Textatelier
BLOG vom: 09.12.2005

Beunruhigende Symbolik: Zeichen der Zeit und Vergangenheit

Autor: Walter Hess
 
Neben dem Roten Kreuz (seit 1864 das farblich umgekehrte Schweizerkreuz) und dem Roten Halbmond gibt es innerhalb der Rotkreuz- beziehungsweise der Rothalbmond-Bewegung jetzt auch den Roten Kristall, ein auf der Spitze stehendes rotes Quadrat, von Weiss umgeben. Mit dieser Ergänzung soll beim Schutz der Opfer von Kriegen und Konflikten das Prinzip der Universalität erreicht werden.
 
Zudem wurde damit der Rote Davidstern (Magen David Adom, MDA), den Israel seit 1949 pflegte, abgeschafft; aus arabischer Sicht ist er das Symbol des Zionismus. Die MDA-Organisation weigerte sich, eines der beiden anerkannten Symbole (Kreuz oder Halbmond) zu nutzen. Es musste also ein Emblem geschaffen werden, das frei von religiösen und politischen Inhalten ist.
 
Gegen eine Stärkung des internationalen Rechts wäre wohl nichts einzuwenden. Aber wie der politische Ablauf lehrt, ist es mit diesem Recht nicht immer weit her. Die USA liessen über Condoleezza Rice, die Europa besucht hat, gerade verkünden, dass das Foltern ihre Sache nicht gewesen sei, und dass sie jetzt damit aufhören wollten. Man kann sie für die bisherigen Menschenrechtsverstösse nicht belangen, weil sie den internationalen Gerichtshof nicht anerkennen. Einige westliche Medien beurteilen das als clever, ich erachte das als doppelt schäbige Haltung.
 
Das Recht wurde von Israel mit Füssen getreten, als es 1981 die wasserreichen Golan-Höhen an sich riss. Dort leben noch rund 25 000 bis 30 000 isolierte Syrer, die den Schutz des syrischen Roten Halbmonds wollen, nach alledem was sie erlebt haben. Laut dem Präsidenten des syrischen Roten Halbmonds, Abdelrahman al-Attar, wollte seine humanitär wirkende Gesellschaft auf den von Israel besetzten Golanhöhen ein Spital einrichten und eigene Ambulanzen einsetzen, was Israel nicht zuliess. Deshalb kam es an der Rotkreuz-Konferenz in Genf zu dem, was die „NZZ“ als „syrisches Störmanöver“ wertete. Syrien hatte ein Entgegenkommen vonseiten Israels gefordert. Aber ein solches gab es nicht.
 
Und so fiel denn die Abstimmung über den Roten Kristall nicht so kristallklar aus, wie es wünschenswert gewesen wäre: 98 Länder stimmten zu, 27 (arabische Länder, inkl. Iran, aber auch China, Nordkorea und Kuba) waren dagegen und 10 enthielten sich der Stimme. Damit ist der Kristall als neues Schutzzeichen zwar unter Dach, ein schaler Beigeschmack bleibt.
 
Das symmetrische Kreuz, dessen Arme 1/6 länger als breit sind, ist ein machtvolles, kräftiges Zeichen, das aber allmählich mit dem Christentum und dessen Geschichte in Zusammenhang gebracht wurde (obschon das christliche Symbol andere Ausmasse hat), und seither ist es als internationales Zeichen untauglich. Aus solchen Zeichen der Zeit und der Vergangenheit ist abzulesen, wie labil und globalisierungsuntauglich diese Erde ist. Das Unrecht entfaltet eine nachhaltige Wirkung. Man sollte sich dessen nicht einfach bei Auseinandersetzungen um Symbole erinnern, sondern es wieder gutmachen, wenigstens so weit das noch möglich ist.
 
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