BLOG vom: 21.04.2006
Von Möven, die innerhalb der Grenzen ihres Rayons picken
Autor: Walter Hess
Die Möven picken als Gastrounternehmen seit 1948. Damals hat der Hotelierssohn Ueli Prager, die ehemalige Identifikationsperson der Firma, mit dem Zürcher „Claridenhof“ das erste Mövenpick-Restaurant eröffnet, und seit her ist daraus ein international tätiges Unternehmen geworden, das sich allerdings in geografischer Selbstbeschränkung übte. Es hat sich auf Europa (Schweiz, Deutschland, Niederlande, Frankreich, Italien, Tschechische Republik), Afrika (Ägypten, Marokko, Tunesien, Tansania, Mauritius) und den Mittleren Osten (Jordanien, Libanon, Palästina, Katar, Bahrain, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Jemen und Saudi-Arabien) beschränkt. Demnächst wird Indien aufgerollt.
Die Mövenpick-Gruppe hat sich der gehobenen Gastlichkeit verschrieben und sich vielleicht aus diesem Grund nie in den USA etabliert – das würde ja nicht zusammenpassen. Ich habe deshalb 1981 einige wenige Aktien für 515 CHF (inkl. Anrechte) pro Stück gekauft, die sich dann anzahlmässig verzehnfacht haben und heute etwa 70 CHF pro Stück gelten. Ein Riesengeschäft war das somit nicht; vor allem die ersten Jahre dieses 3. Jahrtausends haben dem Unternehmen arg zugesetzt; eine Art Mövengrippe, die aber abgeklungen ist.
Seit 2005 ging es wieder aufwärts. Bei einem Gruppenumsatz von 1,142 Milliarden CHF wurde ein kleiner Gewinn von 6,1 Millionen CHF erwirtschaftet, „Das Resultat veranlasst uns nicht zum Jubeln“, sagte der in Basel ansässige Verwaltungsratspräsident Peter Kalantzis an der Generalversammlung vom 20. April 2006 in Regensdorf ZH gutgelaunt, aber tatsächlich jubelfrei. Nach meiner persönlichen Beurteilung bedeutet der bescheidene Gewinn, dass Mövenpick seine Kunden nicht abzockt.
Das übliche GV-Ritual ist nicht erwähnenswert; von mir aus kann sich die Finanzpresse daran gütlich tun. Das sind ja eher Durchhalteübungen. Ich möchte hier bloss eine Episode erzählen, welche die Generalversammlung auflockerte: Der Berner Fred C. Moser fügte an, dass die Aktionäre wohl den Verwaltungsrat, nicht aber die Geschäftsleitung entlasten können, und da hatte er Recht. Dieser alte Zopf wird noch an manchen Aktionärsversammlungen nachgeschleppt. Und zudem hatte Moser herausgefunden, dass das Verwaltungsratsmitglied und Hauptaktionär von Mövenpick, Luitpold von Finck (aus Bäch, Gemeinde Freienbach), der etwa 85% der Aktien hält, der einzige Verwaltungsrat ist, der gleichzeitig Aktionär ist. Aber laut dem schweizerischen Obligationenrecht (OR) muss ein Verwaltungsrat Aktien haben, damit er dieses Amt überhaupt auch ausüben kann. Das wurde offenbar so gelöst, dass die im Prinzip aktienfreien Verwaltungsräte (Peter Kalantzis, Gerd Peskes (Essen D) und Ernst Knut Stahl (München D) einfach je 1 Pflichtaktie haben – ob diese Luitpold von Finck ausgeliehen hat oder ihnen selber gehört, weiss ich nicht.
Eine Dividende gab es auch für 2005 nicht, das heisst, sie musste in Naturalien an Ort und Stelle konsumiert werden: Ein Glas Sekt aus der Kellerei J. Oppmann, der trotz einer minimen Restsüsse als trocken gilt, etwas Graved-Lachs neben Kapernäpfeln und Zwiebelringen zur Vorspeise und dann Kalbfleisch an einer Curryrahmsauce, Jasminreis und Früchte, schön serviert – eine Art unvermanschtes Riz Casimir – und Joghurttorte mit Holunder-Eiscrème, die merkwürdigerweise Elderberry Ice Cream genannt wurde, aber trotzdem sehr delikat schmeckte.
Wieder etwas zu Kräften gekommen, fragte ich Fred C. Moser, auf sein Votum anspielend, ob er denn Jurist sei. „Noch viel schlimmer“, antwortete der gebürtige Amerikaner (aus San Francisco), der seit seinem 15. Lebensjahr in der Schweiz lebt: „Ich bin Hobby-Jurist ...“ Damit war das Eis gebrochen. Ich erfuhr dann noch, dass Moser im Vorstand der Swiss American Historical Society (SAHS) ist, sich durchaus als waschechter Schweizer fühlt und sich die Mühe macht, Unternehmens-Geschäftsberichte sehr exakt und kritisch zu lesen. Meine Frau, eine waschechte Bündnerin, warf aufgrund ihrer persönlichen US-Erfahrungen ein, sie hätte nicht mehr den Mut, jenes Land zu bereisen, weil man nie wisse, ob und wenn ja warum man dort gerade verhaftet werde, verlorenes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit, wie sie dort drüben herrscht, markierend. Unser Gesprächspartner gestand zu, dass Einreisen in die USA schon immer mit einem gewissen Kribbeln im Bauch verbunden seien. Er kennt die Verhältnisse sehr genau, die geschichtlichen und die heutigen.
Solche Reisen erübrigen sich: Die Mövenpicker haben in einzelnen Gaststätten eine „American Dining World“ inszeniert, wovor die 879 Aktionäre freundlicherweise verschont blieben. Und der nach 3-jährigem Wirken scheidende CEO Jörg Asshauer tröstete uns damit, dass bei Mövenpick viele Frischprodukte und Erzeugnisse mit regionaler Herkunft verwendet würden.
Die dadurch eingesparten Transportkosten dürften den Ertrag noch einmal verbessern. Also werde ich meine Mövenpick-Aktien, die etwas Patina angesetzt haben, weiterhin behalten, immer in der Hoffnung, dass die Möven zu stolzen Höhenflügen ansetzen und nicht nur müde rund um die Hochfrequenzstandorte herumpicken..
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