Textatelier
BLOG vom: 22.10.2007

CH-Parlamentswahlen: Elegant und konkordant bürgerlicher

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Ein wunderbar stabiles Land, diese Schweiz. Da gibt es, brutale, aggressive Wahlschaukämpfe zum Gefallen der aufheizenden Medien hin oder her, keine Revolutionen, sondern nur Evolutionen, also bruchlos fortschreitende Entwicklungen. Die Parlamentswahlen vom Sonntag, 21. Oktober 2007, störten den Prozess nicht wesentlich.
 
Eine Partei, welche die Globalisierung nicht will und auf Rettung der nationalen Unabhängigkeit (einschliesslich der Neutralität) setzt wie die Schweizerische Volkspartei (SVP), legte zu, am linken Gegenpol, wo die Sozialdemokratische Partei (SP) selbst die Arbeiterschaft ohne Rücksicht auf Arbeitsplatz- und Lohneinbussen in die Globalisierungsfalle treiben will, gab es natürlich Verluste. Ganz links aussen feierten die „Grünen“ (Grüne Partei der Schweiz) noch einige Erfolge; obschon sie das ökologische Anliegen für eine ausgesprochene Linkspolitik missbrauchen; die grünen Gewinne vermögen aber die roten Verluste nicht aufzuwiegen. Somit sind die beiden nationalen Parlamente, die sich gelegentlich zur Vereinigten Bundesversammlung treffen, etwas rechtsbürgerlicher geworden; aber ein Erdrutsch von grosser Bedeutung war das nicht, sondern eine sanfte Verschiebung.
 
Der Umweltschutz (die Sorge um die Biosphäre) wäre eigentlich eine Mission, die zur Aufgabe aller vernünftigen Parteien gehören sollte. Aber das wurde noch nicht erkannt, gerade auch bei der SVP nicht. Die politische Mitte gibt sich farblos, auch hier grünt es kaum, und sich also bei der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP, die leicht zulegen konnte) abspielt, ist praktisch unerheblich, da dort eher laviert statt klar politisiert wird. Diese beiden Parteien haben sich am Wahltag denn auch anteilsmässig wenig verändert, wenig bewegt.
 
So behält die Schweiz ihr politisch austariertes System, dem man Konkordanz ( = ausgewogene Verteilung, Übereinstimmung) sagt und in das sich auch das Zweikammer-Parlament einordnet: der Nationalrat (200 Sitze), der die Bevölkerung abbilden sollte, und der Ständerat (46 Sitze), in dem jeder Kanton mit 2 Köpfen vertreten ist. Und fast hätte ich vergessen, dass es auch noch einen 7-köpfigen Bundesrat als oberste Kollegialbehörde gibt, der die Parteienlandschaft widerspiegelt und ebenfalls auf eine Selbstneutralisierung ausgerichtet ist. Ausbruchversuche werden sofort bestraft. Und in den Kantonen und Gemeinden gehen dann die Sicherungssysteme weiter. Spontane Umwälzungen sind dadurch bis in den hintersten Winkel der Schweiz ausgeschlossen, Umstürzler finden in dieser Alpenrepublik einen steinigen, ja felsigen Boden. Die nur minim labile Geometrie ist kaum stark zu erschüttern.
 
Wir stehen also politisch beinahe so unverrückbar wie unsere Berge da; und was wir als Bergstürze feiern, die sich als Folge des auftauenden Permafrosts vermehrt einstellen, sind in der Regel kleinere Gerölllawinen, wie sie die Erde als lebendiger Organismus schon immer produziert hat. Jetzt helfen wir ihr durch unsere energieverschwenderische Unvernunft beim Einebnen noch.
 
Die relative Stabilität bedeutet Sicherheit, und Sicherheit ist ein Qualitätsmerkmal dieser Schweiz, von dem unter anderen in- und ausländische Anleger profitieren. Ich möchte nie in einer präsidialen Demokratie leben, wo mit jedem Präsidentenwechsel wieder vollkommen neue Verhältnisse aus dem gekauften Hut gezaubert werden und man nie weiss, was morgen oder spätestens in 4 Jahren sein wird. Wenn unter solchen Vorzeichen der allmächtige Präsident ein kriegslüsterner Trottel ist, herrscht eben Kriegsstimmung, und die zur politischen Unreife erzogenen erwachsenen Kinder müssen zujubeln.
 
So etwas kann in der Schweiz nicht passieren. Die politischen Schutzmechanismen sind hier grösser noch als in den USA beim hirnlosen, versehentlichen Herumfliegen mit atomaren Sprengköpfen. Und die meisten Schweizer sind politisch gereift – Übung macht den Meister. Zunehmend wird auch die Einbindung in die Einheitswelt unter dem US-Oberkommando als Katastrophe erkannt, auch wenn in diesem Erkenntnisprozess noch ein gewaltiger Nachholbedarf besteht. Der SVP-Erfolg dürfte dementsprechend noch nicht zu Ende sein, „auch wenn wir nicht bei jeden Wahlen zweistellig zulegen können“, wie SVP-Präsident Ueli Maurer am Wahlsonntag von sich gab.
 
Bemerkenswert wenig beeindruckt zeigte sich das überraschend wahlfreudige Stimmvolk (etwa die Hälfte wählte) von all den Wahlkrämpfen während der Wahlkämpfe. Die SP bot kaum Substanz, warb sogar für eine „starke Schweiz“, obschon sie alles tut, um die Schweiz zu schwächen, in diesem Tun aber kraftvoll gebremst wird. Und vor allem warb sie für die SVP indirekt – sie wünschte dieser und dem SVP-Bundesrat Christoph Blocher alles Wüste, sogar die Abwahl aus dem Bundesrat am 12. Dezember 2007, begründet durch eine SVP-Wahlniederlage, die sie erzwingen wollte. Damit schaufelte sich die SP, die ihren klaren Verstand spätestens in der Garderobe des Wahlkampftheaters an den Nagel gehängt hat, ihr eigenes Grab. Die Wähler wollen eine vernünftige Politik und keine opportunistischen Dekonstruktionen mit faulen offenen und hinterhältigen Tricks.
 
Der Wahlkampf war vor allem ein Medientheater; die Mainstreamer an den Sendepulten und in den Redaktionen wollten Action sehen, und wer einen Platz an der Publizitätssonne ergattern wollte, musste etwas bieten. Wenn gerade nichts im Angebot war, wurde die Kreativität mobilisiert, und „repräsentative“ Umfragen, als Wahlbarometer dargestellt, lenkten von den wesentlichen Themen ab. Den Rest besorgten persönliches Hickhack, Mobbing. Die Wahlstrategen fielen auf diese kommerziell motivierten Medientricks herein, mussten mitmachen, um sich in Szene zu bringen. Und dann, als das Volk seine entscheidende Stimme erhob, verlief wieder einmal alles in Minne. Mehr als die Hälfte der Schweizer füllte die Wahlzettel aus, strich Namen, schrieb andere darauf und schickte das Couvert Richtung Urne und sorgte dafür, dass alles nur ein bisschen anders, ein bisschen bürgerlicher wird. Die SP darf weiterhin mitreden und globalisieren, wenn auch mit gestutzten Flügeln. Die Konkordanz bleibt bestehen: Übereinstimmung statt Konfrontation, wobei sich die Unterlegenen dem Frieden zuliebe fügen müssen. Darin liegt die Ungerechtigkeit der Demokratie.
 
Am Samstag vor dem Wahlsonntag fand in Biberstein AG, wo ich wohne, die Altpapierabfuhr statt. Das traf sich gut. Wir konnten das Propagandamaterial aus den Parteizentralen gleich wieder loswerden. So hat hier alles seine Ordnung, seine Konkordanz, seinen tieferen Sinn.
 
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