Textatelier
BLOG vom: 03.04.2006

Wenn eine Regionalbank wie die NAB zur Entertainerin wird

Autor: Walter Hess, Biberstein CH

Der Verwaltungsratspräsident Josef Bürge ist die personifizierte, unterkühlte Sachlichkeit, der sogar einsame Stimmenthaltungen auszählen lässt, damit alles seine Ordnung habe. Auch das Bankinstitut trieft vor Seriosität. Aber einmal im Jahr, wenn die Generalversammlung vorbei ist, bricht ein unwahrscheinliches bänklerisches Showtalent durch, so dass diesmal in der Sporthalle Schachen in Aarau Gehörschutzmaterial („Tinnitus on Tour“) verteilt werden musste, um Trommelfellrisse in den Aktionärsohren zu verhindern. Die Risikominimierung gehört schliesslich zum Tagesgeschäft. 

Die Rede ist von der Neuen Aargauer Bank (NAB), dieser grössten Regionalbank im Aargau, die im letzten Jahr 2005 immerhin 139,7 Mio. CHF an Reingewinn („verfügbarer Betrag“) erwirtschaftet hat. Die jährliche Generalversammlung als solche ist ein Ritual, bei dem man nur von Wachstum und guten Zahlen hört, und die Formalitäten sind die üblichen, nicht der Rede wert. Nur Albert Huber, der aus Brüssel angereist war, aber nicht etwa die EU vertrat, belebte den Ablauf des Statutarischen mit dem Einwand, dass es doch nicht sein könne, dass sich alle Verwaltungsräte wieder wählen liessen. Aber diesen Räten gefällt es offensichtlich, und dem Publikum gefällt es auch (das GV-Programm), sonst kämen nicht über 1400 Personen.
 
Dass bei diesem Massenaufmarsch solch ein feines Abendessen mit Morchelterrine auf Spargelsalat, Kalbshohrücken aus dem Ofen, neue Kartoffeln und ein sorgfältig gewürztes Gemüsebouquet warm aus der „Krone“ in Lenzburg aufgetragen werden konnte, erstaunt schon, eine logistische Meisterleistung bis hin zum Dessert (Vanille-Rhabarbercrème und Erdbeersorbet mit schwarzem Pfeffer). Die NAB lässt sich nicht lumpen; die Dividende kann aufgebessert werden.
 
Zum Dessert gehört jeweils auch ein Unterhaltungsprogramm, das traditionellerweise von einem Fernsehmoderator moderiert wird, damit die abendliche TV-Abstinenz zu keinen Entzugserscheinungen führt. Diesmal war Kurt Aeschbacher dran, der sich erfreulich kurz hielt und sich immerhin zu einigen träfen Sprüchen aufraffte, damit man sich seinem Slogan gemäss auch noch "späääääter" an ihn erinnere. Und das Gehopse der Benissimo-TV-Tanztruppe „Friends“ mit ihren Barbie-Puppen musste man ebenfalls über sich ergehen lassen, eine Gruppe , die mit Lichtblitzen sehr freie Interpretationen und gewisse Synchronisationsmängel zu kaschieren versucht. Die Birgit Steinegger als Frau Iseli ist auch immer wieder gut. Ich mag sie und ihre Sprüche und Parodien. Man müsse nur schon den NAB-Geschäftsbericht vorlesen – und schon herrsche Stimmung, sagte die Stimmungskanone. Und gewisse Banken hätte als Anlageberaterin das Trudi Gerster (die Märchentante) angestellt. Neben Rosinen aus ihrem bewährten Repertoire, die ich selber bald auswendig kann, war die begabte Kabarettistin auch aktuell: Ihre Nachbarin habe eine solche Angst vor der Vogelgrippe, dass sie selbst ihrer WC-Ente Tamiflu gebe. Ich mag die Birgit Steinegger. Sie hat einen unverwüstlichen Charme und strotzt vor heimatbezogener Vitalität, und so ertrage ich sie gut, immer wieder.
 
Bei solchen Gelegenheiten denke ich jeweils gleichwohl, warum die NAB-Unterhaltungsabteilung eigentlich nicht vermehrt auf aargauisches oder einfach weniger bekanntes Kabarettistenmaterial zurückgreift. Oder haben wir vielleicht schon die totale Fernseh-Gesellschaft, in der nur ein Star ist, wer täglich aus der Glotze glotzt und dort herumlümmelt? Ein betagter, belesener Tischnachbar und ehemaliger Sekundarlehrer, der es schafft, ohne Fernsehgerät auszukommen beziehungsweise zu überleben, sagte mir, er habe viele Pointen nicht verstanden. Und da spürte ich, in was für einer vom TV mit seinen in aller Welt zusammengekauften Formaten dominierten Welt wir eigentlich dahinvegetieren.
 
Die NAB stiftet aus ihrem Riesengewinn 1 Mio. CHF an kulturelle Projekte, eine noble Haltung und stolze Leistung; die Gagen für die Betreuer der Spassgesellschaft vom zürcherischen Leutschenbach für ihre Auftritte an der Generalversammlung sind noch nicht einmal einberechnet. Wenn ich etwas zum NAB-GV-Programm zu sagen hätte, würde ich unbekannteren Künstlern eine Chance geben, die es ja nötiger hätten als die honorarmässig sehr gut dotierten nationalen Stars, für die wir unsere Gebühren abliefern und die mit allerhand Zusatzverdiensten ohnehin reich gesegnet sind. Ich wäre immer für neue Bekanntschaften offen. Aber ich habe nichts zu sagen; doch etwas nachzudenken sei mir bei aller allseitigen Sympathie gestattet.
 
Für einen abschliessenden Riesenklamauk sorgte diesmal das Swiss-Military-Chaos-Schock-Orchestra, das so gute Musiker und Sänger vereinigt, dass weniger Gags und Knalleffekte mehr wären. Da gehen die Nuancen sozusagen im Pulverdampf unter. Es sind harte, einsatzbereite und phantasievolle Arbeiter, für mich eine Neuentdeckung. Aber man müsste sie zu ihrem eigenen Vorteil etwas an die Kandare nehmen.
 
Mit leiseren Tönen arbeitet die bereits erwähnte Birgit Steinegger: „Wer weiss noch was ein Buch ist. Die meisten Leute wissen das nicht mehr“, leitete sie ihre altbewährte Marcel-Reich-Ranicki-Parodie ein. Aber die NAB-Aktionäre wissen immerhin noch, was ein Geschäftsbericht ist, auch eine Art Buch. Und dieser gehört regelmässig zu den Bijous unter den Geschäftsberichten. Diesmal waren Getreidebilder und -beschreibungen drin, also nicht allein Formalismen, Namen und ein Zahlensalat. Schön gemacht und ansprechend, lehrreich obendrein.
 
So profiliert sich eine Bank mit dem Odeur des Speziellen, vielleicht in Zukunft zunehmend auch beim Unterhaltungsprogramm. Wer weiss?
 
PS. Jahresbericht und Jahresrechnung 2005 wurden genehmigt. Ohne Enthaltungen.
 
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