Textatelier
BLOG vom: 22.04.2007

Studien-Nonsens (I): Schlaues um Kaugummi, Rheuma usf.

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Tagtäglich werden wir in Tageszeitungen mit Studienergebnissen konfrontiert. Die meisten Studien entpuppten sich als Nonsens. Aber das spielt bei der Publikation keine Rolle. Die Medien verbreiten kopflos die Sensationsnachrichten. Es gibt nur wenige Autoren, die solche Studien kritisch unter die Lupe nehmen.
 
Wie die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Online-Ausgabe am 17. Mai 2006 berichtete, hängen medizinische Studien häufig von Sponsoren ab. Wenn solche Studien von der Industrie gesponsert werden, kommen in der Tat häufig positive Ergebnisse heraus.
 
Paul Ridker und Jose Torres von der Harvard Medical School in Boston nahmen 324 Studienteilnehmer unter die Lupe. Die Studien wurden in den renommierten Zeitschriften Jama, The Lancet und im New England Journal of Medicine publiziert. Das Ergebnis war verblüffend: Kam das Geld von einer Firma, fiel das Testergebnis für eine Behandlungsmethode oder ein neues Medikament positiv aus. So wurden die untersuchten Wirkstoffe und Therapien in 67,2  % als überlegen eingestuft, wenn das Geld von den Firmen kam. Wurden jedoch die Mittel von unabhängigen Einrichtungen zur Verfügung gestellt, wurde nur bei 49 % eine Überlegenheit gegenüber den herkömmlichen Therapien oder Arzneimitteln festgestellt.
 
Kaugummikauen macht schlau
Britische Experten luden 25 Probanden zu Denkaufgaben ein. Die 1. Gruppe sollte nicht kauen, die 2. Gruppe sollte ohne etwas im Mund zu haben herumkauen, während die 3. Gruppe einen Kaugummi kauen durfte.
 
Das Ergebnis war im Sinne der Kaugummihersteller (die Manager werden noch lang frohlocken!): Die Teilnehmer, die Kaugummi kauten, schnitten bei Hirnleistungsaufgaben am besten ab. Es wurde noch ein Nebeneffekt entdeckt: Die Kaugummikauer hatten 3 Herzschläge pro Minute mehr zu bieten als die Nichtkauer. Die „Scheinkauer“ lagen mit 1,5 Herzschlägen mehr im Mittelfeld.
 
Nun schliessen die „schlauen“ Forscher daraus, dass eine erhöhte Herzfrequenz die Nährstoffversorgung des Gehirns verbessert und die Sauerstoffzufuhr steigert. „Darüber hinaus würde die Insulinproduktion des Körpers stimuliert, was jenen Teil des Gehirns aktiviere, welcher für unser Erinnerungsvermögen zuständig sei“, so www.wissen-gesundheit.de.
 
Kommentar: Man könnte eine Steigerung der Hirnleistung auch durch Gymnastik oder eine andere sportliche Tätigkeit vor einem Test erreichen. Auch frage ich mich, warum gerade die Kaugummi kauenden Bewohner bestimmter Länder gar nicht so intelligent sind. Walter Hess schrieb mir in einer E-Mail dies: „Wenn man in Städten die mit Kaugummi verklebten Böden sieht, hat man nicht das Gefühl, dass da besonders intelligente Leute am Werke waren.“
 
Kreta-Küche schützt vor Allergien
Nun wissen wir es: Es ist nicht die schlechte Luft, die Allergien verursacht, sondern die Ernährung. 700 Inselbewohner von Kreta im Alter von 7 bis 18 Jahren wurden genauer unter die Lupe genommen. Die Insulaner leiden zwar an Hautallergien, jedoch kaum unter Asthma und einer allergischen Rhinitis. Das britische National Heart and Lung Institute ist der Ansicht, die gesunde Ernährung verursache diesen Effekt. 80 % der Kinder auf Kreta ernähren sich reichlich mit Obst und frischem Gemüse. Beliebt sind bei den Kindern besonders Orangen, Äpfel, Tomaten und Trauben. Es wird vermutet, dass das in roten Trauben vorhandene Resveratrol, ein Antioxidans, Entzündungen bremst.
 
„Die Botschaft der Studie ist: Lebensmittel mit vielen Antioxidantien sind gut. Sie wirken sich positiv auf allergische Symptome aus“, so Paul Cullinan, ein Studienautor.
 
Rauchen schützt vor Parkinson
Raucher und starke Kaffeetrinker, die eine Veranlagung zu Parkinson in den Genen tragen, haben einen gewissen Schutz, um den Ausbruch dieser Krankheit zu verhindern. Dies brachten Wissenschaftler der Duke University in Durham (USA) heraus. Unter den Parkinsonkranken waren dreimal so viele Nichtraucher und etliche mit geringem Kaffeekonsum. Die Forscher betonten jedoch, sie könnten das Rauchen wegen der Gefahren, die von der Qualmerei ausgehen, nicht zur Vorbeugung empfehlen. Über den Mechanismus rätseln die Forscher noch.
 
Rheumaschutz mit Promille
MensHealth berichtete kürzlich über die negativen Auswirkungen von Alkohol. Mehrere Studien brachten heraus, dass ein Zuviel von alkoholischen Getränken zu Potenzproblemen führt. Die Hoden schrumpfen, und die Fruchtbarkeit sinkt. Schliesslich kommt es zu einer Verweiblichung der Männer. „Alkohol scheint den Umbau von Testosteron in Östrogen zu beschleunigen“, erklärte Dr. Mary Ann Emanuele von der Loyola University in Illinois.
 
Wer jedoch jeden Tag ein Gläschen trinkt, tut vermutlich Gutes für seine Gelenke. Dies gaben Wissenschaftler von der Universität Göteborg bekannt. Die Versuche wurden mit Mäusen durchgeführt. Die alkoholumnebelten Mäuse (sie erhielten den Alkohol mit dem Trinkwasser) bekamen die rheumatischen Beschwerden viel später (bei allen Mäusen wurde eine künstliche Gelenkentzündung ausgelöst). Die Wissenschaftler betonten ausdrücklich, dass die armen Viecher keine alkoholbedingten Schäden davontrugen. Welch ein Trost! Dafür bekamen sie Gelenkentzündungen oder mussten nach den Experimenten ihr Leben lassen.
 
Es ist schon etwas abenteuerlich, wenn man vom Mäuseorganismus auf den menschlichen schliesst.
 
Und schon wieder eine fabelhafte Alkoholwirkung. Eine australische Langzeitstudie mit fast 12 000 Seniorinnen ergab schier Unglaubliches: Gelegentlicher mässiger Alkoholkonsum verlängerte das Leben älterer Frauen (ab 70 Jahre). Das Sterberisiko war um das 1,6-fache höher, wenn Frauen nie oder nur selten Alkohol zu sich nahmen. Die Abstinenzlerinnen bewerteten ihre Lebensqualität als geringer (vielleicht hatten sie weniger Grund zum Lachen). Julie Ellen Bytes betonte im „Journal of the American Geriatrics Society“, dass eventuell die Inhaltsstoffe in den alkoholischen Getränken, wie beispielsweise im Wein, einen gesundheitlichen Nutzen haben.
 
Vitaminpillen zur Verbrechensbekämpfung
Vor 5 Jahren behaupteten Forscher der Universität Oxford, Vitaminpillen seien nutzlos. Sie führten eine Studie mit mehr als 20 000 Männern und Frauen im Alter zwischen 40 und 80 Jahren durch. Die Vitamine C, E und das Provitamin Beta-Karotin zeigten keine Wirkung auf das Herzinfarkt- und Krebsrisiko. Auch der geistige Verfall konnte nicht gestoppt bzw. verhindert werden.
 
Nun behaupten die Forscher, die Vitamine seien doch nicht so wirkungslos. Sie testen zurzeit die Pillen (Vitamine, Mineralstoffe, Omega-3-Fettsäuren) an 600 Insassen von 3 Gefängnissen in Grossbritannien. Man will herausfinden, ob allein durch eine gesunde Ernährung, die diese Wirkstoffe beinhalten, aus aggressiven Insassen lammfromme Geschöpfe werden. Die Forscher wurden von einer anderen Studie dazu ermuntert. Damals erhielten 231 Gefängnisinsassen eine vitamin- und mineralstoffreiche Kost. Die kriminellen Verstösse innerhalb der Gefängnismauern gingen um 26 % zurück. „Die Insassen waren während ihrer Vitamindiät sichtbar zahmer geworden“, so Welt Online vom 16. März 2007 (www.welt.de).
 
Hausarbeit beugt Brustkrebs vor
Eine frohe Nachricht für Frauen, die Putzen, Kochen, Schrubben, Wäsche waschen und sonstige Hausarbeiten verrichten. Wissenschaftler brachten nämlich heraus, dass Frauen, die 16 bis 17 Stunden in der Woche Arbeiten im Haushalt verrichteten und noch nicht in den Wechseljahren waren, ein um 30 % niedrigeres Brustkrebsrisiko hatten. Verglichen wurden diese mit Frauen, die wenig Hausarbeit verrichteten und körperliche Arbeit im Beruf oder Sport in der Freizeit betrieben.
 
„Maria“ schrieb dazu unter www.focus.de am 29. Dezember 2006 folgenden Kommentar: „Die Untersuchung ist wohl hauptsächlich von Männern angestellt worden. Sicher hätten sich auch andere Tätigkeiten finden lassen. Wie wäre es z. B. mit Schwimmen, Wandern und Schreiben. Ich frage mich, warum so viele Frauen Brustkrebs bekommen, denn soviel ich weiss, wird schon jetzt die Hausarbeit hauptsächlich von Frauen erledigt. Da hatte wohl jemand Angst, dass sich das ändern könnte.“
 
Ein Mann, der die gesundheitsfördernde Dosierung von mindestens 16 bis 17 Stunden Hausarbeit macht, betont, er habe „nix davon“, da nur wenige Männer einen Brustkrebs bekommen. Er schlägt vor, man solle eine diesbezügliche Studie durchführen, ob Hausarbeit gut gegen Prostatakrebs sei. Es gibt sicherlich Studien, die das gewünschte Ergebnis liefern würden.
 
Man braucht laut einer anderen Studie nicht unbedingt der Hausarbeit zu frönen, sondern es genügt das regelmässige Fahrradfahren. Wer laut einer Studie des Krebsforschungszentrums in Heidelberg mindestens 3 Stunden in der Woche mit dem Drahtesel herumfährt, hat ein um 34 % vermindertes Brustkrebsrisiko.
 
Und noch etwas anderes ist von Bedeutung, nämlich eine gesunde Ernährung. Dazu gibt es auch eine Studie. Dr. Janet Cade von der Universität Leeds nahm 7 Jahre lang 35 000 Britinnen bezüglich Essgewohnheiten unter die Lupe. Diejenigen, die viel Vollkornprodukte, Obst und Gemüse vor den Wechseljahren zu sich nahmen, hatten ein geringeres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken.
 
Bereitschaft zum Fremdgehen
Man muss sich nur wundern, welche Studien den Gehirnen entspringen und auch durchgeführt werden. So untersuchten beispielsweise Christine E. Garver-Apgar und Kollegen von der Universität von New Mexico in Albuquerque Speichelproben von 48 fest liierten Paaren auf ihre immunologische Ähnlichkeit. Sie befragten ausserdem beide Partner zu ihrer sexuellen Zufriedenheit, auch wie stark sie sich zu anderen Männern bzw. Frauen hingezogen fühlten. Auch nach Seitensprüngen wurde gnadenlos gefragt. Das Ergebnis: Frauen, die ähnliche Immunsysteme aufwiesen wie der Partner, waren besonders in der fruchtbaren Phase mit ihrem Sexualleben unzufrieden und einem Seitensprung nicht abgeneigt. Bei den Männern wurde dies nicht festgestellt.
 
Ich frage mich unter anderem, ob die geringe Anzahl von Studienteilnehmern ausreicht, um solche Aussagen zu machen.
 
Besser als Küssen
„Der Forscherdrang der Wissenschaftler treibt mitunter skurrile Blüten“, meldete die Online-Ausgabe von „focus“ am 17. April 2007 und berichtete über eine seltsame Studie. In dieser Studie verglichen britische Neuropsychologen von der Universität Sussex die Hirnreaktionen junger Paare beim Schokoladenaschen und beim Küssen. Sie wollten endlich herausfinden, was intensiver ist, ein inniger Kuss oder das genussvolle Essen von Schokolade. Während des Experiments wurde auch die Herzfrequenz der Teilnehmer gemessen.
 
Nun, wer es noch nicht wusste, sowohl das Küssen als auch der Schokoladengenuss lösten wahre „Blitzgewitter im Hirn“ aus. Einen Unterschied gab es doch: Der Schokoladenkick hielt bis zu 4-mal länger an als dieser bei der Knutscherei. Nur ein frisch verliebtes Mädchen fiel aus der Rolle. Bei ihr hielt die Reaktion beim Küssen länger an.
 
Der Schokoladengenuss trieb die Herzfrequenz in höhere Bereiche als beim Küssen. Wie der Versuchsleiter, David Lewis betonte, hat Schokolade eine psychoaktive Wirkung. Er und seine Kollegen waren jedoch von der Stärke des Effekts nach dem Schokoladengenuss überrascht.
 
Kritiker bemängelten diese Studie. Unter Beobachtung von den Wissenschaftlern haben eben die Küsse nicht den Effekt wie beim Küssen in romantischen Situationen. Auch wurde die Beziehung der Küssenden untereinander nicht überprüft. Der Genuss von Schokolade dürfte unter Laborbedingungen weniger störanfällig sein.
 
Ich frage mich: Was soll eine solche Studie? Entweder wurde sie von der Schokoladenindustrie gesponsert oder die Wissenschaftler hatten Langeweile. Sie müssen ja durch Studien ihre Daseinsberechtigung unter Beweis stellen.
 
Eine aktuelle Studie des Universitäts-Krankenhauses Zürich ergab, dass die Polyphenole (so genannte Antioxidantien) in Schokolade mit einem Kakaoanteil von 70 bis 80 % besonders gut für Herz und Kreislauf sein soll. Durch den Genuss von Zartbitterschokolade kann man das schädliche LDL-Cholesterin senken und das gute, schützende HDL-Cholesterin erhöhen. Wer also Schokolade isst, der bekommt nicht so schnell eine Arteriosklerose. Aber Achtung! Wer zu viel Schokolade konsumiert riskiert Karies und Übergewicht.
 
Polyphenole (gehören zu den Pflanzenfarbstoffen, z. B. gehören Quercetin und Flavonoide dazu) kommen in Grün- und Rotkohl, Obst, Beeren, in rotem Traubensaft und Rotwein vor.
 
(Fortsetzung folgt.)
 
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