Textatelier
BLOG vom: 10.09.2006

Ein Vorbild: Lettland verbietet Chips und Cola an Schulen

Autor: Heinz Scholz
 
Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Die Regierung eines Landes verbietet den Verkauf ungesunder Lebensmittel an Schulen und Kantinen. Unter dem Verbot fallen alle Getränke und Nahrungsmittel, die Zucker, künstliche Süssstoffe, Aromastoffe, Konservierungsstoffe, Koffein und viel Salz enthalten. Die Schüler und Schülerinnen, die sonst nach solchen Getränken wie Cola, Chips und Snacks lechzen, stehen nun auf Entzug.
 
Endlich einmal eine richtige Entscheidung der sonst mit Scheuklappen versehenen Politiker. Die Verordnung war notwendig, da die Kinder immer dicker und mit Allergien und Zahnschäden behaftet waren.
 
Das Gesundheitsministerium des fiktiven Landes will den Verkauf von Mineralwasser und reinen Obst- und Gemüsesäften fördern. Auch die Schulmilch, die kaum noch getrunken wurde, steht vor einem Comeback. Die Schüler sollen keine süssen Schokoriegel verzehren, dafür Nüsse, Gemüse, getrocknete Früchte und Vollkornkekse.
 
Es drohte jedoch Ungemach. Eine amerikanische Politikerin reiste in das Land, um Lobbyarbeit für Coca-Cola zu leisten. Mit weinerlicher Stimme wollte sie die Verantwortlichen überzeugen, doch wieder das dunkelbraune Gesöff an Schulen zuzulassen. Vielleicht bekamen die Hersteller von süssen Getränken Alpträume. Sie sahen schon die Umsätze in den Keller sausen. Sie dachten aber auch an andere Länder, die eine solche Verordnung übernehmen könnten. Dann wären auch teure Werbekampagnen für die Katz. Dann könnten sie in vielen Ländern zusammenpacken.
 
18 Stück Würfelzucker pro halbem Liter Cola
100 ml Coca-Cola enthalten übrigens 10,6 g Zucker und 10 mg Coffein. Wer 0,5 Liter konsumiert, nimmt 18 Stück Würfelzucker auf. Darüber hinaus hat Cola die Säuerungsmittel Phosphorsäure, Kohlensäure und Zitronensäure zu bieten. Auch Coca-Cola Light, das Süssstoff enthält, kann den Zahnschmelz durch die Säuren erodieren. Koffein kann kurzfristig den Blutdruck erhöhen. Gewohnheitsmässiges Kaffeetrinken steigerte den Druck in den Gefässen nicht, doch tat dies der Cola-Konsum („Medical Tribune“, Nr. 46, 2005).
 
Es gibt das Land der Vernunft
Die geschilderte Verordnung, man höre und staune, ist kein Märchen oder ein Traum eines Gesundheitsapostels. Die Verordnung wurde in Lettland Wirklichkeit. „Das Land verbannte Chips und Cola“, wie Hannes Gamillscheg, Korrespondent der „Badischen Zeitung“, am 6. September 2006 berichtete.
 
In der Geburtsstunde des unabhängigen Lettlands vor 15 Jahren waren nämlich schon gesunde, landeseigene Produkte an Schulen üblich. Bald darauf tauchten in den Lebensmittelgeschäften westliche Produkte auf, die zwar teurer waren, aber das Flair der westlichen Freiheit hatten. Bei den Jugendlichen waren diese Produkte ein Renner.
 
Ein Lob sollte man Lettland zollen. Es ist nämlich das 1. Land der EU, das ein solches Verbot durchsetzt. Und wer war die Lobbyistin? Es handelte sich um die ehemalige US-Aussenministerin Madelaine Albright. Ihr Einsatz hatte keine Wirkung. Sie biss bei der lettischen Präsidentin Vaira Vike-Freiberga auf Granit.
 
Man kann nur hoffen, dass auch in anderen Ländern ein solches Verbot greift. Aber das wird schwer durchzusetzen sein.
 
Eltern waren für Süssigkeiten
Dazu ein Beispiel aus dem Kindergarten meines Enkels hier im Süden von Deutschland: Einige Eltern schlugen vor, dass die Kleinen keine Süssigkeiten in den Kindergarten mitbringen sollten. Die Mehrheit war jedoch gegen das Verbot. Dies zeigt wiederum einmal, wie das ungesunde Essen in den Köpfen der Menschen manifestiert ist. Viele wissen nichts über die Risiken.
 
Wenn die Eltern schon schlechte Vorbilder sind, dann übernehmen die Heranwachsenden diese Gewohnheiten. Besonders fatal wirkt sich auch die Werbung für Süssigkeiten im Fernsehen aus. Da werden schon „kindgerechte“ Sendungen mit einer penetranten Werbung verunstaltet.
 
Die neuen Regeln in Lettland sehen übrigens auch vor, dass die Fresspakete auf ungesunde Nahrungsmittel durchsucht werden.
 
Aufstand der englischen Schulköchinnen
In England versuchte der TV-Kultkoch Jamie Oliver ein besseres und gesünderes Essen an Schulküchen durchzusetzen. Oliver kämpfte gegen Hamburger, Pommes frites und Pizzas, aber auch gegen Tiefkühlkost. Dann machte er einen fatalen Fehler. Er behauptete, die Köchinnen der Schulküchen könnten nicht kochen. Es gab ein Aufschrei unter den Köchinnen. Die Verarbeitung von Frischkost erfordert nämlich Mehrarbeit und die wird nicht bezahlt.
 
In der Regel wird Tiefkühlkost (geschnittene Karotten und anderes Gemüse) verwendet. Dazu die Vertrauensfrau der Gewerkschaft der Köchinnen, Cathy Stewart: „Ich warte darauf, dass Jamie kommt und mit mir für 300 Kinder Karotten schält.“ Sie wartet noch heute auf einen Besuch des TV-Kochstars, der als guter Werber für die eigene Sache gilt.
 
„Frisch kochen macht mehr Arbeit, dafür brauchen wir mehr Geld, so einfach ist das“, betonte die Gewerkschaftsfrau. Dann donnerte sie mit ihrer Faust auf die Arbeitsfläche der Küche, als sie die Äusserung, die Köchinnen könnten nicht kochen, entsprechend kommentierte:. „Ich sage ihm: Komm in meine Schule, Junge, du bist nämlich der, der nicht kochen kann.
 
Schon lange vor den Äusserungen des Starkochs verarbeitete Stewart in ihrer Schulküche in Hackney frisches Gemüse. „Wir kochen mit Liebe und sind grosszügig, aber Grosszügigkeit zahlt nicht unsere Rechnungen“, so die aufgebrachte Cathy Stewart.“
(Quelle: Bericht des Korrespondenten Ingo Malcher, „Badische Zeitung“ vom 1. März 2006).
 
Früh übt sich
Ich erachte das Modell von Lettland als ausgezeichnet. Manche werden nun behaupten, das sei ein zu grosser Einschnitt in die persönliche Freiheit. Aber oft ist es doch so, dass andere Massnahmen kaum greifen.
 
Wichtig ist in meinen Augen die rechtzeitige Aufklärung über eine gesunde Ernährung, die schon im Kindergarten beginnen sollte. Im Kindergarten meines Enkels kommt einmal im Jahr eine Ernährungsberaterin. In Gegenwart der Kleinen und einem Elternteil wird gesundes Essen zubereitet und Wissen über eine gesunde Kost vermittelt. Leider sind gerade die Eltern, die von gesundem Essen wenig wissen, nicht dabei. „Wer nicht will, der kommt auch nicht“, so die allgemeine Meinung. Vielleicht sollten wir diese Eltern oder die starrsinnigen Politiker zur Vaira Vike-Freiberga schicken. Dort bekämen sie den dringend nötigen Nachhilfeunterricht.
 
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