es schief geht“, sagte Bundesrat Christoph Blocher zu den Swisscom-Kauflüsten. Die Bundesräte Hans-Rudolf Merz und Pascal Couchepin sind derselben Ansicht. Ich teile ihre Auffassung vollauf. CVP, SP und Grüne sind unbeirrt auf Globalisierungskurs, lernunfähig. Im Parlament werden voraussichtlich noch in diesem Dezember 2005 die Fetzen fliegen, nachdem es sofort Interpellationen zur Swisscom-Massregelung gehagelt hat.
 
Die Swisscom will quantitativ wachsen, angeblich um nicht selber zum Übernahmekandidaten zu werden, und sie sieht nur noch im Ausland Wachstumsmöglichkeiten. Deshalb gerieten etwa der dänische Telekomkonzern TDC und die irische Eircom ins Swisscom-Visier. Besonders in Bezug auf Irland waren die telekommunikativen Aussichten eher schlecht, weil die Eircom als überbewertet gilt und die Wachstumsaussichten schlecht sind. Zudem hat die Swisscom bereits mit der deutschen Debitel 3,3 Milliarden Franken (2,13 Mrd. Euro) in den Sand gesetzt, offenbar ohne daraus etwas gelernt zu haben. Ein Versuch zur Übernahme der börsenkotierten Telekom Austria scheiterte am Widerstand Österreichs – die Österreicher sind gescheite Leute und verdienen Respekt.
 
Es sind ja bemerkenswerte Vorgänge, welche diese neoliberale Globalisierung auszeichnen: Entweder ein Unternehmen wächst oder es wird übernommen. Und meistens schaufelt die Wachstumsmanie das Grab. Jedenfalls ist alles auf Wachstum getrimmt. Und am Ende kommen die Fusionsprodukte dann unter US-Kontrolle.
 
Da aber auf dieser endlichen Erde kein unendliches Wachstum möglich ist, ist diese Philosophie zum vorneherein zum Scheitern verurteilt, auch im Telekommunikationsmarkt. Selbst die verzivilisierten Menschen, die von einer blödsinnigen und vollkommen unnützen Handy-Manie befallen sind, können pro Person nur an einem Apparat hängen, es sei denn, man vernetze die von einer schweren Telefonitis befallene Menschheit zu Dauer-Konferenzgesprächen.
 
Die Prämissen sind grundfalsch, was auch Blocher klarzumachen versuchte: Wenn Swissom-Chef Jens Alder oder der Verwaltungsrat sage, man könne nur mit einer expansiven Auslandstrategie eine Swisscom führen, anders nicht, „dann werden sie zurücktreten, dann muss man sie halt ersetzen“, sagte er in der „Tagesschau“ des Schweizer Fernsehens. Wenn der Bund aussteigen sollte, erhält Alder freie Hand, und er kann dann die Swisscom nach Lust und Laune verscherbeln. Das wäre verheerend.
 
Ungewohnt und hoffentlich ein Ausdruck eines Umdenkens ist der Umstand, dass sich der Schweizer Bundesrat gegen die schleichend voranschreitende Globalisierungs-Katastrophe stellt, nachdem er sich diesen Abläufen bisher sklavisch unterordnete und sogar bereit war, dieser die kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe zu opfern, genveränderte Nahrungsmittel zuzulassen und auf der gesetzgeberischen Stufe jeden EU-Schwachsinn mitzumachen usf. Es wäre herrlich, wenn im Bundeshaus endlich eine Art Götzendämmerung eingetreten sein sollte. Dann wäre es wenigstens möglich, weitere Schäden zu verhindern.
 
Die Schweizer Redensart „S’isch gnueg Heu dunne“ (Es ist genug Heu drunten) greift immer dann, wenn die Schadenbilder, einem arg zerzausten Heustock ähnlich, offensichtlich werden und hart durchgegriffen werden muss, um weiteren Schaden abzuwenden.
 
Das Durchgreifen kann nur aufgrund von Einsichten erfolgen. Diese stellen sich in der Regel erst dann ein, wenn Schäden die Klugheit geradezu erzwingen.
 
Hinweise auf Blogs zum Thema Telefonitis
15. 10. 2005: „Bahnerlebnisse: Hunde, Handys, Bush und Red Bull“
20. 05. 2005: „Reaktionen auf Blogs (9): Kollegialprinzip bis Handyoten“
04. 05. 2005: „Hirnrissige Förderung des Mobilfunks durch Spottpreise“
22. 04. 2005: „Reaktionen auf Blogs (7): In Handy- und Himmelssphären“
14. 04. 2005: „Machen Handys wirklich schwachsinnig? Es scheint so“
08. 04. 2005: „Verloren im wuchernden Labyrinth der Billigsttelefonie“
 
Hinweise auf Blogs zum Thema Globalisierung
16. 11. 2005: „Kapitalismus, Neoliberalismus und Neokonservativismus“
09. 11. 2005: „Globalisierungsaussicht: Brennt es nach Paris bald überall?“
07. 11. 2005: „Die Integration ist gescheitert: Elendsleben in Gettos“
28. 10. 2005: „Apartheid-Aufarbeitung: Wo Rassismus sein darf und wo nicht“
10. 10. 2005: „Bananenrepubliken, Gen-Diktaturen und WTO-Sklaven“
04. 10. 2004: „Die entfesselte Welt: Ordnungsrahmen fehlen überall“
01. 10. 2005: „’Crash. Boom. Bang’: Kein Mittel gegen Hollywood-Schund“
26. 09. 2005: „D und CH: Wahlen, Abstimmungen und Kosmopolitismus“
22. 09. 2005: „Röpke: Das masslos überdehnte ‚Mass des Menschlichen’“
16. 09. 2005: „’Crash. Boom. Bang’: Hollywoods Kriegsverherrlichung wirkt“
12. 09. 2005: „Belebende Töne in Dur: Regionalorganisation dreiklang.ch“
11. 09. 2005: „Reflexionen über religiöse Dimensionen der US-Kriegswut“
09. 09. 2005: „Henry David Thoreau und die Pflicht zur Ungehorsamkeit“
07. 09. 2005: „Die USA schreiben verschlungene Schützenpanzerwege vor“
06. 09. 2005: „Die tödliche Gefahr der zentralistischen Globalisierung“
04. 09. 2005: „Das Sprachkopieren als geistige Unterwerfung unter die USA"
03. 09. 2005: „New Orleans: Katastrophenbewältigung mit Schiessprügeln“
20. 08. 2005: „Alle Achtung beiseite – bei den fetten Manager-Katzen“
15. 08. 2005: „US-Kriege der Zukunft: Täuschen, tarnen, effizient töten“
13. 08. 2005: „Die Glokalisierung als Reaktion auf die Globalisierung“
06. 08. 2005: „Und sie sagten kein Wort ...: Beispiel Niger (Nigerien)“
25. 07. 2005: „,Shoot to kill' - oder: Auf dem langen Weg zur Einsicht“
24. 07. 2005: „Warum nicht einmal die Terrorismus-Ursachen ergründen?“
21. 07. 2005: „Übel aus dem Osten, aus dem Westen nichts Neues“
11. 07. 2005: „Wie man den Kindern das Töten und Schlagen beibringt“
07. 07. 2005: „Bomben in London City: Die Olympiade der Gewalt“
07. 07. 2005: „Wieder Terrorismus in dieser besten aller Welten“
04. 07. 2005: „Bush-Rede: Ein Kommafehler im Dienste der Ehrlichkeit“
21. 06. 2005: „SP und Gewerkschaften verschaukeln ihre Genossen“
12. 06. 2005: „Das Lügen wie gedruckt hat eine sehr lange Tradition“
06. 05. 2005: „Globalisierung, OECD, G10 und die Beruhiger vom Dienst“
02. 04. 2005: „Der Neoliberalismus, ausrangierte Alte und der Papst“
04. 03. 2005: „Hunter S. Thompson und die fiktive Wirklichkeit“
01. 02. 2005: „WEF 2005: Schminke über Globalisierungspleiten“
31. 12. 2004: „Bilanz 2004: Überhaupt nichts im Griff“
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