BLOG vom: 16.01.2008
Aufschüttungen: Landschaften unter Druck und Dreck (2)
Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
Am 27. November 2007 berichtete ich in einem Blog, wie mir ob der unbewilligten Aufschüttungen entlang meines Arbeitswegs von Oberzeihen AG nach Aarau der Kragen platzte und ich den Behörden und der Presse schrieb. Jetzt, nach bald 2 Monaten, stellt sich die Frage: Wie bringe ich meinen geplatzten Kragen wieder zu? Ich frage mich: Wer interessiert sich im Alltag schon für Landschaft? Nach meinen langjährigen praktischen Erfahrungen wage ich zu behaupten: praktisch niemand. Sogar die zuständigen Behörden auf Stufe Gemeinde und Kanton versinken lieber wieder in Lethargie und bauen Barrikaden aus Gesetzen und Ausreden, als dass sie wegen solcher Lappalien Krach mit potenten Mitbürgern und Steuerzahlern riskieren würden. Und so ist nach 2 Monaten mein Kragen immer noch weit offen.
Dabei ist es „auf dem Land nicht so, dass niemand etwas weiss, wenn die Behörden nichts sagen. Gerüchte und inoffizielle Informationen verbreiten sich schnell. Man muss nur die Ohren offen halten und etwas warten können“ (Blog vom 27. November 2007). Diese Aussage bestätigte sich schon am gleichen Tag.
Auf meinem Arbeitsweg hält mich am strahlend schönen Morgen bei ziemlicher Kälte der gut bemantelte Seniorchef der Firma, die Erdbauarbeiten macht, auf. Er wohnt in einem alten Bauernhaus auf dem Sulzbann (Densbüren), mitten in den Wiesen und Äckern, wo regelmässig Aufschüttungen „passieren“. Freundlich, aber bestimmt, winkt er mit der Hand dem Auto auf und ab, so wie es Ordnungshüter tun, wenn sie jemanden zum langsamen Fahren anhalten wollen. Ich halte ebenso freundlich an, lasse die Seitenscheibe elektrisch-elegant herunter, und schon streckt der Herr den Kopf ins Auto: „Sie, Herr Keller…“. Bevor er weiterfahren kann, unterbreche ich ihn in guter populistischer SVP-Manier: „Das letzte Mal hast Du mir noch Du gesagt.“ Sofort wechselt er auch auf Du: „Das mit dem Schreiben in der Zeitung und in alle Welt, das haben wir hier nicht gern.“ Als ob ich das so behauptet oder angenommen hätte. „Weisst Du, mit mir kann man reden.“ ‒ „Ich wusste nicht, dass Du zuständig warst, ich habe die mit ,Deiss Herznach’ angeschriebenen Lastwagen erst gesehen, als ich schon geschrieben hatte. Und überhaupt, ich dachte, das mit den Auffüllungen ohne Bewilligung hätten wir früher schon geregelt: Ich habe Dir gesagt, dass mir auf meinem Arbeitsweg nicht gleichgültig ist, was passiert.“
Dann entspann sich das normale Ping-Pong zwischen dem pensionierten Unternehmer und mir. Kein Argument, das nicht auch noch in die Diskussion geworfen werden könnte, garniert mit Unschuldsbeteuerungen, Hinweisen auf andere Beispiele, Unfähigkeiten, Steuerzahlern und und und ... Höflich und mit einem gewissen Spass am Diskutieren bleiben wir einander nichts schuldig. Er redet von sich aus sogar von Aufschüttungen, die ich in meinen Anzeigen noch gar nicht erwähnt habe, weil sie im Wald, am Waldrand oder in einem Bachtobel stattfanden. Er weiss doch alles. Er ist engagiert, und für mich ist es wieder einmal eine Lektion in Heimatkunde und Pflege der Nachbarschaft.
Wir beide sind in der Sache völlig unbelehrbar – und lernen doch von einander. Ich glaube es wenigstens und hoffe, dass er begriffen hat, dass es tatsächlich alle Jahre weniger Schlüsselblumen gibt. Ich lerne, wie man unverblümt behauptet, von Thema zu Thema abschwenkt, und wie man einigermassen gelassen der kommenden Dinge harrt. So kleine Aufschüttungen wird man weiterführen in der Gewissheit, dass die maximal zu erwartenden Folgen sehr bescheiden sein werden.
Ich erfahre viele Details über die Aufschüttungen und die beteiligten Leute. „Von Schinznach Dorf stammt das Material. Statt zu deponieren und Gebühren zu zahlen bringen wir das für das gleiche Geld dem Bauern. Du weisst selber, er kann kein Baugesuch schreiben.“ ‒„Dann hilf ihm doch.“‒ „Nein, nein, der Grundeigentümer muss das selber machen.“ ‒ „Wieso hast Du dann am andern Ort mit Zuführen aufgehört?“ ‒ „Der Lastwagenchauffeur hat am falschen Ort abgeladen.“ ‒ „Dafür hast Du einen Bagger da hinauf gekarrt und ihn wieder abgeholt? Und das mit dem Chauffeur glaubst Du ja selber nicht. Wenn ich nicht gewesen wäre hättest Du noch viel gebracht.“ ‒ „Ja und jener, der anderswo mehr gebracht hat als ich?“ ‒ „Ich bin nicht Polizist, aber das ist mein Arbeitsweg. Zeige doch selber einmal jemanden an.“ So geht das Gespräch hin und her, bis ihm seine Frau winkt: „Ich glaube, Du musst gehen.“ ‒ „Ja, ja, in die Therapie.“ Und so fahre ich weiter an meine Arbeit.
Dann bekomme ich von unbekannter Seite Einsicht in Verfügungen des Gemeinderats von Densbüren AG (Bezirk Aarau). Ich staune und freue mich, dass etwas verfügt wurde. Meine Aktivitäten waren also doch nicht vergebens. Noch mehr staune ich aber darüber, wie sich die Tatbestände in den Verfügungen von meinen Wahrnehmungen (wer Material abgeladen hat) vor Ort unterschieden. Erstaunlich auch, wer wem wo was auf sein Land kippt oder kippen lässt. Und in jeder Verfügung stehen zuerst prominent mein Name und meine Adresse als Anzeiger. Davon und wer alles mit diesen „Dokumenten“ bedient wurde, hätte ich ohne die Indiskretion keine Ahnung. Dass ich die Anzeige gemacht habe, dazu stehe ich, dass ich aber nicht orientiert werde, wem das in offiziellen Schriften alles kund getan wird, das finde ich nicht in Ordnung. Ich schicke halt wieder E-Mails.
Ich frage beim Gemeinderat nach. Der Gemeindeschreiber gibt mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren keine Auskunft, erhöht aber den Verteiler des Mails. Auf Nachfrage verweist er auf das kantonale „Gesetz über die Strafrechtspflege (Strafprozessordnung, StPO)“ vom 11. November 1958 und verweist mich ans Bezirksgericht Aarau. Das Gesetz umfasst 252 Paragraphen, aus denen ich selber heraussuchen kann, welche auf meinen Fall zutreffen könnten. Der Gemeindeschreiber von Densbüren jedenfalls verzichtet auf die Mühe, mich zu beraten. Offenbar habe ich den Behörden mit meinen Aktivitäten Arbeit und Ärger bereitet, obwohl nicht ich ohne Bewilligung an 5 verschiedenen Orten Material abgelagert habe.
Etwas später sehe ich einige Leute bei einem der Tatorte in der Landschaft stehen und diskutieren. Sie bereden die Sache. Vielleicht passiert dann doch noch etwas. Der eine Landbesitzer wurde angehalten, ein nachträgliches Baugesuch einzureichen. Ein Landbesitzer wurde angewiesen, das Material zu entfernen; er kann aber gegen den Entscheid des Gemeinderates Beschwerde machen. Der Werkhof der Gemeinde (nicht der Grundeigentümer) wird verpflichtet, das deponierte Material zu entfernen und ordentlich zu entsorgen. Beim letzten Fall sind mir keine Anordnungen bekannt. Ein Bagger ist bis heute nicht aufgefahren.
Dann, am Samstag, 22. Dezember 2007, am vorweihnachtlichen Küchentisch, bekomme ich ein Telefon von der Regionalpolizei Frick: Ein netter Herr möchte mit mir ein ordentliches Protokoll meiner Anzeigen aufnehmen: „Wenn wir etwas machen, dann machen wir es richtig.“ Deshalb müssen wir warten bis im neuen Jahr, denn jetzt ist keine Zeit. Ich vereinbare einen Termin, spare mir die Fragen für später auf: Warum erst jetzt? Wer hat Sie informiert/angewiesen? Ich vermute, jemand habe eine Beschwerde gemacht. Und dann hat die Behörde festgestellt, dass ein Protokoll fehlt. Wieso bin ich jetzt wieder im Verfahren? Ist nicht der Gemeinderat zuständig?
Am 4. Januar 2008 sehe ich das Baugesuch für die eine der Ablagerungen in der offiziellen Mitteilung der Gemeinde Densbüren publiziert. Wenigstens das. Ich sehe ja ein, dass die Entfernung des deponierten und verteilten Materials mehr schadet als nützt. Natürlich hätte der Besitzer dafür nie eine Baubewilligung erhalten, wenn er vorher gefragt hätte. Interessanterweise ist es der Bauer mit der kleinsten Hoffläche, der am klarsten „verknurrt“ wurde und der am raschesten reagierte. Ich bin gespannt, ob der Volksmund („Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen“) in Sachen Aufschüttungen Sulzbann Densbüren eine weitere Bestätigung erhält oder nicht. Für mich ist dieser Fall – im Gegensatz zu den übrigen 3 Fällen – erledigt.
Am 9. Januar 2008 erscheine ich vereinbarungsgemäss bei der Regionalpolizei in Frick. Ich werde empfangen und sofort in ein karges Zimmer mit einem Computer, einem Tisch und zugezogenen Jalousien gebeten. Gespannt harre ich der Dinge, die da kommen werden. Zuerst werde ich gebeten, einen Gesetzestext zu lesen. Sinngemäss zitiert stand dort, dass derjenige, welcher gegen Behörden und Amtsstellen falsche Anschuldigungen erhebe, mit Haft oder Busse bestraft werden könne. Na gut. Was hat das mit mir zu tun? Nun, es gibt irgendein Protokoll der mobilen Einsatzpolizei, die den Fall abklärte, wo ein Zeuge aussagte, ich hätte gesagt, die Behörden und Amtsstellen machten nichts. Ich bekam weder das Protokoll noch Umstände und Name des „Zeugen“ zu Gesichte. Irgendwie bin ich jemandem zu nahe getreten: „Natürlich habe ich das gesagt und in den Mails auch angetönt. Die Aussage bezieht sich aber auf die zahlreichen Aufschüttungen im Sulzbann in den letzten Jahren. Sowohl der Gemeinderat als auch die kantonalen Amtsstellen haben mir damals beschieden, dass alles korrekt sei, was es natürlich nicht gewesen ist.“ Danach begann die Erstellung des Einvernahmeprotokolls, so wie ich es seit meiner Militärdienstzeit in lebhafter Erinnerung habe – mit dem kleinen Unterschied, dass damals ich die Fragen stellte. Fragen zur Person, zur Ausbildung, Tätigkeit, Motivation und zu den Anklagepunkten selber. In etwas holperigem Deutsch konnte ich u. a. zu Papier geben, dass auch der Materiallieferant in die Untersuchung einbezogen werden müsse: Für den Aushub braucht er ja auch eine Bewilligung. In dieser stehen sicher Auflagen, wie das Material zu verwenden ist. Wenn dem so ist, macht sich der Lieferant doch strafbar, wenn er an einem Ort ohne Baubewilligung deponiert. Das leuchtete dem Polizisten ein. Ich versorgte ihn mit den notwendigen Mail-Texten, Fotos und einer Karte mit den restlichen drei Tatorten. „Was muss Ihrer Meinung nach passieren?“ ‒ „Das kann ich Ihnen sehr genau sagen: Das Material in den Landschaftsschutzzonen und an Hecken (2 Stellen) muss wieder abgeführt werden, für die dritte Stelle will ich ein Baugesuch sehen, wie es der andere Bauer auch machen musste.“
Als alles fein säuberlich im Computer war, erfolgte der Ausdruck in einem andern Raum. Ich wartete und wurde gebeten, jede Seite durchzulesen und zu unterschreiben: „Wir wollen nicht, dass sie nachher sagen, das hätten sie nicht gesagt.“ Also unterschreibe ich fleissig und betone nochmals und nochmals, dass er versichert sein könne, dass der Fall für mich erst abgeschlossen sei, wenn der Dreck wieder weg oder ordentlich bewilligt sei – Unterschriften hin oder her.
Dann kommt der Vorgesetzte ins Zimmer. Er hat ebenfalls einen Ausdruck in den Händen, und er hat ihn auch gelesen. Er dankt mir, dass ich mir die Zeit genommen habe, extra nach Frick zu kommen. Für mich ist das wiederum Heimatkunde. Ich frage: „Warum erst jetzt? Hat jemand gegen mich eine Beschwerde gemacht?“ Die Polizisten wollen nichts sagen. Was glauben sie, wie ein einfacherer Bürger als ich je eine solche Anzeige machen könne? Das ist doch schlichtweg unmöglich, chancenlos gegen eine Gemeinde oder eine Amtsstelle. „Wissen Sie eigentlich, was auf dem Land alles passiert? Warum musste ich nach Frick? Die Tatorte befinden sich doch im Bezirk Aarau?“ ‒ „Das ist eben neu. Die Regionalpolizei deckt einen geographisch andern Raum als die Bezirke ab.“ ‒ „Ah, so wie es Napoleon mit dem Kanton Fricktal schon einmal wollte?“ Ihre interessierten Blicke animieren mich zur Frage: „Kennen Sie eigentlich mein Buch ,Bözberg West – Landleben zwischen Basel und Zürich’“? ‒ „Nein, noch nie gehört.“ ‒ „Wie wollen Sie dann Polizisten in so einer komplizierten Region sein, wenn Sie das Buch nicht kennen?“ Darauf wissen sie auch keine Antwort.
Ich versprach ihnen, jedem ein Buch zu bringen – was ich inzwischen auch getan habe. Ich nehme an, das werde nicht als Bestechung ausgelegt werden. Nach gängiger Usanz dürfen Amtspersonen bei Einladungen das, was sie essen und trinken können, zu sich nehmen, ohne in Erklärungsnöte zu gelangen. Wenn es Schwierigkeiten gibt, müssen die beiden Polizisten die Bücher nach dem Lesen halt aufessen. So, bitte wieder mehr Ernst! Ich kann aber versichern, dass ich die Regionalpolizei komisch aufgekratzt und fast ein wenig gereizt verliess. Was geht wohl hinter den Kulissen vor?
Was in der Landschaft passiert und was Rechtens ist, wissen sowohl die Insider der Landschaft, die Eingeborenen und die Tätigen. Weil im vorliegenden Fall offenbar das Mass des Ortsüblichen doch überschritten wurde, hat der Gemeinderat etwas unternommen. Bisher ist die getroffene Lösung aber bestenfalls als halbbatzig zu bezeichnen. Und der Informant und Anzeiger steht mindestens so prominent und blöd in irgendeinem unbekannten Verfahren wie die verantwortlichen Akteure selber. Wäre es nicht viel einfacher gewesen, alle zu einem Augenschein und Entscheid vor Ort einzuladen und die Fälle zu erledigen?
Nun, die Angelegenheit auf meinem Arbeitsweg wird weitergehen, solange der deponierte Dreck unbewilligt die Landschaft und die Behörden unter Druck setzt. Die SVP hat schon Recht: Es gibt Gesetze und Verantwortliche genug, man sollte sie nur anwenden.
Affaire à suivre.
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