Textatelier
BLOG vom: 29.11.2006

Demokratie: Schafe, Schafspelze und Wölfe im Wolfspelz

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Die Euro- und Globalisierungsturbos in der Schweiz begründeten ihre Integrationsbegeisterung immer und immer wieder mit dem Argument, die vorbildliche Schweiz könne weltweit etwas von ihrer politischen Kultur einbringen. Theoretisch könnte das in Fragen der Handhabung der Demokratie gewiss zutreffen: Es gibt kein anderes Land, das auch nur annähernd eine derart tiefenscharfe Demokratie hat, das heisst in dem das Volk so viel mitreden und mitbestimmen darf – bis hin zu den eigenen Steuern, ohne allerdings die Steuern ganz abschaffen zu können. Aber dieses Erfolgsmodell dürfte weltweit keine Chancen haben, weil demokratisierte Völker den Steuerleuten an den Hebeln der Macht immer wieder einmal ein Bein stellen und mit dem besten Willen nicht jeder Volksentscheid mit Stimm- und Wahlzettel-Manipulationen ins Gegenteil (wie bei der [Nicht-]Wahl George W. Bushs ins Präsidentenamt) verkehrt werden kann; oft fliegen solche Sachen auf. Diese einleitenden Worte sollen durch eine gepfefferte Mixtur zur aktuellen Lage nachstehend erhellt werden.
 
Die weisen Linken im mittleren und südlichen Amerika
Die Latein- und Südamerikaner wählen nicht in jedem Fall so, wie es sich die Guten der Wertegemeinschaft, zusammengesetzt aus der Brutalmacht USA mit ihrem Bestreben, sich die ganze Menschheit zu unterjochen, und ihren Trittbrettfahrern, die an der Beute teilhaben wollen, wünschen. Wo immer das Volk seine Meinung frei äussern darf, sagt es sich vom US-Gängelband los. Die westlichen Medien sprechen dann von einem Linkstrend, und die Europäer verwechseln das dann mit den Programmen unserer einheimischen Sozialdemokraten, deren Rädelsführer sich ja nichts sehnlicher wünschen als totalglobalisiert und vollamerikanisiert zu werden – auch wenn ausgerechnet ihre Klientel die Zeche zu zahlen hat. Links ist also je nach Erdteil nicht ein und dasselbe Links.
 
Im südlichen Hinterhof der USA sind die Linken weitsichtiger und selbstbewusster; sie haben schmerzlich erfahren, was die Globalisierung fürs Volk bedeutet: Elend, Ausbeutung. Sie rufen aus diesem existenzbedrohenden Unmut heraus den USA aus guten Gründen Bye-bye zu, falls sie sich nicht wie Kuba unter Fidel Castro während Jahrzehnten all den mit kriminellen Methoden eingeleiteten Annexionsversuchen tapfer und erfolgreich widersetzt haben. Venezuela (unter Hugo Chávez), Bolivien, Nicaragua (nach dem Sieg von Daniel Ortega) und jetzt soeben auch Ecuador (Rafael Correa) haben Staatsführer gewählt, die sich nicht von den USA korrumpieren lassen und dem Volk etwas von dem zurückgeben wollen, das ihm gehört (meistens ein Anteil aus dem Verkauf von Rohstoffen, von denen das Volk in der Regel nur gigantische Verschmutzungen abbekommt – wie im ecuadorianischen Amazonasgebiet). In Peru hat der US-kritische Kandidat leider nur beinahe gesiegt, und das ebenfalls verarmte Mexiko, das bei den jüngsten Wahlen gleich 2 Präsidenten erhielt, gehört in diesen Kontext. Die US-Anhängerschaft erodiert jedenfalls in weiten Teilen des amerikanischen Kontinents genauso wie der Dollarwert. Was aus Demokratien US-amerikanischen Zuschnitts wird, veranschaulicht zurzeit der Irak; das Saddam-Regime (mit oder ohne Doppelgänger) wäre dort vergleichsweise ein Honiglecken.
 
Die USA, die sich laufend neue Bösartigkeiten einfallen lassen, schotten sich mit einer Schandmauer gegen den Süden (Mexiko) ab, und dieser Süden will weit über Mexiko hinaus von den USA nichts mehr wissen. Dass bei solchen Vorkommnissen die Demokratisierung in den Ländern besser früher als später unterbunden werden muss, wenn die US-Weltherrschaft nicht gefährdet werden soll, liegt auf der Hand. Schliesslich sind ja auch im Polizei- und Schnüffelstaat USA die demokratischen Verhältnisse weitgehend abgeschafft. Ein kleines Beispiel: SWIFT-Zahlungen unterliegen weltweit der US-Kontrolle. Und solche Mechanismen sind effizienter als das Vorbildchen der Insel Schweiz mit ihrer krankhaften Tendenz zum unterordnenden Gehorsam, wenn pekuniäre Werte im Spiele sind.
 
Die Wölfe im Wolfspelz
Dass aber in anderen als demokratischen Belangen die Schweiz auf internationaler Ebene durchaus einmal eine beschämende Rolle spielen kann, zeigt das Beispiel „Schutz des Wolfs“. Damit sind die echten sympathischen und nicht etwa die Wölfe im Schafspelz gemeint. So wollte die Schweiz bzw. die Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität im Bundesamt für Umwelt (BAFU) aufgrund eines Auftrags aus dem Parlament den Schutz des Wolfs lockern – ihn also von einer „streng geschützten“ zu einer bloss „geschützten“ Tierart zurückstufen, da man ihn dann noch früher abschiessen dürfte, falls sich die Wölfe nicht zu strikten Vegetariern umerziehen lassen und wildwachsende Kräuter statt Schafe fressen (obschon man für die edle Schafwolle kaum noch Verwendungszwecke hat); auch als Kartoffelfresser hätten sie keine Überlebenschance. Der CVP-Nationalrat Theo Maissen (Graubünden) wollte den Wolf gar zum Abschuss (und damit zur Ausrottung nach Walliser Art) freigeben – praktiziertes Christentum, das ohne Schafspelz daherkommt, weil die Bibel alles andere als eine Tierschutz-Grundlage ist. Der ständige Ausschuss der Berner Konvention zum Schutz wildlebender Arten und Lebensräume in Strassburg hat dieses Ansinnen zum Glück abgeschmettert, und die vorbildliche Schweiz hat sich mit ihrem peinlichen Vorstoss international blamiert, ihren Ruf als naturbewusste, anständige Nation aufs Spiel gesetzt. Endlich eine internationale Organisation mit dem Herzen am rechten Fleck.
 
Die Umweltschützer in der Schweiz (allen voran die Pro Natura) fordern nun vom Bund (der Staatsverwaltung), er solle mehr Rückgrat zeigen und sich konsequenter für bedrohte Tierarten einzusetzen (statt voreilig Abschussbewilligungen erteilen, wie dem beizufügen ist). Die Schweiz brauche ein Wolfskonzept, das ein Zusammenleben von Mensch und Wolf ermögliche. Mit anderen Worten: Das Integrationsmodell Schweiz (Zusammenleben in Frieden und Freiheit) sollte sich auch auf bedrohte Tiere ausdehnen.
 
Der Wolf war in den 1970er-Jahren in vielen Ländern ausgerottet gewesen, und seine zaghafte Rückkehr brauchte Schutz bringende Rahmenbedingungen. Leider ist es dennoch bereits heute erlaubt, aufgrund des Ausnahmeartikels 9 der Berner Konvention Wölfe abzuschiessen. Die Übereinkunft gestattet dies, wenn es keine andere Möglichkeiten gibt, um ernste Schäden (auch an Viehbeständen) zu vermeiden und dies im Interesse der öffentlichen Sicherheit steht. Dehnbare Formulierungen. Gummiparagraphen. Aber die Population der geschützten Tierart darf nicht gefährdet werden.
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Die neoliberale Kultur duldet keine wirtschaftlichen Schäden – sonst wird scharf geschossen oder mit vernichtenden Sanktionen reagiert. Die neokonservativen bzw. religiös untermauerten verfilzten Wölfe in der Politik ziehen nicht einmal mehr Schafspelze an, und den angeblichen Vorbildern ist auch nicht mehr so richtig über den Weg zu trauen.
 
Ob die Zeit zum Auswandern nach Venezuela oder Ecuador beziehungsweise nach Strassburg demnächst reif sein wird ... wir werden sehen.
 
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