Textatelier
BLOG vom: 12.08.2006

Ermitage Arlesheim BL: Landschaftsgarten für Romantiker

Autor: Walter Hess
 
Ein romantischer Garten, wie ich ihn mir im Traum beim Dösen in einer heissen Sommernacht vorstelle: Ein umfangreiches Gelände mit Felsen, uralten Bäumen, Burgmauern, Wegen, Treppen, Grotten, Wasserfällen, Weihern mit Teichrosen, Enten und Fischen. Und vielleicht ein Burgfräulein und ein Edelmann, die im kühlen Schatten ruhen und von einem Amorpfeil mitten ins Herz getroffen werden, ohne Schaden zu nehmen – im Gegenteil.
 
Einen solchen Garten, der mit Ausnahme des erwähnten menschlichen Personals alle Romantik-Attribute aufs Schönste erfüllt, gibt es tatsächlich: Die Ermitage (Eremitage) in Arlesheim BL (in der Nähe von Dornach und Basel). Dieser Landschaftsgarten am Fusse des Birsecker Burghügels hat Bezüge zu Menschen, die her gestaltend eingegriffen haben oder aber vorbeikamen und sich inspirieren liessen. Zu den Letzteren gehören etwa die „heilige“ Odilie*, die vom Vatikan allerdings noch nicht heilig gesprochen worden ist und von der Heinz Scholz in seinem Tagebuchblatt vom 22. Juli 2006 („Bei der Heidenmauer auf dem heiligen Berg des Elsasses“) berichtete. Sogar von Wolfram Eschenbachs „Parzifal“ ist in diesem Zusammenhang die Rede.
 
Ich selber wurde an bildliche Darstellungen aus der Zeit von Jean-Jacques Rousseau (1712−1778) erinnert, obschon er wahrscheinlich das Böse in die Natur und in die Welt eingeführt hat ... zumindest hat er dessen Existenz in Erinnerung gerufen. Er kam nämlich zur Auffassung, der Mensch verfolge nur seine Eigeninteressen und gebe sie in hinterlistiger Weise als Allgemeininteressen aus; er verberge seine wahren Absichten und möchte und immer Nummer 1 sein, den oberen Platz auf dem Podest belegen. Jedermann mag aus seiner individuellen Sicht selber beurteilen, ob das zutrifft, mit oder ohne Bezüge zur Weltpolitik und zum Sport- und Wirtschaftsgeschehen. Jedenfalls lehnte Rousseau den technischen, wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt ab und forderte die Rückkehr in einen Naturzustand, in ein Eingebettetsein in die Natur und eckte damit schon damals an. Es gab Bewunderer und Menschen, die seine Schriften verbrennen liessen.
 
Der romantische Garten unterhalb des Schlosses Birseck, das auf einer Felsrippe steht und gerade renoviert wird, weil Mauern eingestürzt sind oder einzustürzen drohen, ist ein Ausdruck dieser Flucht aus dem naturabgewandten Leben mit seinen bösartigen zivilisatorischen Begleiterscheinungen. Darin gibt es die Eremiten- oder Waldbruderklause, die mit Baumrinde verkleidet ist und wo ein Eremit (ein Einsiedeler) in selbstloser Einfachheit mitten in der Natur seine Tage verbracht hat und sicher häufig seine kleine Kapelle mit einer Marien-Darstellung, die den Leichnam Jesu auf dem Schoss hat, eine Pietà, besucht hat.
 
Gärten sind immer Kombinationen aus Natur und menschlichen Gestaltungseinfällen beziehungsweise das Resultat ihrer Bedürfnisse. Manchmal hat die Natur das Sagen, manchmal die Veränderungslust des Menschen. Die Natur ist immer am Werk; das menschliche Durchhaltevermögen aber ist kleiner. Und auch das, was vom Menschen gestaltet ist, wie etwa die beiden mit Naturmaterial künstlich angelegten Tuffsteinfelsen in der Ermitage, über die Wasser etwa in eine ovale Brunnenschale fliesst, wird von der Natur gestaltet, bemoost, auf ihre Seite gezogen; man sagt dann, die Sache verwildere. Und so können Natur- und Kunstelemente oft kaum noch auseinander gehalten werden.
 
Selbstverständlich kann auch einer Grotte mit Brechwerkzeugen nachgeholfen werden. Ob das auch im romantischen Tälchen unterhalb des Schlosses Birseck der Fall war, vermag ich nicht zu beurteilen; jedenfalls steht im Führer „Die Ermitage in Arlesheim. Ein Spazier- und Gedankengang“, dem einige Angaben für dieses Blog entnommen sind, nichts davon. Ein geradezu phänomenales Design hat das Felsentor, das heute als Haupteingang zum romantischen Garten dient und gleich zu weiteren Höhlen und Felsöffnungen führt. Und anschliessend führt ein verzweigtes Netz von Mergelwegen im steil ansteigenden Gelände zu immer neuen Attraktionen wie eine versteckte Bank („Traumasyl“), zu einer Holzbank mit der Inschrift O BEATA SOLITUDO, O SOLA BEATITUDO („Oh glückliche Einsamkeit, oh einzige Glückseligkeit“), zu einem Aussichtskabinett, das einer Rundholzbeige nachgestaltet ist, eine Tarn-Architektur (Mimikry) also, usf.
 
Irgendwann landet man in der Nähe des Schlosses, lässt sich um Jahrhunderte zurückversetzen und wandert zu den Weihern hinunter, wo auch die Waldhäuser, die ehemalige Öle und die Büchsenschmiede (eine Waffenschmiede), sind oder waren. Allerdings wurden hier wohl kaum Armbrüste und Amorpfeile fabriziert. Hier wohnte seinerzeit der Landschaftsmaler Johann Baptist Stuntz (1753−1836), ohne um Motive verlegen zu sein. Die Büchsenmacherei wurde durch ein Wohnhaus ersetzt. Die Häuser sind heute als „Privat“ markiert.
 
Dort in der Nähe sind auch 3 grosse Weiher; der mittlere davon ist besonders eindrücklich und ein Ort mit ständig wechselnden Stimmungen. Er wird Lac du Tempé genannt – nach einem grünen Tal in Thessalien, das auch aus der griechischen Mythologie bekannt ist: Dort soll Eurydike an einem Schlangenbiss gestorben sein. Schlangen habe ich beim Arlesheimer See nicht gesehen, aber Enten und einen grossen Fischbestand; die Tiere schnappten bei der Sommerhitze nach zweiwertigem Sauerstoff und erwischten stattdessen dreiwertiges Ozon.
 
Beim ehemaligen kleinen Gärtnerhaus neben der ehemaligen Mühle, ein wuchtiges Gebäude mit Krüppelwalmdach, traf ich zufällig den grossgewachsenen, kräftigen Alexander Saladin, der hier wohnt und die Anlage betreut und der Arlesheimer Abteilung Raumplanung, Bau und Umwelt zugeteilt ist. Ich lobte den Umstand, dass die mit Einfühlungsvermögen betreute Anlage jedermann und zu jeder Zeit unentgeltlich zugänglich ist. Das Ziel seien nicht umfangreiche Touristenströme, sagte Saladin sinngemäss, denn dies wäre mit dem Ort der Ruhe und Beschaulichkeit unvereinbar. Doch nachdem die bisher kaum bekannte Ermitage den „Schulthess-Garten-Preis“ 2006 des Schweizer Heimatschutzes erhalten hat, sei der Besucherzustrom schon merklich angewachsen. Zudem ist die 1-Franken-Marke 2006 der Pro Patria dieser grottenreichen Anlage gewidmet, welche der Stiftung Ermitage Arlesheim und dem Schloss Birseck gehört. Eine Beschreibung der Anlage und ihrer Geschichte findet sich unter http://www.heimatschutz.ch/d/auszeichnungen/schulthess-gartenpreis.shtm
 
Das putzige, 2004 gepflegt restaurierte Gärtnerhaus mit dem gewölbten Mansardendach war selber einmal eine Mühle. Hier wohnt jetzt also die Familie Saladin. Eine der kleinen Töchter hantierte während unseres Besuchs vor einem Lebhag mit einer Rebschere, so dass man sich also in Bezug auf den Unterhalt des naturnahen englischen Gartens auf Jahre und Jahrzehnte hinaus keine Gedanken zu machen braucht.
 
Arlesheim Dorf
Wir nahmen uns auch etwas Zeit, das Städtchen Arlesheim zu besichtigen: Ein liebevoll gepflegter Ort mit umfangreichen gepflästerten Plätzen, ganz anders als man sich eine Gemeinde im Sog von Basel vorstellt. Dieses ehemalige Weinbaudorf hat seinen persönlichen Charakter behalten, nicht nur wegen des Doms und anderer Bauten, welche die Kirchengeschichte manifestieren. Als wir am Nachmittag des 26. Juli 2006 dort weilten, ging gerade ein ergiebiger Gewitterregen nieder. Die Strassenbächlein waren klar. Da gab es also keinen Schmutz zum Wegspülen. Eine saubere Sache, dieses Arlesheim!
*
* Über die Heiligkeit der Odilie (Odilia) hat Heinz Scholz eine Stelle im Buch „Magischer Schwarzwald und Vogesen“ von Roland Kroell folgende Angaben gefunden: „Hier wird eine Heilige verehrt, die offiziell von Rom nie heilig gesprochen wurde. Sie ist es trotzdem, denn Odilia ist die Schutzpatronin des Elsasses.“
 
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