Textatelier
BLOG vom: 16.12.2005

Die Acrylamid-Frage: Krebsgefahr durch Weihnachtskekse?

Autor: Heinz Scholz
 
Das waren noch Zeiten, als meine Eltern und Grosseltern noch nichts vom krebsauslösenden Acrylamid wussten. Sie verzehrten unbeschwert kleinere oder grössere Mengen Weihnachtskekse. Auch wir erfreuten uns an diesem Gebäck, das schon einige Wochen vor Weihnachten gebacken und in Blechdosen aufbewahrt wurde. Die versteckten Blechdosen übten einen ungemeinen Reiz auf uns Kinder aus. Ab und zu stibitzten wir schon lange vor Weihnachten den einen oder anderen Keks aus den Behältern. Die Plätzchen schmeckten im frischen Zustand ungleich besser als die Altbackenen. Meine Mutter wunderte sich nicht mehr, wenn sie zu Weihnachten die Dosen öffnete und nicht mehr alle vorfand, naschte sie doch selbst ab und zu.
 
Gab es doch einmal verbrannte Kekse, wurden diese aussortiert und fanden den Weg in den Müll oder kamen auf den Kompost. Soweit ich mich erinnern kann, wurde bei den nächsten Versuchen eine Reduzierung der Backtemperatur und der Backzeit vorgenommen. Das halte ich auch heute so, wenn es mich gelüstet, einige Haferflocken-Nuss-Plätzchen höchstens bei 170 °C (mit Umluft, ohne Umluft bei 190 °C) zu backen. Nach 15 Minuten müssen die Kekse dann aus dem Ofen. Danach beginnt unweigerlich der Bräunungsprozess. Die Kekse sind dann zu kross.
 
In der Nachkriegszeit wurden wir noch nicht mit Pommes frites, Kartoffelchips, Kräckern, gerösteten Frühstückscerealien und Industriekeksen „überschwemmt“. Diese enthalten, wie neueste Untersuchungen ergaben, gehörige Mengen an Acrylamid. Es waren schwedische Lebensmittelchemiker, die erstmalig in stärkehaltigen und erhitzten Produkten Acrylamid entdeckten. Zunächst glaubte man an eine Fehlinterpretation. Aber bald darauf bestätigten Fachleute in anderen europäischen Ländern die Ergebnisse aus Schweden.
 
Acrylamid bildet sich aus Zucker (Baustein der Stärke) und der Aminosäure Asparagin bei Temperaturen von über 120 °C. Bei Temperaturen von über 175 °C steigt der Gehalt stark an. Unerhitzte oder gekochte, gedämpfte oder gedünstete Speisen sind frei von Acrylamid. Acrylamid bildet sich besonders bei Erhitzung von Kartoffeln und Getreideprodukten mit wenig Wasser und bei höheren Temperaturen.
 
Nicht nur die erwähnten Produkte enthalten besonders viel Acrylamid, sondern auch Lebkuchen, Knäckebrot, Bratkartoffeln, Reibekuchen und Rösti (besonders wenn die Kartoffelprodukte stark gebräunt auf den Tisch kommen).
 
Das wasserlösliche Acrylamid wird vom Körper gut aufgenommen. Es soll nerventoxische und Erbgut schädigende Wirkungen auslösen. Die Krebsgefahr ist erhöht. Diese Wirkungen wurden allerdings im Tierversuch ermittelt. Und Tierversuche sind so eine Sache. Die Tiere bekommen bei solchen Versuchen grosse Mengen des Stoffs ins Futter. Und so kann es vorkommen, dass sonst harmlose Stoffe, wenn sie aus dem natürlichen Verband gerissen werden, plötzlich als giftig gelten. Und das Übertragen von Tierversuchen führt immer wieder zu falschen Resultaten:
 
„Ausserdem sind Ratten keine Menschen und haben nicht genau denselben Metabolismus“, betonte „Schrot&Korn“ (2003-10). Inzwischen vorgenommene Kontrollstudien beim Menschen zeigten bisher keine Zunahme von Tumoren. Diese Aussage und andere wichtige Fakten zum Thema erörterte ich ausführlich ich in meinem Buch „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag), das im Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein, erschienen ist.
 
Was sollen wir tun? Solange Acrylamid nicht als ungefährlich gilt, sollten wir vorsichtshalber zumindest die Empfehlungen der WHO, die eine zulässige Höchstmenge für Menschen (1 Mikrogramm/Tag/kg Körpergewicht) vorschlug, einhalten, auch wenn diese nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Zahlreiche Hersteller gingen bereits dazu über, die Herstellungsprozesse zu verändern, um den Acrylamidgehalt zu minimieren.
 
Was raten Verbraucherschützer? Sie empfehlen bei den Weihnachtsplätzchen und anderen Gebäcken eine Reduzierung der Backtemperatur auf 170–190 °C. „Vergolden statt Verkohlen“, lautet die Devise. AFP betont, je heisser die Plätzchen gebacken würden, umso höher sei der Gehalt an Acrylamid. Helles Gebäck hat dagegen weniger Acrylamid zu bieten. Experten sind für Backpapier. Das benutze ich bei meinen Backversuchen ebenfalls. Da klebt nichts an, und die Plätzchen werden von unten her nicht zu braun.
 
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gab einen Leitfaden zur Senkung der Acrylamidbelastung sowie verschiedene Merkblätter und Empfehlungen für Privathaushalte und handwerkliche Betriebe zur Vermeidung hoher Acrylamid-Gehalte beim Backen von Lebkuchen heraus (www.lgl.bayern.de).
 
Da staunt man nur, was die hohen Herren Wissenschaftler beim Backen von Lebkuchen oder ähnlichen Erzeugnissen empfehlen: Verwendung von hellen Mehlen, insbesondere Weizenmehl (Typen 405 oder 505), Temperaturreduzierung beim Backen, Verwendung von Natron (Natriumbicarbonat) oder handelsübliches Backpulver, aber auf keinen Fall Hirschhornsalz (Ammoniumbicarbonat). Dieses Salz hat nämlich einen erheblichen Einfluss auf die Acrylamidbildung. Dann solle man nicht mit Honig süssen, sondern mit Haushaltzucker. Honig enthält Fructose und Glucose, und diese sind wesentliche Vorläuferstoffe für die Acrylamidbildung. Auch Mandeln, insbesonders geröstete, soll man auch nicht verwenden, da diese besonders viel Asparagin enthalten. Dieses ist ja, wie erwähnt, für die Bildung von Acrylamid notwendig.
 
Ich finde, dass man schon mit der Senkung der Backtemperatur viel erreichen kann. Denn die Lebkuchenliebhaber werden sich auch in Zukunft nicht von den typischen Zutaten abbringen lassen.
 
Und hier das Wichtigste der Ratschläge: Wer eine ausgewogene Ernährung, die viel frisches Obst und Gemüse, dafür weniger Chips und Pommes enthält, wählt, der lebt gesünder und schützt sich vor Krebserkrankungen. Das war schon lange meine Meinung. In der Nachkriegszeit assen wir ja wenig Plätzchen und gebräunte Speisen, dafür kamen die selbst angebauten Lebensmittel sehr häufig auf den Tisch. Wer so lebt, der kann mit ruhigem Gewissen in normalen Mengen Rösti und Weihnachtsplätzchen futtern.
 
Quelle
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag)“, Verlag Textatelier.com, Biberstein 2005.
 
Infos über Acrylamid und Empfehlungen zur Minimierung:
 
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