Textatelier
BLOG vom: 04.06.2007

Die unglaublich sprachbewanderten US-Touristen in Europa

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Selten so gelacht.
 
Eine Heiterkeit ohnegleichen breitete sich bei uns am Mittagstisch vom 23. Mai 2007 aus, als in den Radionachrichten die Meldung verlesen wurde, die Amerikaner gehörten in den europäischen Hotels zu den zweitbeliebtesten Touristen (gleich hinter den wohlerzogenen Japanern und noch vor uns höflichen Schweizern), weil sie sich stets in der Landessprache versuchten und viel Geld ausgäben. Die Sache mit dem Geld mag ja noch stimmen – aber das mit der Landessprache ...
 
Selten so gelacht: Erstens hat der typische Amerikaner aus Bildungsgründen keine andere Möglichkeit als amerikanisch zu sprechen. Sie leiden an einer unheilbaren Einsprachigkeit, abgesehen von den vielen Einwanderern, welche die spanische, die chinesische oder andere asiatische Sprachen anwenden. Und zweitens habe ich ein Leben lang erlebt, dass auf dem europäischen Kontinent alle sofort amerikanisch palavern, sobald ein Amerikaner aufgetaucht ist. Selbst international tätige Firmen in deutschsprachigen Ländern mussten sich auf dieses Amerikanische einstellen, auch wenn ihr Radebrechen zu enormen Missverständnissen, Fehlleistungen, Ärger und Kosten führt. Die Globalisierung ist beim Aufbau des planetarischen Einheitscontainers aktiv dabei, alle Sprachbarrieren brutal hinwegzufegen. Das Pidgin-Amerikanisch wird alles niederwalzen und damit auch die damit verbundenen eigenständigen Kulturen, Wahrnehmungs- und Denkprozesse.
 
Selten eine Beschreibung der amerikanischen Sprache als so treffend empfunden: Im Büchlein „Stört’s dich? – Dein Problem“ (1998) von Dr. phil. Konrad Ewald, CH-4410 Liestal BL habe ich ein Zitat gefunden, das vom wunderbar frechen Reiseschriftsteller Otte E. Ehlers stammt und vor mehr als 100 Jahren geschrieben worden ist: „Die Sprache der Amerikaner – wenn man ein Mundausspülen mit Worten überhaupt eine Sprache nennen kann – geht dem an gutes Englisch gewöhnten Europäer gewaltig auf die Nerven. Man weiss nie, ob jemand spricht oder seekrank ist, und selbst die mit allen körperlichen Reizen ausgestatteten jungen Amerikanerinnen, falls sie nicht ihre Erziehung in Europa genossen haben, sprechen nicht selten genau so, als hätten sie einen Priem Kautabak im Munde. Ich kann mir nur denken, dass sie sich diese Sprechweise von ihren tabakkauenden Vätern angeeignet haben: Wie die Alten gesungen, so zwitschern die Jungen. Häufig ist aber auch die abscheuliche Angewohnheit des Kauens von Gummi schuld. Ich kenne eine Menge Amerikanerinnen und Amerikaner, die den ganzen Tag ihr Chewing gum im Munde haben und sich darauf abkauen wie ein Pferd auf seiner Kandare ...“
 
Aber wenn die Amerikaner in Europa sind, ja dann ist alles ganz anders. Sie sprechen die Sprache des Urlaubslands und – man höre und staune – probieren sogar landestypisches Essen (38 %). Ich selber habe ebenfalls Amerikaner-Erfahrungen, und sie stimmen mit den Wahrnehmungen der Hoteliers überhaupt nicht überein. Ich kann vermuten, wie es zu den Resultaten der „repräsentativen Umfrage“ der Gesellschaft für Konsumforschung unter 15 000 Hoteliers gekommen ist: Die Hoteliers wollten sich beim US-Publikum einschmeicheln, weil es ja ihre papierenen Dollars liegen lässt, und solche Gäste sind doch einige Zweckverdrehungen wert, und mögen sie auch noch so laut und ungehobelt sein.
 
Zudem sind die viele Hoteliers aufs Event-Marketing umgestiegen. Und meines Erachtens war der Einfall, die sprachwunderbaren Amerikaner hochleben zu lassen, wirklich ein lustiger Einfall mit Werbegag-Qualitäten. Selten so gelacht. Dieser Event ist voll gelungen. Great!
 
Zudem weiss ich jetzt ganz genau, was von repräsentativen Umfragen zu halten ist.
 
Ranking der beliebtesten Touristen
Japaner: 33, Amerikaner: 11, Schweizer: 9, Schweden: 6, Deutsche: 5, Niederländer: 5, Australier: 4, Norweger: 4, Kanadier: 4, Belgier: 4, Dänen: 2, Österreicher: 2, Finnen: 2, Thailänder: 1, Iren: 0, Tschechen: –1, Portugiesen: –1, Italiener: –2, Griechen: –2 ,Spanier: –3, Polen: –3, Türken: –5, Briten: –7, Russen: –8, Chinesen: –9, Inder: –9, Franzosen: –14.
 
Buchhinweis
Ewald, Konrad: „Stört’s dich? – Dein Problem! 111 Betrachtungen, Einfälle und Anschläge nebst einer Handvoll Fragen und einem Strauss Lesefrüchten“, Eigenverlag Konrad Ewald, Spittelerstrasse 7, CH-4410 Liestal BL 1998.
 
Anhang
Leseprobe zum Thema Hotels aus dem erwähnten Buch
Es gibt Reiseveranstalter, die für ihre Kunden stets die besten Hotels aussuchen, auch wenn man abends um 6 Uhr ankommt und am anderen Morgen um 7 weiterreisen muss; man hat ja gar nicht Zeit, den ganzen Komfort zu geniessen, man braucht ja bloss ein Nachtessen und ein Bett. Wozu der Fernseher, die Minibar und die Angebote des hoteleigenen Sportzentrums?
 
Wenn man sich sein Hotel selber aussucht, ist man auf Beschreibungen (und eventuell ein Bild) angewiesen. Manchmal kann man tatsächlich anhand dieser Orientierung etwas Passendes finden. Aber oft gibt’s Enttäuschungen. Erschreckend sind für mich die Wohntürme, in denen man am Nachttisch ein ganzes Schaltbrett vorfindet, vor dem man 10 Minuten überlegen muss, was wozu dient und wie man die Klimaanlage ausschaltet.
 
Und wenn das Hotel als solches passt, hat man nicht mit den anderen Gästen gerechnet und mit der Ringhörigkeit der Zimmer. Neben dir hört einer Radio oder zwei keifen eine halbe Stunde lang miteinander. Im Zimmer über dir läuft eine Frau eine halbe Stunde lang mit harten Schuhen über den Zementboden, hin und her, her und hin. Zum Verzweifeln!
 
Und wenn man dann die Touristen beim Dinner sieht, erschrickt man nochmals, auch in Fünfsternhotels, wo mindestens noch die Kellner und anderen Angestellten wissen, was sich gehört und wie man sich benimmt – die Touristen wissen’s nicht mehr. Da hocken sie, manche in Shorts oder abgewetzten Jeans, stochern mit aufgestütztem Ellenbogen im Teller herum, fuchteln mit dem Messer, wischen sich den Mund nicht ab, bevor sie trinken, und trinken ebenfalls mit aufgestelltem Ellenbogen. Dass man am Ende der Mahlzeit seinen Stuhl wieder zum Tisch rücken könnte, fällt niemandem mehr ein.
 
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