Textatelier
BLOG vom: 02.12.2007

Der Schlossherr, der drechseln, schweissen, formen kann

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
„Holz ist ein einsilbiges Wort,
aber dahinter steckt eine Welt voller Märchen und Wunder.“
Theodor Heuss (1884–1963), 1. Bundespräsident D
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Das Märchenhafte wird nicht selten gegenständlich. So ist es am Freitagabend, 30.11.2007, geschehen: Die von unten sichtbaren Gebäudeteile des Schlosses Liebegg, vor allem das nachgotische Wohnhaus (Luternauhaus) mit dem Schneggen (dem gewendelten Treppenturm), waren dezent beleuchtet. Die ehemalige habsburgische Lehensburg trat zwischen Gränichen und Teufenthal wie ein Märchenschloss aus der schwarzen winterlichen Nacht heraus. Wir betraten nach dem Fussmarsch vom weiter unten auf einem Hügelvorsprung eingerichteten Parkplatz das untere Gebäudegeviert mit der türmchenbewehrten Toranlage. Im Laubentrakt wies ein Wegweiser zur Ausstellung der Werke von Magnus Würth, der in verschiedenen Räumen seine Objekte aus Holz und Stahl arrangiert hatte.
 
Die Schlossräume seien sonst nur für Künstler und nicht für Handwerker reserviert, sagte Magnus Würth in aller Bescheidenheit, aber weil er Präsident des Vereins Schloss Liebegg, CH-5722 Gränichen AG, sei, habe er halt gewisse Vorteile (www.schloss-liebegg.ch). Doch fragte ich mich, was denn Kunst überhaupt sei, wenn nicht das!
 
Mir ist Magnus Würth immer als ein Multitalent erschienen. Er kann alles und bringt alles zur Perfektion, ob er sich nun als Organisator betätigt oder handwerklich-künstlerisch arbeitet. Vor seiner Pensionierung hat er den Jowa-Bäckereibetrieb, der seit 1971 in Gränichen angesiedelt ist, mit den damals 300 bis 400 Arbeitskräften geleitet. Und vom ehemaligen Leiter der Migros-Genossenschaft Aargau-Solothurn, Konrad („Koni“) Pfeiffer, erfuhr ich, dass Magnus schon in seinem Beruf bei jener Aufgabe brilliert habe, allen Problemen gewachsen gewesen sei. Als einmal ein Hochwasser im Anzug war, liess er noch schnell einen Damm um den Jowa-Betrieb aufhäufen, um die Anlage trocken zu behalten.
 
Das Faszinosum des Drechselns
Nach der Pensionierung von Magnus Würth machte Dölf Pfister seinen Freund vor etwa 10 Jahren auf einen Drechslerkurs im Tessin aufmerksam, und spontan sagte dieser zu. Was den Reiz des Drechselns ausmacht, umschrieb Dölf Pfister in seiner Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung aus eigenem Empfinden so: „Mich fasziniert das Drechseln seit rund 10 Jahren – und zwar weil es gleichzeitig verschiedene Sinne trifft und verschiedene Eindrücke gleichzeitig entstehen lässt. So ist es zuerst einmal das Stück Holz, das durch seinen Wuchs, seine Herkunft, d. h. den Standort des Baums, charakterisiert ist. Dann sind die Farbe und die Beschaffenheit des Holzes auffällige Eigenschaften: Ist es ein weiches, ein hartes oder sogar ein sehr hartes Holz? Dazu kommt der Geruch, der vom Holz ausgeht: Ist das Holz trocken oder frisch und nass? Der Geruch ist immer unterschiedlich.
 
Dann kommt der Moment, wo man sich festlegt, was aus dem Stück Holz werden soll. Dabei spielen die Grösse, die Form und auch die Beschaffenheit des Holzes eine sehr wichtige Rolle. Ob dann später auch das entsteht, was man sich ursprünglich vorgestellt hat, oder ob einem das Stück Holz eine andere Richtung vorgibt, sei es durch einen Ast oder eine kranke Stelle, das ist das Spannende und sicher auch das Kreative am Drechseln.
 
Wenn sich der Stahl in das Holz frisst, verändern sich die Sinneseindrücke, welche ich am Anfang beschrieben habe, noch einmal; denn in diesem Moment wird noch mehr aus dem Holz herausgeholt. Man hat das Gefühl, dass das Holz aus den Jahren, in denen es wuchs, Düfte der Umgebung gespeichert hat. Und wenn man zuletzt sieht, dass die Form, die man sich für das Stück Holz ausgedacht hat, auch tatsächlich entsteht, wenn man die glatte runde Form in den Händen hält und sich dazu noch der Geruch entfaltet und sich die verschiedenen Ingredienzien des Wachses mit dem Geruch des Holzes vermischen, ist das ein Höhepunkt für die Sinne.“
 
Dölf Pfister erinnerte sich dann an jene Ausbildung im Tessin, mit der alles begonnen hatte: „In diesem Kurs kamen noch nicht sehr viele der Eindrücke, welche ich Eingangs beschrieben habe, heraus. Vielmehr brauchte es etwas Mut, das erste Mal das Werkzeug anzusetzen, hatte uns doch unser Drechsellehrer gesagt, dass bei falscher Handhabung des Werkzeugs schon einmal ein Stück Holz wegfliegen könnte, was, wenn es in die falsche Richtung fliegt, schon einmal ein blaues Auge oder einen verstauchten Finger geben könne. Auf jeden Fall kamen wir nach den 3 Tagen im Tessin stolz und zufrieden mit ein paar kleinen Schälchen und Holzgriffen nach Hause, reich mit neuen Eindrücken befrachtet.“
 
Die Geschichte des Drechselns
Der Referent umrahmte seine ansteckende Begeisterung für das Drechseln mit einigen geschichtlichen Hinweisen, denen er die Duden-Definition voranstellte: „Mit dem Drechseln wird einem Körper, welchem auf der Drechselbank eine Drehbewegung mitgeteilt wird, durch Anwendung schneidender Werkzeuge eine bestimmte Form gegeben.“
 
Phidias (Pheidias), der um etwa 500 vor unserer Zeitrechnung geboren wurde und als bedeutendster Bildhauer der Antike gilt, führte Drechseln in Athen ein. Weitere wichtige beziehungsweise begeisterte Drechsler waren Alexander der Grosse (365–323 v. u. Z.), Peter der Grosse, russischer Zar (1672–1725), Kaiser Rudolf II. (1552–1612) und auch Rudolf von Habsburg (1218–1291). Selbst Martin Luther, der Reformator (1483–1546), war ein fleissiger Drechsler. Und der Magnus (lateinisch: gross) gehört zweifellos zu diesen Grossen, was die Handhabung der Drechslerwerkzeuge anbelangt, wie ich als Zuhörer beim Betrachten der dünnwandigen Schalen dachte.
 
Schönheit liege im Auge des Betrachters, sagte der Referent Pfister noch. Jedem Betrachter der Werke von Magnus Würth werde klar, „dass hier nicht nur Technik, Handwerk und Können drin stecken, sondern sehr viel Kreativität, Herzblut und Liebe zum Detail, verbunden mit Geduld, Hoffen und Bangen und manchmal auch Enttäuschung, wenn es eben nicht ganz so herausgekommen ist wie man eigentlich wollte.“
 
Eisenplastiken
Diesen treffsicheren Ausführungen ist beizufügen, dass genau dasselbe auch auf die ausgestellten Stahl- und Eisenplastiken zutrifft, die oft einen Bezug zum Feuer und zum Licht haben: Kerzenständer, Lampen, ein auf einer Kante stehender, oben stumpf ausfransend geöffneter hohler Würfel, dessen Zweck einige Holzscheite in seinem Inneren markierten. Auch hier ist das Material entsprechend seinen Eigenschaften behandelt: poliert und daneben aufgerissen – ein kunstvolles Spiel mit Strukturen, die dem gleichen Werkstoff verschiedene Aussagen entlocken. Magnus Würth beherrscht neben dem Drechseln also auch das Schweissen und Schneiden. Und bei unserem Besuch bei Vera und Magnus Würth in deren hoch über dem Wynentalboden gelegenen Heim im Sommer 2007 erhielt ich einen Eindruck von Magnus’ unwahrscheinlicher Schaffenskraft. Das Einfamilienhaus entwickelt sich aussen und innen zu einem Kunstmuseum voller Leben, in das auch lebendiges Wasser, Pflanzen und die Gestaltungsmöglichkeiten des Lichts einbezogen sind – selbst Insekten leuchten dort oben.
 
Bei der Ausstellung auf Schloss Liebegg konnte ich mir eine runde Schale aus einer umgedrehten Wurzel von einem Baum oder Strauch, den wir noch nicht bestimmen konnten, sichern (250 CHF). Der breite Rand besteht aus dem von den Wurzelverankerungsmechanismen geschaffenen Relief, und im Halbrund der Höhlung ist ein dunkler Einschluss. Der ganze Einfallsreichtum der Natur ist hier offen gelegt worden.
 
Alain Mieg
Die Ausstellung dauert noch bis Mittwoch, 5. Dezember 2007. Gleichzeitig (und bis zum 9.12.2007) zeigt der Maler Alain Mieg, Lenzburg, seine Werke zum Thema „Himmel und Wolken auf Schloss Liebegg“. Die Motive der Bilder sind die Weite, die Ferne, sich auflösende Horizonte. Sehnsüchte unter dem zart blauen Firmament (www.alainmieg.com).
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„Märchen, noch so wunderbar, Dichterkünste machen’s wahr“, dichtete Johann Wolfgang von Goethe im „Motto zu den Balladen“. Seit dem Besuch auf der Liebegg weiss ich, dass auch Beleuchter, Drechsler, Schweisser und Maler an diesem Wahr-Machen beteiligt sind.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog zum Schloss Liebegg
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