BLOG vom: 07.08.2007
Der Ablauf einer Siphon-Reinigung: Bitte nicht verzweifeln!
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Obschon mein Name in der Autorenzeile steht, bin nicht ich es, der dieses Tagebuchblatt schreibt, sondern es war das Leben höchstpersönlich. Dieses Leben hat ja viel mehr zu bieten als wir uns in unseren kühnsten Fantasien auszumalen vermögen.
Das ganze Elend begann am vergangenen Freitagabend um etwa 23.50 Uhr. Bei der Zahnreinigung erkannte ich, dass das Spülwasser im Brünneli nicht mehr ablief. Aus dem benachbarten Waschbecken ertönte ein merkwürdiges Blubbern. Ich dachte, das sei eine kleine Sache und vor dem Eintauchen ins Bett innert Kürze problemlos zu erledigen. Ich holte in der Waschküche den Abflussreiniger, ein Halbrund aus Gummi mit Stöpsel dran. Ich vollführte pumpende Bewegungen mit dem Misserfolg, dass ich Wasser einfach ins benachbarte Waschbecken drückte; die beiden Abläufe sind mit einer Leitung verbunden, damit es ihnen nicht so langweilig ist.
Dann kam mir die gloriose Idee, den Siphon (Syphon) unter dem Waschbecken 1 abzuschrauben, diesen zu reinigen und mich dann zum Schlafen zu legen. Dann sollte das Problem behoben sein. Da wir noch die alte Siphon-Qualität aus verchromtem Eisen haben, sassen die Verschraubungen fest, und ich holte entsprechende Schraubenschlüssel, Rohrschlüssel und eine Rohrzange. Nun war es allerdings schwierig, herauszufinden, ob sich eine Schraube nach links oder rechts aufdrehte; so genau kenne ich die Sanitärgebräuche auch wieder nicht. Bei Gasleitungen arbeitet man mit Linksgewinden.
Ohne mich hier als Dilettant anschwärzen zu wollen, so muss ich um der Ehrlichkeit willen doch zugeben, dass ich mit elementarer Wucht unter Einsatz der Hebelwirkung einer grossen Rohrzange zuerst wahrscheinlich auf die falsche Seite gedreht habe, was im Klartext nichts anderes bedeutet, als dass ich die Schraube noch mehr angezogen habe – man vergesse bitte nicht, dass es bereits Zeit zum Ausziehen war. Es ist ein Wunder, dass bei diesem Murks nicht die ganze 35-jährige Spültischeinrichtung in Brüche ging, als ich mit noch wesentlich elementarerer Wucht an der Schraube drehte, die unter solchen Kräften ihren Widerstand aufgab. Sie konnte nicht mehr anders. Ich möchte mich für diesen Zwischenerfolg hier ausdrücklich loben, auch in Anbetracht dessen, dass die Zugänglichkeit zum Siphon durch einen elektrischen Speicherofen erschwert war. Ich konnte dieses schwere Möbel wegen kurzer Anschlusskabel nur beschränkt verschieben, und Eingriffe in den Elektrokabelsalat sind mir seit je zuwider.
Immerhin: Durch verschiedene Dreh- und Ziehbewegungen schaffte ich es, das S-förmige Syphon aus der Wand zu ziehen, zu entfernen. Zu meiner grossen Enttäuschung hatten sich wohl Kalkablagerungen und ein gewisser Belag angesetzt, aber verstopft war es überhaupt nicht.
Die 1. Stunde des vergangenen Samstags näherte sich ihrem Ende, und dennoch war mein Geist klar wie nach einer Nacht mit ungestörtem Tiefschlaf. Eva, die längst in Morpheus’ Armen lag, hatte einmal in weiser Voraussicht so etwas wie eine Abflussreinigungsspirale käuflich erworben, die ich in der wohlgeordneten Werkstatt, Sektor „Rohre und Abfluss“, schliesslich noch fand. Der Weg zur Lösung des Problems schien mir in Griffnähe zu sein.
Der flexible Abflussreinigungsdraht besteht aus einem beweglichen, spiralförmigen Draht, an dessen Ende so etwas wie eine Kurbel ist. Und ganz vorne ist der Draht zu einer aufgeweiteten Spirale aufgedrechselt, dafür angetan, sich in haarige Schmutzklumpen einzubohren, diese festzuklammern, worauf dann der ganze Ballen herausgezogen werden könnte. Rein theoretisch.
Doch die Praxis ist oft meilenweit von der Theorie entfernt. In meinem speziellen Fall bestand die Schwierigkeit darin, dass das Ablaufrohr wenige Zentimeter nach dem Eintritt in die wunderschön mit grünen, ornamental verzierten Fliesen eine rechtwinklige, abrupte Drehung nach links vollzieht. Das Wasser hat das offenbar geschafft, nicht aber mein flexibler Reinigungsdraht, der vor solch einer engen Kurve zurückschreckte und erbitterten Widerstand leistete.
Mein Einfall zur Überlistung des Drahts war grandios: Ich schraubte den Siphon unter dem Waschbecken 2 ebenfalls ab und stiess den Draht von dort durch das Verbindungsrohr Richtung Waschbecken 1, und da er nun die 1. Kurve nicht machen musste, tauchte er, dem Ablaufrohr folgend, in die Tiefe der darunter liegenden Waschküche ab. Natürlich war der Weg nun länger, und die vorpreschende Spirale hatte irgendwo unterwegs ihren vorzeitigen Endpunkt erreicht. Und zudem verdrehte sich wegen des engen Kurvenradius’ der Draht bereits vor dem Eintritt ins Rohr.
Jetzt war ich echt sauer, gab auf; das Badezimmer hatte sich in eine veritable Werkstätte verwandelt. Zum Glück lief das Wasser an Badewanne und Dusche noch – ein und aus. Ein Überleben war also durchaus möglich. In diesem Sinne beruhigt, schlief ich bald ein, regenerierte meine Kräfte und führte am Samstagmorgen meine Aufgabe weiter. Noch beim Einschlafen war mir die Idee gekommen, einen festen Gasschlauch, wie ich ihn auf Reserve hatte, ins Ablaufrohr zu schieben und die verstopfte Stelle mit hohem Wasserdruck durchzuspülen.
Ich ahnte, wo die Verstopfung (Obstipation, sagen die Ärzte) war: gerade unter der Waschküchendiele, wo das Ablaufrohr aus Plastik wiederum einen abrupten rechten Winkel macht. Wie können Sanitärinstallateure nur solche engen Kurven einbauen? Ist da etwa Methode dahinter? Sie sollten von den Strassenbauern lernen und die Kurvenradien etwas weiter ziehen.
Ich zog Eva als Hilfskraft herbei. Zuerst übertrug ich ihr die Aufgabe, das Ablaufrohr 2 zu verstopfen, denn ich wollte es nochmals mit dem berühmten Gummistöpsel versuchen, und der Druck durfte nicht nebenan verpuffen. Doch das Pumpen schien die Verstopfung eher zu festigen.
Aber da war ja noch die Idee mit dem Durchspülen. Eva hatte nun eine Beobachtungsaufgabe unter dem Waschbecken zu erfüllen. Ich stiess den Gasschlauch ins Ablaufrohr und drückte den (unkompatiblen) Wasserschlauch kraftvoll an den Wasserhahn, drehte ihn voll auf und wartete auf Erfolgsmeldungen. Eva schrie „Stoppppp-stopppp!“ wie jeweils wenn sie einen Fussgänger auf einen Fussgängerstreifen zugehen sieht und ich am Steuer sitze. Das Wasser ergoss sich aus dem Ablaufrohr in einen bereitgestellten viereckigen Kübel – nach oben statt nach unten. Mehrmalige Versuche bestätigten das Resultat. Wegen der Wiederholbarkeit hatte dieses Experiment eine durchaus wissenschaftliche Aussagekraft.
Eva schlug vor, zuerst einmal in Ruhe zu Morgen zu essen und setzte in der Küche einen Beruhigungstee auf, schnitt Brot in Scheiben, tischte Butter, kräftigenden Bienenhonig und ein Stück von einer Rauchwurst auf, die ich aus dem Berner Seeland mitgebracht hatte. Das tat gut. Auch im Seeland machen Kanäle Probleme (siehe Hagneckkanal).
Da ich nun meine Möglichkeiten als erschöpft erachtete, fuhr ich zum Baumarkt Jumbo in Schafisheim AG, um mich dort nach besseren Werkzeugen umzusehen. Ich hatte schon beim Fernseh-Verkaufssender HSE24 bewundert, wie mit bestimmten Geräten in spiegelglatten Glasrohren ganze Lappen um alle Kurven herum bewegt werden konnten. Ich bewunderte diese Verkaufstechnik gebührend.
Der Jumbo brillierte meines Erachtens hinsichtlich der Verstopfungseinfälle nicht eben. Er hatte zwar Spiralreiniger, die massiver als mein eigenes Modell gebaut waren und vorne eine massivere Spirale hatten. Die hätte ich niemals durch die Kurven im Ablaufrohr gebracht. Deshalb entschloss ich mich für eine Vakuumpumpe, um die Entstopfung sozusagen im Rückwärtsgang zu versuchen. Der Kostenpunkt lag um 8 CHF, war also etwa so gross wie die Anschaffung von 4 Buttergipfeli, deren Krümmung übrigens weit massvoller als bei Ablaufrohren ist.
Nun mussten wir den Ablauf 2 wieder dicht machen, und mit gewaltigem, ruckartigem Ziehen schaffte ich in der Leitung Luft. Jedenfalls freute ich mich über den mir entgegenschlagenden Kanalisationsgeruch aufrichtig. Ich schraubte den Siphon provisorisch fest, obschon ich mit Schrecken festgestellt hatte, dass die bronzene Krempe über der Dichtung durchgefressen und die Dichtung selber ebenfalls im Zerfall begriffen war.
Doch vorerst spülte ich lustvoll. Das Wasser verschwand. Zufällig war Eva in der Waschküche gerade mit der Wäsche beschäftigt, und wiederum schrie sie: „Stoppppp-stopppp!“ Ich drehte den Wasserhahn zu, eilte nach unten in die Waschküche und sah mit eigenen Augen, wie da Wasser neben der Leitung aus der Diele tropfte, ja rann.
Das reichte mir, und ich suchte auf meiner Computerfestplatte die Adresse eines Sanitär-Installateurs heraus, mit dem wir vor vielen Jahren einmal gute Erfahrungen gemacht hatten. Solche Handwerker vergisst man nicht mehr.
Am darauf folgenden Montag um 18 Uhr erschien der Mann, wie abgemacht; wir freuten uns, einander wieder einmal zu sehen. Ich führte ihn ins Bad, erklärte ihm die Zusammenhänge, und nahm ihn zu einem Augenschein auch in die Waschküche mit. Sein Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an. Zuerst einmal wies er uns darauf hin, dass wir das bei der Gebäudeversicherung als Wasserschaden anmelden sollten. Diese würde dann die Sanitär und Maurerarbeiten übernehmen, nicht aber die Kosten für das Rohr als solches. Mir graute nicht etwa vor den Rohrkosten, sondern vor dem Teilabbruch unseres Hauses. An den Plastikleitungen, sagte der erfahrene Handwerker, mache er nichts. Die seien nur gesteckt und nicht geschraubt, und nach all den Jahren seien sie brüchig; schon das Herumstochern könne ihr definitives Ende herbeiführen.
Wir kehrten im Gänsemarsch ins Bad zurück; so ungefähr mag die Stimmung bei Anverwandten in einem Trauerzug sein, wenn jede Hoffnung zerstört ist. Ich erzählte ihm von meinem Erfolg mit der Vakuumpumpe, und das löste aus, dass er diesen noch übertreffen wollte – er hatte eine noch viel grössere Vakuumpumpe bei sich. Ich bat ihn, gleich 2 neue Siphons zu montieren, was er elegant machte. Besonders beeindruckt war ich von einem Rohrscheider mit Schnittrad, welches das Rohr buchstäblich im Hand- bzw. Rohrumdrehen an der richtigen Stelle trennte. Die Abdeckrosetten waren das einzige, was wir vom alten Material noch brauchen konnten.
Selbstverständlich schaute ich genau zu, wie der Installateur die Sache anpackte, um bei einem künftigen Ablaufproblem auf höherem Niveau tätig werden zu können. Da der stämmige Mann mit der bronzefarbenen Gesichtshaut offensichtlich nicht befürchtete, dass ich ein eigenes Sanitärgeschäft eröffnen würde, weihte er mich in alle Geheimnisse ein. So lernte ich beispielsweise, dass man Plastik-Ablaufrohre, die man nur ineinander steckt, nicht fetten darf (sonst flutschen sie wieder heraus), sondern er benetzte sie nur mit etwas Speichel. Damit war also wieder alles dicht. Die Schrauben werden nur von Hand angezogen. Das genügt.
Und dann kam der Einsatz der grossen Vakuumpumpe, die der Meister höchstpersönlich mitgebracht hatte. Der Fachexperte füllte die Siphons, und einer der Waschbeckenabläufe (2) wurde dicht gemacht. Und jetzt wurde durch eine heftige Ziehbewegung der kräftige Sog herbeigeführt – und der Ablauf war offensichtlich frei, freier noch als er schon war. Ich schickte Eva als Kontrollinstanz (Controler) in die Waschküche und spülte, spülte. Wie durch ein Wunder floss kein Wasser mehr neben dem Rohr aus der Decke. Die Flüssigkeit, die immer einen Weg findet (nur manchmal in Ablaufrohren nicht), verschwand. Sie hatte sich bloss wegen des zerfressenen Siphonanschlusses verirrt.
Der Handwerker stellte mir eine anständige Rechnung, die ich grosszügig aufrundete, und ich gab ihm noch mehrere Komplimente für sein Talent mit auf den Heimweg. Er genoss es.
Und jetzt läuft das Wasser also wieder ab, als ob nichts geschehen sei. Das sind wirkliche Glücksgefühle, die unmissverständlich zeigen, dass man selbst in schweren, ausweglos scheinenden Lebenskrisen, bei denen alle Auswege verstopft zu sein scheinen und man vom Gefühl überwältigt wird, dass alles, was man aufgebaut hat, in sich zusammenfalle, dass man also selbst in solchen Krisen nicht verzagen sollte. Wie ein Siphon, das uns vor Fremdgerüchen verschont, geht es immer wieder auf und ab, und manchmal läuft überhaupt nichts mehr.
Aber wenn aller Druck versagt und dafür das Vakuum gross genug ist, darf man wieder hoffen. Am Ende klärt sich alles. Wie in einer Kläranlage.
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