BLOG vom: 03.12.2006
Interpretationen: Dorfeigene Referendumsfristen im Fricktal
Autor: Heiner Keller, Zeihen CH
Die vielen kleinen Gemeinden des Fricktals, in der Gegend mitten zwischen Basel und Zürich, treffen Entscheide über Kredite, Budget und Abrechnungen ur- und basisdemokratisch an Gemeindeversammlungen. Eingeladen sind alle stimmberechtigten Einwohner. Je nach Traktandenliste und Brisanz der Themen machen mehr oder weniger viele Personen von ihrem Teilnahmerecht Gebrauch. Selten sind mehr als ein Fünftel der Stimmberechtigten anwesend. Wenn es weniger sind, unterstehen die gefassten Beschlüsse dem so genannten Referendum.
Wer mit einem Beschluss der Gemeindeversammlung nicht einverstanden ist, kann mit einer Unterschriftensammlung eine Urnenabstimmung verlangen. Für die Sammlung der Unterschriften steht eine Frist von 30 Tagen zur Verfügung. Die kantonale „Verordnung über die Initiative und das Referendum in Gemeindeangelegenheiten“ (vom 29. Juni 1981) schreibt bezüglich der Referendumsfristen: „Die dreissigtägige Frist beginnt am Tage nach der amtlichen Veröffentlichung des dem fakultativen Referendum unterstehenden Beschlusses. Läuft die Referendumsfrist an einem Samstag, Sonntag, staatlich anerkannten Feiertag oder an einem diesem gleichgestellten Tag ab, so kann das Referendum noch am nächstfolgenden Werktag eingereicht werden.“ Das ist wahre Bürgernähe: Die Unterschriftensammler sollen ihre Begehren werktags auf der Gemeindekanzlei abgeben dürfen und sie nicht unpersönlich in letzter Minute auf irgendeinem Dringlichkeitsschalter einer Poststelle (in einer grösseren Stadt notabene) abstempeln lassen müssen.
Im November 2006 fanden viele Gemeindeversammlungen gleichzeitig statt. Weil auch die Publikation in der gleichen Zeitung erfolgt (Neue Fricktaler Zeitung vom 30. November 2006) könnte man annehmen, dass überall die gleiche Referendumsfrist angegeben wird. Der obige Text ist ja wohl eindeutig genug. Aber nein: In den Publikationen werden entweder gar kein Termin (Herznach, Ittenthal), der 27. Dezember (Schwaderloch), der 29. Dezember (Gipf-Oberfrick), der 30. Dezember (Laufenburg, Oberhofen, Zeihen), der 2. Januar (Hornussen) oder der 3. Januar 2007 (Bözen, Densbüren, Frick, Oberhof, Oeschgen, Sulz, Ueken) genannt. Die Fristen sind insofern entscheidend, als sie bei Nichteinhaltung erfahrungsgemäss von den zuständigen Gemeinderäten erbarmungslos als Formfehler deklariert und zur Ungültigerklärung einer Unterschriftensammlung verwendet werden.
Wenn im Kanton Aargau einheitliche Rechtsnormen bestünden und angewendet würden, müsste eigentlich eine einheitliche Referendumsfrist für gleichzeitig publizierte Entscheide in einer Region resultieren. Über die Hälfte der Gemeinden veröffentlicht in rechtsgültigen Erlassen am 30. November 2006 unvollständige oder falsche Termine. Die korrekte Frist für die Abgabe der Unterschriften ist nach meiner Meinung der 3. Januar 2007: „Die Referendumsfrist läuft am 1. Januar 2007 ab. Wegen der Feiertage wird die Einreichungsfrist bis zum nächstfolgenden Werktag (Mittwoch, 3. Januar 2007) verlängert“, schreibt der Gemeinderat Frick als Erklärung.
Alle Verwaltungen wollen praxistauglich, bürgernah und kundenfreundlich sein. So oder ähnlich steht es in den Leitbildern und eigenen Anpreisungen der Gemeinden. Bezüglich der Referendumsfristen sind sie es nicht. Der Volksmund beschreibt dieses Phänomen so: „Die in der Gemeinde machen sowieso, was sie wollen.“ Referenden sind bei den Gemeinden unbeliebt. Sie stören die Ruhe und den gewohnten Gang der Dinge. Wieso sollen sich die Behörden deshalb Mühe geben?
Die publizierten Unstimmigkeiten in so einfachen Fragen lassen allerdings grosse Zweifel an der Qualität der Entscheidungsfindung und der Entscheide in Gemeinden aufkommen. Wenn mir dann noch ein Gemeindeschreiber schreibt: „Gemäss meinen rechtlichen Recherchen und in Auslegung von § 31 Abs. 1 des Gemeindegesetzes (SAR 171.100) und § 6 der Verordnung über die Initiative und das Referendum in Gemeindeangelegenheiten (SAR 131.711) ist der von uns publizierte Ablauf der Referendumsfrist (30. Dezember) sehr wohl korrekt, wobei bei der Berechnung des effektiven Ablaufes Abs. 2 der Verordnung zu Zuge kommt. Auch das Verwaltungsrechtspflegegesetz und die Zivilprozessordnung kennen analoge Fristberechnungen. Die ursprüngliche Verordnung aus dem Jahre 1981 ist wegen diverser Änderungen übergeordneten Rechts und weiterer Verordnungen in diversen Punkten geändert worden“, grenzt das eher an höheren Blödsinn als dass es zur Klärung oder zu einer guten Beratung beitragen würde.
Wieso tolerieren der Kanton Aargau, das Departement Volkswirtschaft und Inneres, die REPLA und das Gemeindeinspektorat solche Möglichkeiten kommunaler Willkür? Sehen sie nicht, dass schiefe Lichter auf die Region viele Bemühungen (z. B. Standortmarketing) und Kredite nutzlos machen?
Es wäre ein Akt der Fairness, wenn Gemeinden, die in offiziellen Publikationen falsche Termine gesetzt haben, diese korrigieren würden: Nochmals publizieren und ab neuer Publikation eine richtige Frist ansetzen. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben ein Anrecht darauf, dass auch die Gemeinderäte und Verwaltungen keine solchen „Formfehler“ produzieren. Ich vermute, dass das nicht geschieht. Kaum jemand in den kleinen Gemeinden will ja, dass etwas geändert wird. Sie ziehen es vor, zu warten, bis der Druck von Aarau (z. B. Zusammenlegung der Feuerwehren, Gemeindefusionen) oder der Wirtschaft (Globalisierung) zunimmt und spürbar wird.
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30.04.2005: „Bundesrat Deiss und die frische Luft downtown Zeihen“
28.01.2005: „Wachstum und Leben im Fricktal: Der geniale Mix“
Der Autor, Heiner Keller, ist Verfasser des Buchs „Bözberg West" übers Landleben zwischen Basel und Zürich, das 2005 in der Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein, erschienen ist.
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