BLOG vom: 17.01.2007
Die Chance vertan: Biowaren werden in Deutschland knapp
Autor: Heinz Scholz, Schopfheim D
Bio-Fans kaufen die Märkte leer
Nachdem sich die Discounter auf den lukrativen Markt der Biokost gestürzt haben, kommen Lieferanten in Deutschland nicht mehr nach, rechtzeitig zu liefern. Einige Bioprodukte wie Hafer, Karotten, Eier, Geflügel und Schweinefleisch sind derzeit schwer zu bekommen. Bio-Kartoffeln werden jetzt schon aus Ägypten bezogen. Auch heimische Bio-Äpfel dürften im Februar 2007 nicht mehr in den Lagern sein, wie der Geschäftsführer des Berliner LPG Biomarkts, Ludwig Rieswick, betonte. Dann müssen die Grosshändler aus dem Ausland nachkaufen.
Es sind jedoch nicht nur Discounter schuld an dieser Misere. Nach den Skandalen der letzten Zeit (Gammelfleisch, verendetes Geflügel, Schadstoffbelastungen) hatten viele Verbraucher die Schnauze voll und orientierten sich vermehrt auf gesunde und schmackhafte Lebensmittel. 2005 wuchs zum Beispiel der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland um 14 % auf 4 Milliarden Euro. Die Deutschen haben inzwischen einen Anteil von 30 % am europäischen Bio-Markt. Und er wird weiter boomen, davon bin ich überzeugt.
Weit gereist ist nicht „Bio“
Schon heute schlagen nach „Spiegel online“ die Transportkosten von Lebensmitteln, einschliesslich von Biowaren aus dem Ausland, mit 4,6 Milliarden Euro in Deutschland zu Buche. Die langen Transportwege entsprechen schon lange nicht mehr dem ökologischen Gedanken. Aber auch die Käufer von Biowaren verlangen im Winter Tomaten, Gurken, Zucchini, Paprika und andere Sommer- oder Herbstgemüse.
„Weit gereist ist nicht Bio“ war in einer Online-Ausgabe des „Bayerischen Rundfunks“ zu lesen. Dies ist mit einigen Ausnahmen auch richtig. Ich habe nichts dagegen, wenn wir Bio-Bananen aus Costa Rica, Ananas aus Afrika oder Orangen und Zitronen aus europäischen Ländern beziehen, um die dortigen Bio-Bauern zu unterstützen. Ich habe jedoch etwas dagegen, wenn wir beispielsweise unsere einheimischen ausgezeichneten Weine durch billigere Weine aus Südafrika, Kalifornien oder Chile beziehen.
Ein findiger Bursche hat einmal ausgerechnet, wie viel Kerosin man für den Transport von einem Kilo Äpfel aus Neuseeland bis Frankfurt am Main braucht. Es sind 2 bis 4 Liter. Pro Kilo Äpfel gelangen 10 Gramm Kohlendioxid in die Atmosphäre. Auch ist es Wahnsinn, wenn man Honig aus Kolumbien kauft, aber den einheimischen Honig verschmäht. Aber letztendlich entscheidet der Preis. Billigwaren sind heute salonfähig geworden.
Schnittlauch reiste weit herum
Auch der Schnittlauch, der im Winter angeboten wird, hat eine lange Reise hinter sich, bevor er auf dem Küchentisch landet. Er wächst in Israel; dann wird er mit dem Flieger nach Holland verfrachtet, von dort geht das Gewächs mit dem LkW auf den Grossmarkt nach München. Hier ist die Reise noch nicht beendet. Zwischenhändler holen ihn dort ab und liefern ihn an die Einzelhändler aus. Manchmal wird der Schnittlauch mit anderen Kräutern verpackt, aber nicht in Europa, sondern in Kenia. Oft hat der „reisefreudige“ Schnittlauch bereits eine Reise von 14 000 km hinter sich gebracht. „Die globale Lebensmittel-Verschickung lohnt sich – zumindest finanziell“, betonte der Bayerische Rundfunk in seiner Online-Ausgabe vom 31.08.2006 (www.br-online.de). Viele von uns haben im wahrsten Sinne des Wortes eine globalisierte Speisekammer.
Rechnen wir einmal nach. Ein Bund Schnittlauch wird für 1 Euro an den Verbraucher abgegeben. Der Einzelhändler verdient 40 Cent, 25 Cent kostet die Produktion, 25 bis 30 Cent der Transport und 7,5 Cent verdient der Grosshändler. Der Transport kostet also mehr als die Produktion. So ein Wahnsinn! Die Discounter kaufen direkt beim Gross-Erzeuger ein und sparen damit Kosten und können die Ware billiger an den Verbraucher abgeben. „Das rechnet sich aber trotzdem, wenn in ,Billig-Ländern’ produziert wird“, so der „Bayerische Rundfunk“.
Es gibt auch bei uns Schnittlauchanbauer. Aber der Erzeugerpreis für Schnittlauch ist hier viel höher als etwa in Israel. Und die Händler kaufen dort ein, wo die Ware am billigsten ist. So kommt es schon einmal vor, dass Tomaten in der heimischen Haupterntezeit aus Polen importiert werden, nur weil diese preiswerter sind.
Mit den Nordseekrabben ist es ähnlich. Da werden diese zum Auspulen nach Marokko gesandt und kommen per Flieger wieder zurück. Das ist billiger als wenn Deutsche diese Arbeit verrichten würden.
Bio-Waren, die mit dem EU-Bio-Siegel ausgezeichnet sind, besagen nur, dass sie ökologisch produziert und auch kontrolliert wurden. Die EU-Verordnung bestimmt, dass 95 % der Zutaten aus biologischem Anbau sein müssen. Die Transportwege werden bei der Vergabe eines Siegels jedoch nicht berücksichtigt.
Es geht auch anders
Es geht auch anders. So finde ich immer wieder in unseren Bauernläden, Bioläden, Reformhäusern und auf Wochenmärkten Produkte aus einheimischer Produktion. Hier gibt es noch keine Engpässe, weil die einheimischen Produzenten hauptsächlich die Waren selbst verkaufen oder an kleinere Geschäfte liefern. Auch so manche Frischmärkte haben sich verpflichtet, Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukte aus der Region im Umkreis von 100 km bevorzugt zu verkaufen. Das finde ich grossartig.
Aus dem Ausland bezogene Biowaren sind meistens billiger. Aus diesem Grund geben in Deutschland viele Biobauern auf. Dazu „quer“ (zitiert in „Spiegel online“ vom 21.07.2006): „Für die Verbraucher sinken zwar die Preise, aber gleichzeitig steigt die Gefahr des Etikettenschwindels. Das Chemische und Veterinär-Untersuchungsamt in Stuttgart musste 2005 17 % der Proben von italienischen Biowaren beanstanden – bei einheimischer Ware waren es nur 2,5 %. Der Beweis dafür, dass nicht immer Bio drin ist, wo Bio draufsteht.“
Wertvolle Tipps für den Einkauf von Bio-Lebensmitteln finden Sie in meinem Buch „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag). Das Buch wurde im Verlag Textatelier.com publiziert.
Die Chance wurde vertan
Sigrun Rehm von der Zeitung „Der Sonntag“ (07.01.2007) führte kürzlich mit dem Ihringer Ökowinzer und Landtagsabgeordneten der Grünen, Reinhold Prix, ein Interview zur Situation über die Lieferengpässe bei Bio-Lebensmitteln.
Reinhold Prix betonte, dass man den wachsenden Biomarkt in Deutschland regelrecht verschlafen habe. In den skandinavischen Ländern und in Österreich habe man den Wachstumsmarkt erkannt und mehr Flächen für den biologischen Landbau zur Verfügung gestellt. In Skandinavien werden bereits 20 % der Flächen biologisch bewirtschaftet. In Deutschland sind es knapp 2 bis 3 % (in Baden-Württemberg: 5 %).
Es ist unglaublich, was in deutschen Landen passiert ist: Da wurden 2005 die Fördergelder für den Biolandbau gekürzt, und es gibt in Baden-Württemberg keine Umstellungsfördergelder mehr. Jeder Bauer, der jetzt umstellen möchte, trägt das volle Risiko. Sollten jedoch die Risiken durch Zuschüsse abgemildert werden, dann würden mindestens 25 % der konventionell wirtschaftenden Landwirte umstellen. Der Abgeordnete schätzt den Bio-Markt der Zukunft als riesig ein.
Auf die Frage, wie denn die hiesige Landwirtschaft in 10 bis 15 Jahren aussieht, antwortete Reinhold Prix Folgendes: „Der Öko-Anbau wird die normale Form der Landwirtschaft sein. Bis dahin werden weitere Lebensmittelskandale dafür sorgen, dass die Bereitschaft der Verbraucher, für gute Lebensmittel etwas mehr Geld auszugeben, weiter zunimmt.“
Ich bin derselben Meinung. Es bleibt zu hoffen, dass den Verantwortlichen endlich ein Licht aufgeht und eine gute Sache zum Wohle aller Menschen entsprechend gefördert wird. Die Macht hat jedoch der Verbraucher, der bereit sein sollte, für gesunde Lebensmittel etwas mehr Geld auszugeben.
Auch muss man den Politikern klar machen, dass der Ökologische Landbau nicht nur gesunde Lebensmittel erzeugt, die Umwelt und Tiere schützt, sondern auch eine vielfältige Landschaft gestaltet und zusätzlich Arbeitsplätze schafft. Solche Leistungen der Landwirtschaft müssen honoriert werden. Wenn nichts geschieht, dann kommen immer mehr Bio-Produkte aus dem Ausland herein, und die einheimischen Landwirte haben das Nachsehen.
Infos im Internet
www.naturkost.de („14 % mehr Bio-Lebensmittel“)
www.oekolandbau.de („Jetzt Impulse für den Ökologischen Landbau setzen“)
www.br-online.de („Die globalisierte Speisekammer“ und „Weit gereist ist nicht ,Bio'“)
www.spiegel.de („Bio-Fans kaufen die Märkte leer“)
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