Textatelier
BLOG vom: 01.02.2006

Spindeldürre Models – schlechte Vorbilder für Jugendliche

Autor: Heinz Scholz
 
In diesem Blog werde ich nicht nur über dünne angehende Models, die in einer Casting-Show als zu dick angesehen wurden, sondern auch über die in den USA kursierende „Pro-Anas-Bewegung“, welche die Magersucht verherrlicht, berichten. Des Weiteren erwähne ich die von einer Magersüchtigen erdachten 10 Gebote und die Bemühungen über den verzweifelten Versuch von Tony Blair, dünne Models vom Laufsteg zu verbannen. Geschildert wird auch der traurige Fall einer einst schönen amerikanischen Sängerin und Schauspielerin, die eine Hungerkur unternahm.
 
Casting-Show: Mageres Model war zu dick
Ich konnte es kaum glauben, als ich die Meldung las, dass ein 19-jähriges Mädchen mit einer Grösse von 1,76 Meter und einem Gewicht von 52 Kilogramm von den Veranstaltern der Casting-Show „Germanys Next Topmodel – by Heidi Klum“ als zu dick abgelehnt worden war. Bei dieser 10-teiligen Show von Pro7 soll Deutschlands Supermodel gekürt werden. 11 637 Frauen hatten sich beworben. Nach der gnadenlosen „Aussiebung“ blieben 32 für die 1. Sendung am 25. Januar 2006 übrig.
 
Es ist wirklich menschenverachtend, wie mit jungen Leuten umgegangen wird. Ähnliche Tendenzen sind auch bei einer anderen Show („Deutschland sucht den Superstar“) zu beobachten. Hier werden auf Kosten von Jungendlichen Quoten erzielt. Dabei ist den Machern egal, ob die Kandidaten nach dem Ausscheiden heulend zusammenbrechen oder irgendwie ausflippen. So wurde kürzlich ein junger Sänger von einem Boulevardblatt in einer riesigen Schlagzeile als „Heulsuse der Nation“ bezeichnet, nur weil er seinen Gefühlen freien Lauf liess. Er machte dann das einzig Richtige. Er schied freiwillig aus der Show aus. Ihm war der Presserummel zu viel. Überall tauchten Reporter und Fernsehleute vor der Wohnung seiner Eltern auf und wollten alles Mögliche und Unmögliche aus seinem Privatleben herausbringen.
 
Zurück zur Model-Show: Für mich kann so eine Veranstaltung für junge Menschen gefährlich werden. Denn wir alle kennen den Nachahmungstrieb. Viele möchten superschlank sein wie die klapperdürren Topmodels, die über die Laufstege staksen. Das war schon einmal der Fall, als nach der Überfülle von Topstars in den 50er-Jahren plötzlich Leichtgewichte wie die zerbrechliche Kindfrau Twiggy (übersetzt: Zweiglein) Karriere machten. Damals gab es viel Kritik und wenig schmeichelhafte Bemerkungen. So wurde das dünne Wesen als „abgenagte Rippe“ bezeichnet.
 
Wie ich schon in meinem Kontrapunkte-Artikel „Den Schlankheitswahn endlich beenden“ festgehalten habe, ist es den Couturiers und Anbietern stets egal, ob diese „Kunstprodukte der Gesellschaft“ hungerten, alkoholkrank und rauschgift- oder magersüchtig wurden. Dazu einige interessante Zahlen: Vor 25 Jahren wogen die Models nur 8 % weniger und heute bereits 23 % weniger als die „Durchschnittsfrau“.
 
Die Anzahl der Heranwachsenden mit Essstörungen wächst ständig. Es sind meist junge Frauen, aber im zunehmenden Masse auch Männer, die unter Magersucht (dauerhaftes, zwanghaftes Hungern) oder unter Bulimie (Erbrechen nach dem Essen) leiden. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es in Deutschland 600 000 Menschen (darunter 70 000 Männer), die unter einer Bulimie leiden. 100 000 sollen magersüchtig sein.
 
Der Göttinger Jugend-Psychiater an der Universität Tübingen, Gunther Klosinksi, ist der Ansicht, dass „mediale Vorbilder oder Fernsehshows nicht die Ursache von Essstörungen sind“. Er ist jedoch überzeugt, dass derartige Sendungen Auslöser für wahnhaftes Abnehmen sein können (Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar 2006).
 
Militante Magersüchtige wehren sich
Das gibt es wohl nur in den USA: Dort haben sich 100 000 militante Magersüchtige – so genannte „Anas“ – zusammengeschlossen und den Kampf um die Verbreitung der Magersucht-Heilsbotschaft aufgenommen. Laut www.magersucht-online.de beschäftigt die US-amerikanische „National Association of Anorexia Nervosa and Assiciated Disorders“ (ANAD) inzwischen einen Vollzeitangestellten damit, diese Seiten zu überwachen und Internet-Provider davon zu überzeugen, sie vom Netz zu nehmen. Doch Anas will sich das Recht erstreiten, dass ihre Webseiten, die die Magersucht verherrlichen, wieder zugelassen werden oder im Netz bleiben können. Sie behaupteten, ihre ausgezehrten Körper seien Ausdruck ihres freiwillig gewählten Lebensstils und nicht Symptom einer gefährlichen und oftmals tödlichen Krankheit. Kaum hatten die Gesundheitsbehörden die Internet-Seiten geschlossen, organisierten sich die Magersüchtigen und sammelten Gelder, um sich juristisch zu wehren. Dafür muss man Verständnis haben: Behörden, welche die Meinungsfreiheit unterdrücken – die Amerikaner sind diesbezüglich besonders begabt (selbst unangepasste Wissenschaftler werden kaltgestellt) –, sind nicht intelligenter als die Hungerkünstler. Mit etwas Aufklärung (auf beiden Seiten) und Ursachenstudium (siehe Vorbilder aus der Modewelt) käme man wohl weiter.
 
Inzwischen gibt es etliche Internet-Seiten und Internet-Commuinities, in denen Essstörungen verherrlicht werden, auch bei uns. Wie der Schulsanitätsdienst (www.schulsanitaetsdienst.de) berichtet, formulierte die Magersüchtige „Klara“ auf ihrer Website die 10 Gebote auf ihre Weise. Hier sind sie („taz“, Nr. 6915 vom 27.11.2002):
 
1. Wenn ich nicht dünn bin, kann ich nicht attraktiv sein.
2. Dünn sein ist wichtiger als gesund sein!
3. Ich muss alles dafür tun, um dünner auszuschauen / dünner zu sein.
4. Du sollst nicht essen, ohne dich schuldig zu fühlen.
5. Du sollst keine „Dickmacher“ essen, ohne hinterher Gegenmassnahmen zu ergreifen.
6. Du sollst Kalorien zählen und deine Nahrungszufuhr dementsprechend regulieren.
7. Die Anzeige der Waage ist wichtiger als alles andere.
8. Gewichtsverlust ist GUT, eine Zunahme ist SCHLECHT.
9. Du bist NIE zu dünn.
10. Nahrungsverweigerung und Dünnsein sind die Zeichen wahren Erfolges und wahrer Stärke.
 
Wer sich an so etwas hält, dem sind wohl einige Gehirnzellen abhanden gekommen. Hier war wiederum die „Pro-Anas-Bewegung“ aus der „glorreichen“ und „freiheitsliebenden“ USA ein schlechtes Vorbild.
Wer jetzt noch nicht begreift, dass diese Menschen krank sind und einer Behandlung bedürfen, dem ist nicht zu helfen.
 
Dünner als Tony Blair erlaubt
Wie im Magersucht-Online Pressebericht erwähnt, forderte Tony Blair schon im Jahre 2000 ein Ende des Schlankheitskults der Models. Da es auch im Königreich über 200 000 Mädchen mit Essstörungen gibt, sah die britische Regierung einen Handlungsbedarf. Die oft spindeldürren Models wie Kate Moss oder Jodie Kidd und superdünne Stars sollten von der Bildfläche verschwinden. Die neue Devise lautete: „Dünn ist keineswegs schön und gesund."
 
Die Chefredakteurin einer Modezeitschrift wehrte sich gegen eine solche Pauschalierung. Sie war der Ansicht, die Mädchen werden nicht magersüchtig, wenn sie falsche Vorbilder haben. Ein Anzeigekunde drohte jedoch mit einem Boykott, wenn sie weiterhin dünne Models wie Trish Goff in ihrem Hochglanzmagazin ablichtet. Das Model wog zu jener Zeit bei 1,80 Meter Grösse nur 44 Kilogramm.
 
Jodie Kidd verabschiedete sich vom Laufsteg. Sie konnte es nicht mehr aushalten. Sie wurde immer wieder von Müttern auf der Strasse angesprochen, sie trüge die Verantwortung für die Erkrankung ihrer Töchter. „Als sie dann feststellen musste, dass sich in der Tat immer mehr Teenager ihre überschlanke Figur zum Vorbild erkoren und sie imitieren wollten, sei sie sich ihrer Verantwortung bewusst geworden. Sie habe daher einen Schlussstrich unter ihre öffentlichen Auftritte gezogen, sagte Jodie Kidd“ (zitiert nach einem Bericht der Stuttgarter Nachrichten vom 11. April 2000).
 
Inwieweit Tony Blairs Vorstoss Erfolg hatte, ist mir nicht bekannt. Das dürfte den Modezaren egal sein, die meisten Modenschauen finden ja in Paris, Mailand, Rom und New York statt.
 
Der Fall Lindsay Lohan
Es war einmal eine attraktive Sängerin und Schauspielerin, die wirklich eine gute Figur und Erfolg hatte. Bald darauf hielt die Frau den Druck ihres Berufes wohl nicht mehr aus oder wollte den superdürren Models nacheifern. Sie flüchtete sich in die Magersucht. Aus ihrer kurvenreichen Erscheinung wurde ein Hungerhaken. Die geschilderte Veränderung blieb auch der Presse nicht verborgen, und bald darauf rauschte es ganz gewaltig im Blätterwald. Immer wieder betonte die Prominente – es handelte sich um die 19-jährige Lindsay Lohan – ihre körperliche Veränderung wäre Folge einer ganz normalen Diät. Die ganze Wahrheit kam in einem Interview, das die Zeitschrift Vanity Fair publizierte, heraus. Ja, sie sei magersüchtig und sie hätte auch die eine oder andere Drogenerfahrung gesammelt. Sie sei jetzt aber clean.
 
Ihr Manager war natürlich über dieses Interview nicht erfreut, er wollte sogar die Veröffentlichung besonders heikler Passagen verhindern (Publikation im neuen Online-Magazin www.naanoo.com). Am 13. Januar 2006 dementierte die Schauspielerin ihre Aussagen als nicht wahr. Sie wurde missbraucht, die Arme. Vanity Fair hat jedoch alle Aussagen auf Band.
 
Warum ich diesen Fall näher beleuchte, hat einen Grund: Im Jahr 2005 sah ich mir den Disney-Film „Herbie fully loaded – Ein toller Käfer startet durch“ mit meinem VW-begeisterten Enkel Manuele in einem Lörracher Kino an. Nicht nur er, sondern auch ich war von der hübschen Lindsay angenehm überrascht. Nach ihrer „Diät“ hat die ehemals hübsche Lindsay dann allerdings gehörig an Ausstrahlung verloren.
 
Auch vollschlanke Models sind gefragt
Zum Glück gibt es Agenturen, die Models suchen, die mehr Pfunde auf den Rippen haben. So kann man unter www.zeitgeist-models.de Bewerbungsvoraussetzungen nachlesen. Es werden Models mit swn Konfektionsgrössen 36 und 38 gesucht. Die Agentur betont, dass jetzt wieder Natürlichkeit gefragt sei. Out sind Haarverlängerungen, aufgespritzte Lippen oder künstliche Fingernägel. „Ein aktuelles, wenn auch übertriebenes Beispiel zeigt uns die Dove-Werbung. Hier wird mit natürlichen authentischen Models (echten Frauen) geworben“, so die Agentur.
 
Medienvertreter ins Gewissen geredet
Medienvertreter, Modeschöpfer, Werbefachleute und Firmenchefs sollten endlich begreifen, dass sich ein niedriges Körpergewicht nicht automatisch mit „schön“ assoziieren lässt. Auch sollte man diesen Leuten ins Stammbuch schreiben, dass magere Models schlechte Vorbilder für Teenagers sind, die dann mit allen Mitteln versuchen, solch einen Körper anzustreben. Aber ich habe wenig Hoffnung, dass sich bei den Verantwortlichen ein Sinneswandel vollzieht.
 
Dazu passt folgende Meldung: In der Badischen Zeitung vom 31. Januar 2006 wurde wiederum ein dürres Model als erstrebenswert vorgestellt. In einem Bericht über die Gewichtszunahme der Menschen in Frankreich (12 % sind laut einer Untersuchung übergewichtig, in den USA sind es über 20 %!) wurde ein superdürres Model und daneben eine Hamburger mampfende Frau abgebildet. Die Bildunterschrift lautete: „Der Hamburger erobert auch das auf seine Esskultur stolze Frankreich. Die Folge: Fast 12 % der Bürger haben Übergewicht. Nun hat das Pariser Gesundheitsministerium zum Gegenangriff geblasen, auf dass alle Franzosen wieder so rank und schlank werden wie das Model links.“
 
Hinweise
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