BLOG vom: 13.12.2005
Hyde Park Corner erodiert: Redefreiheit ist eingedämmt
Autor: Emil Baschnonga
Traurig, aber wahr: Ausgerechnet in England wird die traditionelle Redefreiheit mehr und mehr unterbunden. Einst konnte jedermann im „Hyde Park Corner“ auf eine Kiste steigen und seine Meinung uneingeschränkt dem Publikum öffentlich kundtun. Er konnte glücklich sein, wenn er 3 oder 4 Zuhörer gewann. Nur eines durfte der Redner nicht tun: übers Könighaus herziehen.
Kurz vor der Erinnerungsfeier (Remembance Day, 11. November), die den im 1. Weltkrieg gefallenen Soldaten gewidmet ist und alljährlich landauf und landab würdig begangen wird, wurde die 25-jährige Friedenskämpferin Maya Evans verhaftet. Welches Verbrechen hatte die Vegan-Köchin aus Hastings begangen?
Der „Cenotaph“ bei Westminster ist den „Glorious Dead“ (den glorreichen Toten) gewidmet. Dort las Maya Evans die 97 Namen der britischen Soldaten, die bisher in Irak gefallen sind, von der Liste ab. (Inzwischen hat sich die Liste der Kriegsopfer verlängert …). Maya Evans wurde verhaftet, mit £ 100 für Gerichtskosten gebüsst und mit bedingter Auflage (conditional discharge) freigelassen. Sie hat sich damit einen Eintrag ins Strafregister erworben. Sie sollte eigentlich auf diesen Strafeintrag stolz sein, meinten viele Leute.
Ihr Kompagnon, Milan Rai, der diesen Anlass organisiert hatte, ist vorderhand noch auf freiem Fuss, während entschieden wird, ob er auf die Anklagebank gehört oder nicht.
Dieser Streich gegen die hehre Grundfreiheit gelang unter dem Artikel 132 des neuen Gesetzes „SOPA - Serious Organised Crime and Police Act“ (Gesetz gegen organisierte Verbrechen), wonach niemand ohne Bewilligung im Umkreis von einer halben Meile rund um das Westminster-Parlamentsgebäude demonstrieren darf. Dieses Gesetz wurde im Sommer 2005 rechtskräftig. Solche Fälle von Fehljustiz häufen sich.
Ähnliches widerfuhr auch Brian Haw, der seit 4 Jahren vor dem „House of Commons“ als Kriegsgegner sein Zelt aufgeschlagen hatte. Er wurde ebenfalls vor kurzem von der Polizei aufgegriffen und verhört. Das Gericht hingegen entschied, dass Brian Haw weiterhin protestieren darf, einfach weil er mit seinem Protest begonnen hat, ehe es dieses Gesetz gab.
Jetzt kann bald einmal niemand mehr sicher sein, ob er nicht gegen einen Gesetzesparagraphen verstösst, wenn er seine Meinung vom Stapel lässt, ob auf der Kanzel oder im Pub. Vor wenigen Tagen wurde eine Dame, die sich für den Familienschutz einsetzt, stark angefeindet, einfach weil sie fand, dass gleichgeschlechtliche Partner, die jetzt ihre „Ehe“ segnen lassen, kein Kind adoptieren sollten. Sie hatte ihren Standpunkt klipp und klar sowie wohlbegründet dargelegt.
Die von den Amerikanern gepflegte Praxis des „extraordinary rendition“ (mir fehlt das deutsche Wort dafür – eventuell: aussergewöhnliche Interpretation, Umwandlung), wonach verdächtigte Terroristen in Länder geflogen werden, wo es erlaubt ist, sie zu martern, deckt auf, wieweit die Moral und die Ethik auf den Hund gekommen sind. Solche Flüge machen auch Zwischenlandungen in England. Niemand hat Zugang zu diesen CIA-Flugmaschinen, weder Diplomaten noch Anwälte. Das ist skandalös. Jeder Politiker gibt jetzt vor, davon nichts gewusst zu haben, was ich, gelinde gesagt, für unglaubwürdig halte.
Immerhin wagt es die englische Presse, derartigen Missständen nachzuspüren und sie anzuprangern. Wie lange wird es dauern, bis auch ihr Recht auf freie Meinungsäusserung beschnitten wird?
Weiteres Blog zum Thema Redefreiheit
31. 12. 2004: „Bilanz 2004: Überhaupt nichts im Griff“
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