Textatelier
BLOG vom: 31.12.2005

Bräuche zur Jahreswende (I): Erbsensuppe und Räucherwerk

Autor: Heinz Scholz
 
Wenn Papst Innozenz XII. (1615–1700) nicht die glorreiche Idee gehabt hätte, den 1. Januar als Neujahr auszurufen, hätten wir an diesem Tag nichts zu feiern. Aber damit noch nicht genug. Er erklärte den 31. Dezember zum Heiligentag des Papstes Silvester I. Dieser Papst starb nämlich an diesem Tag im Jahre 335. Bald darauf wurde in der Nacht vom Silvester zum 1. Januar das Fest mit Lärm- und Orakelbräuchen begangen.
 
Viele der Bräuche sind germanischen Urprungs. Wiederum andere Bräuche haben sich durch Beobachtungen, Erfahrungen oder durch den Aberglauben herausgebildet und wurden dann von Generation zu Generation weitergegeben. Wie wir sehen werden, halten sich Bräuche im Volk sehr hartnäckig, sogar bis in unsere moderne Zeit.
 
Erbsenessen bringt Geld
In manchen Gegenden des Schwarzwalds war es früher üblich, an Weihnachten Sauerkraut zu essen. Daraufhin blieb man dann das ganze Jahr gesund und hatte immer genügend Geld. In anderen Gegenden wurde am Heiligen Abend oder an Silvester eine gehörige Portion Erbsen- oder Linsensuppe verspeist. Das war auch bei uns in Bayern der Fall. Meine Eltern brachten den Brauch aus dem Sudetenland mit. An Heiligabend und Silvester wurde immer eine grosse Schüssel voll dampfender Erbsensuppe auf den Tisch gestellt. Etliche Familienmitglieder und auch Verwandte und Bekannte glaubten fest daran, je mehr Erbsen man verzehre, desto grösser sei der Geldsegen im kommenden Jahr. Da wurde gern und reichlich gelöffelt, und allfällige Blähungen wurden in Kauf genommen.
 
Zu Beginn der 12 Heiligen Nächte, der Lostage (von Weihnachten bis Heilige Drei Könige), wurden 12 mit Salz gefüllte Zwiebelschalen aufs Fensterbrett gelegt. Jede Schale bedeutete einen Monat. Dann wurde der Grad der Feuchtigkeit des Salzes in den einzelnen Schalen beobachtet. Die Menschen sagten dann die Witterung der nächsten 12 Monate voraus. In manchen Gegenden des Schwarzwalds legte man in der Andreasnacht (30. November) mit Wasser gefüllte Nuss- und Zwiebelschalen aufs Fensterbrett, um die Witterung des kommenden Jahres abzulesen.
 
Von unserer Mutter hörten wir Folgendes: Was man in den 12 Nächten träumt, geht in Erfüllung. Jede Nacht wurde einem Monat zugeordnet. Als Kinder waren wir natürlich nicht auf schlechte Träume erpicht. Schlechte Träume waren für uns immer mit Angst verbunden. „Tritt das ein oder nicht?“, fragten wir uns immer wieder. Aber bald waren wir beruhigt, wenn die Monate ohne Zwischenfälle vergingen.
 
Wäscheaufhängen ist nicht angebracht
Meine Mutter und meine Schwiegermutter waren sehr darauf bedacht, keine Wäsche in der Silvesternacht auf der Leine zu lassen. Wurde doch einmal ein Wäschestück vergessen, dann war ein Unglück oder ein Todesfall in der Familie angesagt. Obschon dann nichts passierte, wurde der Brauch doch immer wieder praktiziert. Dies ist auch heute noch der Fall.
 
Wie mir Hans Turnow aus Höxter erzählte, wusch seine Schwester an den 12 Tagen zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige keine Wäsche.
 
„Wer keinen Kopf im Schattenbild hat, der stirbt im kommenden Jahr.“ Mit diesem Ausspruch unserer Eltern wurden wir am Silvesterabend, bevor das Licht eingeschaltet wurde, geängstigt. Sobald das Licht erstrahlte, kam der spannende Augenblick: Wir schauten sofort nach, ob unsere Köpfe noch vorhanden waren. Allgemeines Aufatmen erfolgte, wenn wir unsere Köpfe noch hatten (in Wirklichkeit gibt es ja genügend „kopflose“ Menschen, die hirnrissige Entscheidungen treffen oder sonst irgendwie unangenehm auffallen ...). Später wurde dieser sonderbare Brauch nicht mehr gepflegt, aber in unseren Köpfen geistert er immer noch herum.
 
Glücksgreifen und Bleigiessen
Am Silvesterabend holten meine Eltern 3 Kaffeetassen, stülpten diese um und versteckten in der einen Tasse ein Stück Kohle, in der anderen ein Stück Brot und in der 3. Tasse eine Münze. Die Kohle bedeutete „Krankheit“, das Brot „Essen“ und die Münze „Geld“. Dann musste jedes Familienmitglied zunächst eine Tasse aufdecken. Erwischte man beispielsweise die Kohle, wurde man im kommenden Jahr krank, während das Brot bedeutete, dass man genügend zum Essen hatte, und die Münze, dass einem das Geld nie ausging.
 
Nach dem ersten Zug wurde der betreffende Gegenstand wieder in die Tasse zurückgelegt, mit kreisenden Bewegungen die 3 Tassen bewegt, so dass der Ziehende nicht wusste, wo welcher Gegenstand versteckt war. Insgesamt musste jede Person 3 Mal ziehen. Ich kann mich noch erinnern, dass mein Stiefvater einst 3 Mal „Kohle“ zog. Er widerlegte im kommenden Jahr jedoch den Aberglauben, denn er wurde nicht krank. Auch hatte ich einmal einen grossen Geldregen zu erwarten (ich zog 2 Mal die Münze), aber nichts passierte; Geld war bei mir als Auszubildender immer knapp. Irgendwann legten wir den Brauch ad acta.
 
In Ostpreussen wurden in den Tassen gebackene Figuren wie Frau, Mann, Ring, Kind, Schlüssel und Totenkopf versteckt oder auf den Tisch gelegt. Der Betreffende musste dann mit verbundenen Augen nach diesen Gegenständen greifen oder eine umgedrehte Tasse mit dem Gebäck hochheben. Die ergriffenen Figuren deuteten auf ein kommendes Ereignis hin (Silvester- und Neujahrsbräuche; siehe dazu www.brockhaus.de).
 
Auch das Bleigiessen, das zu den Orakelbräuchen zählt, war überall in Mode, bis einer darauf kam, dass Blei giftig ist. Wir ersetzten das Blei durch Kerzenwachs. Das flüssige Wachs wurde in kaltes Wasser gegossen, und anhand der sich bildenden Figur wurde herausgelesen, was der Betreffende im neuen Jahr zu erwarten hatte.
 
Zu den Orakelbräuchen gehört auch das Schuhwerfen. So wurde die Lage eines über den Kopf geworfenen Schuhs beurteilt und die Zukunft vorhergesagt. Warf beispielsweise ein Mädchen einen Schuh und dieser zeigte zur Haustür, dann stand ein Auszug des Mädchens aus der Wohnung der Eltern bevor. Es war also eine Hochzeit und Gründung eines eigenen Hausstandes zu erwarten.
 
Segne dieses Haus
Artur Hodapp aus Altenschwand (Schwarzwald) berichtete in „Mein Heimatland“ (1934-5,6)
über folgenden Neujahrsbrauch: „Die Kinder unserer Dörfer gehen am Neujahrstag zu den Erwachsenen und wünschen ihnen Glück für das kommende Jahr. Sie beginnen bei den Eltern, kommen dann zu den Grosseltern und Geschwistern, dann zu den Nachbarn und guten Bekannten und gehen zuletzt zu den Paten (sie heissen hier Götti und Gotte). Als Gegengeschenk für das Glückwünschen erhalten sie von den Paten Eierringe (das sind kranzförmige Wecken), von den Verwandten und Bekannten meistens Geld ... Die Mädchen hüten sich davor, als Erste in ein Haus zu kommen, deshalb gehen sie erst mittags zum Wünschen, während die Buben schon in aller Früh (um 5 Uhr) ausrücken. Unsere Alten meinen, es bringe Unglück, wenn zuerst ein Mädchen über die Schwelle tritt.
 
Am Dreikönigstag (6. Januar) werden an den Türen des Hauses, z. B. an Stalltüren, an die Kammertüren, an die Stuben- oder Küchentür, die 3 Buchstaben K+M+B angeschrieben. Diese Zeichen bedeuten: Kaspar, Melchior und Balthasar, das sind die Namen der Heiligen Drei Könige. Zum Schreiben verwendeten die Hotzen (Bewohner des Hotzenwaldes) Kreide, die an diesem Tag in der Kirche geweiht wurde.“
 
Heute werden vielfach die Buchstaben C+M+B auf Türen geschrieben. Es handelt sich um die Abkürzung der lateinischen Worte: C-hristus, M-ansionem und B-enedicat, was „Christus segne dieses Haus“ bedeutet.
 
Bis in unsere Tage hat sich dieser Brauch erhalten. Ab und zu entdecke ich eine Tür in der Nachbarschaft mit solchen Zeichen. In vielen Orten ziehen Buben, die als Heilige Drei Könige verkleidet sind, zusammen mit einem Sternträger durch den Ort und bringen in Wort und Lied zu Beginn des Jahres den „Segen Gottes in die Häuser und in die Familien“ wie Kurt Klein berichtet.
 
In diesem Jahr sind 50 000 Jungen und Mädchen in Baden-Württemberg (in D sind es insgesamt 500 000) als „Sternsinger“ zwischen 28. Dezember und 6. Januar unterwegs, um Spendengelder zu sammeln. Mit den Geldern werden in diesem Jahr Bildungsprojekte für arbeitende Kinder in Peru realisiert. Die bundesweite Sternsinger-Aktion unterstützt 2000 Projekte in 100 Ländern. Im letzten Jahr kam die beachtliche Summe von 47,45 Millionen Euro zusammen.
 
Dreikönigswasser
Das am 6. Januar geweihte Dreikönigswasser soll besonders magische Kräfte entfalten. Es wurde nach Hause genommen, um böse Geister zu vertreiben und Mensch und Vieh vor Krankheiten zu schützen. Eine Bewohnerin von Wachendorf erinnert sich:
 
„Ich bin einmal mit Grossvater bei einer Tante gewesen. Wir sassen zusammen in der Stube, als es plötzlich anfing zu donnern und zu blitzen. Da holte die Tante ein Fläschchen aus dem Küchenschrank und spritzte daraus Dreikönigswasser in alle 4 Ecken der Stube.“ Die Tante trug das Fläschchen immer bei sich. Sie war überzeugt, das Wasser schütze sie vor den Gefahren eines Unwetters.
Quelle: „Grossvater, erzähl` mal wie es früher war“ von Heidi Heusch, Starzach I, 1987.
 
„Johanniswein“ für Kampfhähne
In dem Buch „Weilimdorfer Bilder und Geschichten“ sind auch einige Episoden über das Brauchtum zu Weihnachten und Silvester aufgeführt. Wie Karl Gerlach (1871–1950) erzählte, durften am Silvesterabend auch die Frauen eine Wirtschaft aufsuchen. „Da war die Unterhaltung gemischt mit Gelächter und Gekicher, denn die Weibsleut waren doch nicht so trinkfest wie die Mannsleut.“
 
Am 27. Dezember, dem Johannes-Tag, wird in der Kirche der „Johanneswein“ gesegnet, der später als Glück- und Segenstrunk Verwendung findet. Auch wurde der Wein bei verschiedenen Krankheiten getrunken. Wurde jemand verabschiedet, erhielten die Freunde diesen Wein, ebenso Kampfhähne zur Versöhnung.
 
Wie Kurt Klein in seinen „Schwarzwälder Kalenderblättern“ berichtet, wurde früher auch eine Salzscheibe mit dem Wein getränkt. Diese schützte dann das Vieh vor Krankheiten und Hexerei. Und so manche Gebärende erhielt das „Johanneswasser“ zur Geburtserleichterung.
 
Räucherungen in Amtsstuben
Der Weihrauch wurde schon sehr lange für Räucherungen in der religiösen Praxis von Juden, Hindus oder Christen verwendet. Auch im Brauchtum spielt der Weihrauch auch heute noch eine Rolle. So geht in Appenzell am frühen Abend des Weihnachtstages der Bauer mit der „Räuchlipfanne“ qualmend durch alle Räume des Hauses, Stalles und im Bereich des Hofes. Über diesen Brauch berichtete vor einigen Jahren das Schweizer Fernsehen. In anderen Gegenden wurden mit Weihrauch in den Rau- oder Rauchnächten (die Nächte der Lostage bezeichnet man, mit Ausnahme des 1. und 12. Tages, so) Amtsgebäude, Hof und Haus mit Weihrauch kräftig ausgeräuchert. Zweck dieser Prozedur war die Verscheuchung böser Geister und sonstiger dämonischer Gestalten. In manchen Gegenden zogen die so genannten „Pelzer“, mit Pelzen und Tiermasken vermummte Gestalten, herum, um böse Geister zu vertreiben. Und daraus wurde die Bezeichnung „Raunacht“ („rau“ hatte nämlich damals die Bedeutung „haarig, pelzig“).
 
In den 12 Nächten zogen auch Burschen des jeweiligen Dorfes unter Lärmen, Trommeln, Läuten, Pfeifen und Peitschenknallen herum. Später wurden diese Lärmquellen durch Böllerschüsse und Feuerwerk ersetzt. Grund der Kracherei war das Vertreiben der dämonischen Wesen (Geister, Hexen, Drachen, wilde Jäger), die eben kein Licht und keinen Krach vertrugen.
 
Das moderne Lärmen ist heute mit einer Luftverschmutzung verbunden. Überall werden Böller und Raketen gezündet. In diesem Jahr rechnet der deutsche Einzelhandel mit einem Umsatz von Feuerwerkskörpern von 100 Millionen Euro. Sehr zu empfehlen wäre der Leitspruch einer Wohlfahrtsorganisation, die lautete: „Brot statt Böller.“ Während einer Umfrage in den ZDF-Nachrichten vom 29. Dezember 2005 äusserte eine Frau wirklich Treffendes: „Wir werden auch ohne Knallerei glücklich!“
 
Räucherwerk eines Älplers
Michael Schneider, der in seinem Kräutergarten auf der 1300 Meter hoch gelegenen Hörmoosalpe bei Oberstaufen (Allgäu) 140 verschiedene Kräuter züchtet, räuchert sein ganzes Haus zwischen den Jahren aus, um alte Sorgen zu vertreiben. Wie Klaus Wittmann in der „Badischen Zeitung“ vom 28. Dezember 2005 berichtete, füllt der Kräuterfachmann eine Messingschale mit Quarzsand, entzündet ein Stück Räucherkohle und streut darüber getrocknete Kräuter. Es bildet sich ein Duft von Wacholder, Fichtenharz und Lavendel. Mit einer Adlerfeder verteilt er den Rauch. Tagsüber werden alle Räume ausgeräuchert, dann erfolgt eine Lüftung der Zimmer durch Öffnen der Fenster, um das Alte und Verbrauchte hinauszulassen. Sobald es dämmert, schreitet Michael Schneider zur 2. Prozedur. „Das ist dann eher der Teil des Orakelns, man blickt durch den Rauch und schaut ein wenig in die Zukunft“, erklärte der Älpler. Das Ausräuchern diente früher zum Schutz vor der Unterweltgöttin Percht.
 
Gutes essen
„Wer über die Jahre gut schmaust, hat das ganze Jahr vollauf“, so ein Spruch zum Neujahrstag. Heute ist es so, dass man an den Weihnachtsfeiertagen und am Silvester- bzw. Neujahrstag gut schmaust. Kein Wunder, dass so mancher an den zugenommenen Pfunden schwer zu tragen hat. Auf dem Lande war es so, dass die Leute fette, körnerreiche und quellende Speisen zu sich nahmen. Es waren Zutaten, die für Gesundheit, Fruchtbarkeit und Reichtum im kommenden Jahr sorgten. In bürgerlichen Kreisen wurde der Karpfen bevorzugt. Die Schuppen dieses Fisches bedeuteten Glück und Wohlstand. Der Hausvater versteckte eine Schuppe unter seinem Teller. Diese Schuppe trug er dann das ganze Jahr in seinem Geldbeutel spazieren. Er hoffte dann auf eine immer gut gefüllte Brieftasche.
 
Bei uns in Schopfheim gibt es an Weihnachten und der Zeit bis Neujahr so genannte Neujahrsbrezeln aus Hefeteig in Bäckereien zu kaufen. Andernorts werden Neujahrskuchen, Neujahrskränze, Neujahrsringe und Neujahrsmännchen gebacken. Alle diese Gebäcke gelten als Glücksbringer.
 
Zu einem guten Essen gehört das passende Getränk. Wir tranken an Silvester Bowle (ab und zu die Feuerzangenbowle), Punsch und Sekt. Bei schwer im Magen liegenden Speisen wurde als „Aufräumer“ ein Grappa, Kirsch, Wacholderschnaps oder ein Likör mit Artischockenextrakt getrunken.
 
Im 2. Teil erfahren Sie etwas über Neujahrswünsche, Neujahrsbräuche in anderen Ländern und was so mancher Blogger über Silvester und Neujahr zu sagen hat.
 
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25. 12. 2004: „Weihnachtsbräuche (II): Das Küssen unterm Mistelzweig
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