Textatelier
BLOG vom: 04.05.2007

Das Rhabarberkompott: Delikatesse mit erwünschten Folgen

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Auf einem ehemaligen Kompostplatz in einer Ecke unseres Gartens ist in den letzten Wochen ein Rhabarberstrauch förmlich explodiert. Die zusammengeknüllten, wellig-krausen Blätter öffneten sich zu gewaltigen rundlichen bis ovalen Tellern mit einem Durchmesser von mehr als einem halben Meter und wurden gleichzeitig auf dickfleischigen grünlichen bis roten Stielen (der rotstielige Erdbeerrhabarber ist gefragter) bis auf mehr als 1 m Höhe getragen. Die Blätter kommen einander in die Quere, überlappen, und ständig drängt neuer Blätternachwuchs nach.
 
Die besten Sorten sind Küsnachter Riesen, Königin Viktoria sowie Holsteiener Blut und Heros. Die grünfleischigen Sorten haben heute praktisch keine Bedeutung mehr. Die aus Zentralasien stammende Pflanze (Rhéum rhabárbarum L. = Krauser Rhabarber) aus der Familie der Polygonaceae schreit gerade danach, ausgelichtet und der küchentechnischen Nutzung zugeführt zu werden. „Rha“ bedeutet übrigens Wolga; also hat man es mit einem Wolgabarbaren (-fremdling) zu tun. Das Wort Rhabarberabarbareabarebera dient auch als Hintergrund-Volksgemurmel im Volkstheater. Der Rhabarber, der es also auch zur Bühnenreife gebracht hat, zählt, botanisch gesehen, zu den Gemüsen.
 
Der Rhababer ist eine Herausforderung für kreative Köche. Ich bin nicht der Erste, der das erkennt. Die talentierte Köchin und ausgebildete Metzgerin Anita Müller vom Gasthaus „Central“ in Safenwil AG sagte mir kürzlich, dass sie am liebsten mit Rhabarberstängeln und Quitten arbeite. Diese Naturprodukte sind im Allgemeinen verkannt und doch ziemlich teuer, wenn man sie kaufen muss: Auf dem Markt in Aarberg BE wurden kürzlich Rhabarbern zum Kilopreis von 8.50 CHF angeboten. Nach der Ernte sollten die Stängel bald zur Verarbeitung kommen, weil sie schnell welk werden
 
Unterwegs zum Kompott
Also bewaffnete ich mich mit einem Rüstmesser, ging zum Rhabarberstrauch, zog an einigen Stängeln, die sich gut vom Wurzelbereich lösten, schnitt die Blätter ab. Bei kleineren Exemplaren schnitt ich neben dem Blatt (und dem Blattansatz) nur noch das Stielende ab, bei grösseren Stangen zog ich noch die Haut ab – und zwar von oben nach unten: vom Blattansatz bis zum Stielende. Das geht problemlos. Ich hatte das jeweils schon als Kind unter Aufsicht meiner Mutter machen dürfen und geniesse heute wie damals den ganz feinen Nieselregen, der beim Schälen aus den saftigen Stängeln heraussprüht. Dann schnitt ich die Stangen (nur diese sind essbar) in 3 bis 4 cm lange Stücke, mischte diese mit braunem Rohrzucker – vielleicht etwa 1/4 bis 1/3 des Rhabarbergewichts. Doch weigere ich mich bei solchen Gelegenheiten standhaft, die Waage einzusetzen; denn am Schluss schmecke ich das Gericht noch ab. Und je nach Säuregrad der Rhabarbern variiert die benötigte Zuckermenge ohnehin. Das Abwägen hätte also nur einen Sinn, wenn zuvor eine analytische Bestimmung des Säureanteils vorgenommen worden wäre ...
 
Es empfiehlt sich, die mit dem Zucker vermischten Rhabarbern etwa 15 bis 30 Minuten (oder auch über Nacht) zugedeckt stehen zu lassen. In dieser Zeit fliesst weiterer Saft aus, den man mit +/– einer Tasse Wasser noch etwas strecken kann. Viel braucht es dazu nicht. Anschliessend gibt man die marinierten Rhabarberstücklein und den Saft in eine Pfanne (niemals eine solche aus Aluminium – solche sollte man überhaupt nicht verwenden), ebenso 2 Zimtstangen (oder Zimtpulver nach Belieben, auch Ingwer ist denkbar) und köchelt bei milder Hitze vielleicht 5 Minuten. Die Rhaberberstücke sollten weich sein, aber nicht zerfallen. Während des Kochens raffelte ich mit der Bircherraffel eine halbe Biozitrone (inkl. Schale) aus eigenem Anbau (von einem Zitronenbaum als Topfpflanze) in die Pfanne und schmeckte nochmals ab; bemerkenswerterweise reduziert bis neutralisiert diese Säurezugabe den sauren Geschmack einigermassen ... Zugleich bräunte ich mit Butter bestrichene Toastbrotscheiben im Backofen leicht an.
 
Nachdem ich die Gasflamme unter der Pfanne gelöscht hatte, gab ich noch einen Spritzer weissen Rum dazu (eine Eigenerfindung), um den Ruhm als Koch zusätzlich zu steigern.
 
Man legt den Toast auf einen Teller und gibt das heisse Kompott darüber. Ein Festessen. Selbstverständlich kann man das Kompott auch kalt geniessen.
 
Organismus-Reinigung
Damit ist die Geschichte selbstverständlich nicht beendet. Wenn der Rhabarber dem menschlichen Organismus zugeführt worden ist, wird dieser einer Generalreinigung unterzogen, einer Art Frühlingsputzete. In der chinesischen und tibetanischen Medizin wurde die Rhabarber mit ihren Apfel-, Zitronen- und Oxalsäuren seit je zum gleichen Zwecke verwendet. Sie hat eine anregende Wirkung auf das Leber-Gallen-System und den Darmkanal, wobei auch die Nahrungsfasern dazu beitragen. Dem Rhabarbersaft sagt man eine harntreibende Wirkung nach. Der Rhabarber kann also sehr wohl zu den Volksheilmitteln gezählt werden, gleichgültig ob er als Kompott, Pudding, Kuchen, Torten, Aufläufe, Wähenbelag oder einer Erdbeerkonfitüre als Beitrag zum erfrischenden Geschmack beigefügt wird. Auch als Beilage zu Currygerichten taugt er.
 
Im Übrigen ist es mit dem Vitamin-C- und Vitamin-A-Gehalt und dem Mineralstoffgehalt in Rhabarbern nicht besonders weit her (Kalium ist gut vertreten); Vitamine und Mineralien sind darin nur in bescheidenen Mengen vorhanden; aber dafür haben die Stängel schliesslich andere Qualitäten. Man nutzte sie besonders früher in Form von Tinkturen, Sirup oder Tabletten als mildes Abführmittel. Die Wirkung beruht auf dem Gehalt an Anthrachinon-Derivaten, welche die Darmperistaltik anregen. Nur wer Nieren- und Gallensteine produziert und Rheumakranke sollten Rhabarbern eher meiden.
 
Die Erntezeit ist zwischen April und Juni. Die frühesten Stangen sind die besten, haben am wenigsten Oxalsäure. Spätestens ab dem Juli darf sich die Rhabarberpflanze wieder ausruhen, und es ist angezeigt, sie mit etwas Kompost oder Mist zu füttern und nach etwa 10 Jahren etwas zu verjüngen – auf dass sie uns wieder in manch einem kommenden Frühling zur Verjüngung von innen heraus verhelfe.
 
Hinweis auf einen Textatelier.com-Artikel zum Thema Rhabarber
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