BLOG vom: 01.04.2006
Frühlings-Flausen: Die Fliesen aus dem Container
Autor: Emil Baschnonga
Regen, Wind und Sonne wetteifern miteinander. Die Natur wird wachgerüttelt – und ich mit ihr. Gestern, unterwegs zum Wimbledon Village, sah ich neben unserem Haus einen „Skip“ (Abfallcontainer), gefüllt mit Bauschutt. Sehr diskret warf ich im Vorbeigehen einen Blick in diesen Behälter, stutzte und hielt inne, als ich eine zerbrochene Fliese gesichtet hatte.
Neue Nachbarn sind nebenan ins weitläufige Haus aus der viktorianischen Zeit eingezogen. Das Haus heisst „Snettisham“. Unter dem Giebel ist das Baujahr in Stein gehauen: 1883. Ei, wie dort ganztags gehämmert und umgebaut wird! Ich musste die Fenster schliessen, als mit dem Pressluftbohrer das Riesenschwimmbecken zerstückelt wurde. Selbst dann drang der Lärm durch das doppelverglaste Fenster und störte meinen Gedankenfluss.
Ich hatte richtig vermutet: Neben zerbrochenen lagen dazwischen auch ganze Bodenfliesen, die ich spontan „rettete“, einfach weil sie mir gefielen. Sie sind in bunter Geometrie mit Wachsfarben eingebrannt, sind als „encaustic tiles“ bekannt und von Sammlern begehrt. Sie wurden von der bekannten Minton Manufaktur hergestellt. Diese viereckigen Fliessen messen 20 cm. Jede wiegt 4,5 kg. Kein Wunder, dass ich bloss 4 oder 5 auf einmal in meinen Garten tragen konnte. 20 hatte ich auf Anhieb für die Nachwelt gerettet.
Auf dem Rückweg vom Wimbledon Village sah ich einen Bauarbeiter Schutt in den „Skip“ kippen und fragte ihn, ob noch mehr solche Fliesen hier ihr Ende finden. „Ja“, sagte er, „der Rest wird eben vom Boden geräumt.“ Für ein Trinkgeld versprach er mir, den Rest der unbeschädigten Fliesen im Schubkarren in meinen Garten zu bringen. Tatsächlich kam er knapp eine Stunde später mit einer Ladung von 30 Fliesen.
Meine Frau schaute mich krumm an, als ich sie allesamt auf dem Rasen ausbreitete. Ich versicherte ihr, dass sie nicht ins Haus kommen, sondern draussen bleiben, was sie ungemein beruhigte – und mich auch.
Ein kurzes Gewitter ging nieder. Ich flüchtete ins Haus. Der Regen hatte die Fliesen allesamt gewaschen! Sie glänzten, und ich bewunderte sie wie ein Blumenbeet. Aber wie war es mit dem Mörtel bestellt, der ihnen teilweise am Rand anhaftete? Mit einem alten Schraubenzieher und Hammer stellte ich erleichtert fest, dass der Mörtel ohne grosse Anstrengung meinerseits absprang.
Wie gesagt, das Frühlingswetter bringt mich leicht in Aufruhr und verführt mich zu Flausen. Was soll ich mit diesen Fliesen anfangen? Nun konnte ich nicht länger draussen bleiben und werweissen, sondern musste mich schleunigst wieder an die Arbeit machen.
Wie so oft zuvor überfallen mich Einfälle beim Abendessen. Die arabeske Ornamentik … „In deinem Elternhaus (in Persien) gab es im Garten einen kleinen Teich mit Goldfischen“, wandte ich mich sachte an meine Frau, „und der war von ähnlichen Fliesen umringt.“ Sie roch sofort die Lunte und winkte ab: „Damit würdest du den Garten verschandeln.“ Dank mir zog sie die „Moderne“, befreit von Zierrat, vor. Inzwischen hatte ich gelernt, wann ich Grenzen zu ziehen hatte. Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen.
Wie das Fliesenmuster ineinander übergreift, reihe ich sie wohl am besten zu einem grossen Viereck aneinander. Wo der Rasen beginnt sind viele grosse Töpfe aufgestellt mit Lavendel, Rosmarin und ähnlichem Immergrün beschickt. Genau dort, zwischen diesen Töpfen, werde ich das Viereck legen. Das ist der ideale Ort, um mich an sonnigen Tagen mit einem Buch dort zu verstecken, um wie die Schweiz gelegentlich „Ferien von der Weltgeschichte zu nehmen“, wie es Walter Hess kürzlich bei einem Vortrag in Deutschland so treffend genannt hat.
Hinweis auf ein weiteres Blog mit Bezug auf Keramik
03. 04. 2005: „Ausstellung in London: Die Türken sind gekommen“
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