Textatelier
BLOG vom: 06.10.2006

CH-Antirassismus-Strafnorm: Wir brauchen keine Maulkörbe

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Das Thema ist heikel, und wer sich damit befasst, bewegt sich auf einem überhängenden Grat, bei den entsprechenden Absturzgefahren: mit der Antirassismus-Strafnorm, wie sie in der Schweiz 1994 eingeführt worden ist, insbesondere um das Leugnen des Holocausts im Nazideutschland und ähnlicher Verbrechen durch ein Kriminalisieren zu unterbinden.
 
Der Artikel 261bis lautet:
 
Rassendiskriminierung 
„Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft,
wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind,
wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert,
wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.“
 
Unklarheiten beseitigen
Diese Gesetzesbestimmung ist, wie man sieht, ausserordentlich schwammig und konfus, für die Praxis untauglich. Sie führt immer wieder unnötigen zu Konflikten mit der Meinungsfreiheit. Deshalb ist es zweifellos begrüssenswert, wenn sie wieder in die demokratischen Mühlen gerät, hinterfragt und hoffentlich möglichst bald ersatzlos gestrichen wird.
 
Ich bin überhaupt nicht für das Leugnen von Völkermorden – ganz im Gegenteil: Auch das Totschweigen von versuchten Völkermorden müsste angeprangert werden. Wenn zum Beispiel durch Flächenbombardierungen mit Streubomben (etwa durch die USA und Israel) unzählige Zivilisten getötet, Lebensgrundlagen von Völkern zerstört werden, müsste ebenfalls zwingend von Völkermord gesprochen werden. Aber der zitierte Rassendiskriminierungsartikel ermöglicht das Herunterspielen solcher Verbrechen merkwürdigerweise durchaus.
 
Wer Völkermorde leugnet oder nicht mit dem Namen klar benennt, diskriminiert sich selber; auch die Medien sind hier ausdrücklich einbezogen. Und dazu braucht es keine Strafnormen. Sonst müsste man dummes Geschwätz allgemein verbieten – dann würde wohl viel weniger geschwatzt, und selbst Parlamentsdebatten wären um einiges kürzer.
 
Allfällige Zweifel an den Völkermorden und den in diesem Zusammenhang verbreiteten Zahlen könnten wohl am besten durch unabhängige, objektive, seriöse Aufarbeitungen der Geschehnisse beseitigt werden. Das ist eine Forderung, gegen die sich wohl kein rechtschaffener Mensch wehren wird. Dann wären verlässliche Entscheidungs- und Diskussionsgrundlagen da, und Völkermorde könnten nicht durch über- oder untertriebene Zahlen instrumentalisiert werden. Es käme zu weniger divergierenden Ansichten. So haben in der Schweiz der Nationalrat und einige Kantonsparlamente den Völkermord an den Armeniern anerkannt. Der Bundesrat lehnte dies aber ab. Muss man ihn deshalb wohl einsperren?
 
Blochers Äusserung in Ankara
Die Antirassismus-Strafnorm bereitet auch Bundesrat Christoph Blocher „Bauchschmerzen“, wie er bei seinem Besuch in Ankara (Türkei) am 4. Oktober 2006 sagte. Es ging dort im Speziellen, ob ausgesprochen oder nicht, um das Massaker an den Armeniern in den Jahren 1915 bis 1917 durch das Osmanische Reich, zweifellos ein Völkermord (bei Vertreibungen sollen angeblich etwa 1,5 Millionen Armenier gezielt ermordet worden sein). Wer daran erinnert und diesen Völkermord beim Namen nennt, ist in der Türkei kein gern gesehener Gast, und politisch kann das zu Spannungen führen, die dann auch auf der Wirtschaftsebene ihren Niederschlag finden (die Türkei ist ein wichtiger Handelspartner der Schweiz). Aber das kann nicht das Kriterium sein. Die Freiheit zur Meinungsäusserung (eine Meinung ist eine persönliche Ansicht, Überzeugung, Einstellung, die auch abweichend von der gesellschaftlich akzeptierten Norm sein kann) ist ein übergeordneter Wert. Oder sollte es zumindest sein.
 
Sobald bestimmte Äusserungen unterdrückt werden müssen, entstehen emotionale Gärungen und unnötige Konflikte. So bekam es Blocher schon selber mit der erwähnten Strafnorm zu tun: Im Jahr 2000 erstattete das Zürcher Bezirksgericht Anzeige gegen ihn, weil er im Zusammenhang mit den „nachrichtenlosen Vermögen“ 1997 behauptet hatte, den jüdischen Organisationen gehe es weniger um Genugtuung als vielmehr ums Geld. Und gegen den Historiker und Präsidenten der Türkischen Historischen Gesellschaft, Yusuf Halacoglu, wurde ein Strafverfahren eröffnet, weil er am 2. Mai 2004 in einem Vortrag in Winterthur den Völkermord an den Armeniern bestritten haben soll.
 
Kriminelle Stammtischwitze
Eine Diskussion über Sinn und Unsinn über die Rassismus-Strafnorm ist dringend, wie ich auch aus Gesprächen mit vielen Menschen aus dem gewöhnlichen Volk weiss. Solche Maulkörbe, die man ja kaum noch den Hunden zumuten mag, sind in der Schweiz höchst unbeliebt, und die rebellischen Schweizer beginnen dann umso lauter zu bellen, wenn sie damit behelligt werden. Auch SVP-Ständerat Hannes Germann weiss das. Er hatte eine Motion eingereicht, mit der er die Revision des Antirassismusgesetzes forderte, auf dass ein rassistischer Witz am Stammtisch für die Stimmungskanone nicht mehr die Gefahr zu einem juristischen Nachspiel in sich berge. Er kam damit nicht durch. Das gleiche Schicksal erlitt Nationalrat Bernhard Hess (Schweizer Demokraten) mit seiner Motion vom 6. Oktober 2004, mit der er das ersatzlose Streichen der Rassismus-Strafnorm forderte, nachdem das Bundesgericht deren Anwendung erheblich ausgeweitet hatte: Seither gilt eine verunglimpfende Bemerkung bereits dann als öffentlich und somit als strafbar, wenn sie nicht im engen privaten Rahmen erfolgt ist („im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld"). Seither können Stammtischwitze kriminell sein, ganz im Gegensatz zu dem, was im Abstimmungsvorfeld seinerzeit immer wieder versprochen worden war. Der Schutz der Menschenwürde könnte auch unter dem Titel der Ehrverletzung gewährleistet werden.
 
Fast unisono fallen die Mainstreammedien und die Politiker aus anderen Parteien jetzt über den SVP-Bundesrat Blocher her. Sie verdrängen dabei das Grundproblem meistens und ergehen sich umso mehr in Erwägungen darüber, ob Blochers Revisionswillen am richtigen Ort zur richtigen Zeit geäussert worden sei und ob er die Sache nicht zuerst hätte im Bundesrat besprechen müssen. So wird ein wichtiges Anliegen wieder einmal im Dschungel von Formalismen und Stilfragen zu ersticken versucht.
 
Ich verstehe die Medien einmal mehr nicht: Denn gerade sie müssten sich für die Meinungsfreiheit einsetzen. Sie stehen vor lauter Mitläufigkeit wieder einmal vollkommen verkehrt in den Schuhen. Man gestatte mir diese persönliche Meinung.
 
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