Textatelier
BLOG vom: 05.02.2008

Mosen am Hallwilersee: Auslaufmodell mit schönem Auslauf

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das Hallwilerseegebiet hat mich schon immer fasziniert, weil es eine sanfte Landschaft ist. Das prägende Element, der See, folgt dem Verlauf der Hügellandschaft. Da ist nichts Queres und Spektakuläres dabei – die Übergänge vom Wasser zum Land sind fliessend. Der maximal 48 m tiefe Hallwilersee ist eine friedliche Wanne, die den Betrachter beruhigt und erbaut. 5/6 davon sind im Aargau, 1/6 im Kanton Luzern.
 
Solch ein Gebiet voller Anmut ist natürlich einem enormen Überbauungs- und Erholungsdruck ausgesetzt, und folglich gibts hier seit Menschengedenken heftige Auseinandersetzungen, um die verschiedenen Interessen, zu denen selbstredend auch die naturschützerischen gehören, unter einen Hut bzw. in ein Dekret zu bringen. Bis 1859 hatte das breite Volk kaum eine Chance, an den Hallwilersee zu gelangen. Und 1935 wurde ein Dekret zum Schutz der Uferzonen erlassen, mit dem vor allem weitere Bauten verhindert werden sollten. Doch die bestehenden, einst rechtmässig erstellten Privatbauten wie Ferienhäuser (auch Anlagen von Bootsbesitzern) konnten nicht einfach abgetragen werden; dies hätte den Schutz des Eigentums verletzt. Es brauchte eine gehörige Portion von diplomatischem Feingefühl, das noch lange nicht am Ziel ist, wie noch darzulegen sein wird.
 
Das ist Mosen
Am Südende des 8,4 km langen und maximal 1,5 km breiten Hallwilersees liegt die kleine Gemeinde Mosen (Kanton Luzern) im planierten Seetal; die Hügelzüge Erlosen im Westen und Lindenberg im Osten halten sich in respektvoller Distanz. Bei meiner Exkursion vom 31.01.2008 rüstete ich mich auf der Gemeindekanzlei Mosen mit dem nötigen Lokalwissen auf. Der Gemeindeschreiber Walter Schmid, ein temperamentvoller reifer Herr mit Schalk und am Rande des Pensionsalters, schien etwas zu staunen, als eine fremde Gestalt sein Büro betrat, das an Donnerstagnachmittagen jeweils offen ist. Doch wie alle Gemeindeschreiber freute er sich, dass sich jemand ausgerechnet für seine Gemeinde interessiert. Er sei ein Auslaufmodell – und die Gemeinde auch. Denn am 01.01.2009 fusioniert Mosen (275 Einwohner, 1,75 km2) mit Hitzkirch (ebenso Gelfingen, Hämikon, Müswangen, Retschwil und Sulz); am 21.05.2006 stimmte Mosen mit 79,9 % dem Anschluss deutlich zu. Wenn es so weit sein wird, geht W. Schmid, der Verwalter von Hildisrieden war und die Einwohner von Mosen seit 4 Jahren verwaltet, in den Ruhestand.
 
Doch kurz bevor es so weit ist, machte er mir noch schnell eine Fotokopie von einem Text unter dem Titel „Mosen. Klein aber fein“. Darin ist die idyllische Landschaft am untersten Zipfel des Luzerner Seetals als „fast magischer Anziehungspunkt“ beschrieben. Deshalb hat sich dort das Camping Seeblick etabliert, das im Sommer (von April bis Oktober) etwa 500 treue Gäste anzieht, und auch Badelustige, Fischer, Segler, Spaziergänger und Wanderfreudige strömen herbei. Mosen hat zudem einen eignen Bahnhof an der 1883 eröffneten Seebahnstrecke und einen kleinen Hafen, an dem zwischen März und November regelmässig ein Kursschiff der Schifffahrtgesellschaft Hallwilersee anlegt. Arbeitsplätze bieten verschiedene Gewerbebetriebe und die etwas ausserhalb des Dorfs angesiedelte Peka-Metall AG an, die über 100 Personen beschäftigt.
 
In der Ortsgeschichte spiegelt sich die grosse europäische Geschichte: Mosen wurde 1045 als „Moseheim“ erstmals im Schutzbrief des deutschen Königs König Heinrich III. (ab 1046 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs) für das Chorherrenstift Beromünster und dessen Besitzungen erwähnt. Um 1300 gehörte Mosen zum österreichischen Amt Richensee. Der Ort gelangte nach der Eroberung des habsburgischen Seetals durch die Luzerner 1415 unter die Verwaltung der eidgenössischen Orte und 1803 an Luzern. Und nun steht der Anschluss an Hitzkirch bevor. Dem uralten Speicher in der Nähe des Gemeindehauses wäre eine Renovation lieber als eine Fusion, welche die Geschichte von Mosen soeben um ein weiteres Kapitel bereichert.
 
Dermassen informiert, machte ich mich auf die Piste. Der breite Campingplatz versperrt einen Teil des Seeufers, doch kann man bald einmal zum kleinen Hafen abzweigen, wo eine mächtige Trauerweide und die im Gegenlicht glänzenden Schilfwedel wie die Attribute für ein Gemälde in Erscheinung traten. Beim Hafen sind viele schwimmende Bootsanlagestellen eingerichtet, alle Boote aber sind im Winterschlaf. Ein Strahlenkranz aus gefährlichen spitzen Metallstiften schreckt vom Gang auf den schwimmenden Steg ab.
 
Das Hafenareal ist vom Pro-Natura-Schutzgebiet Altmoos und Hallwilerseeufer umgeben, welches von Schwarzenbach LU bis nach Aesch reicht. Der Wanderer, der sich am rechtsseitigen Seeufer Richtung Aesch bewegt, wird vom See abgedrängt. Ein „Allgemeines Verbot“ auf einer verwaschenen Tafel, unterzeichnet vom Amtsgerichtspräsidenten von Hochdorf (29. April 1994), sagt, worum es geht: „Auf Verlangen der Genossenschaft der Ferienhausbesitzer Wierenmatte, Mosen, wird allen Unberechtigten verboten, die Grundstücke Nr. 3 und 183, Grundbuch Mosen, Wierenmatte, mit Fahrzeugen aller Art zu befahren und diese Parzellen ausserhalb des darauf befindlichen öffentlichen Fussweges (Mosen Aesch) zu betreten. Zuwiderhandlungen werden nach § 8 EG zum StGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch) mit Haft oder Busse bestraft.“
 
Im Gebiet zwischen Mosen und Aesch werden Lektionen hinsichtlich verschiedener landschaftsnützerischer und -schützerischer Anstrengungen erteilt. Die neuesten Luzerner Schutzverordnungen Hallwilersee und eine vorsorgliche Verfügung zum Schutze des Altmoos beruhen auf den Regierungsbeschlüssen vom 28.05.1962, 24.01.1966, 31.03.1969 und 27.06.1980. Darnach dürfen die Schilfgürtel nicht geschädigt werden. Zudem sind Veränderungen des Wasserhaushalts und Drainagen ebenso verboten wie Terrainveränderungen und die Düngung der Riedflächen. Denn der Hallwilersee, der nie so richtig durchgespült wird, kränkelt seit Menschengedenken unter dem Zuviel an Dünger (Eutrophierung), worunter selbst die Felchen leiden, und dafür profitieren die Brachsmen. Der See wird seit 20 Jahren künstlich belüftet (beatmet). Aber noch immer gelingt trotz der an sich positiven Resultate die natürliche Fortpflanzung der Felchen nicht. Seit 2001 werden die Landwirte um den See im Rahmen eines Phosphorprojekts finanziell unterstützt, d. h. zu einem zurückhaltenden Düngereinsatz motiviert.
 
Spaziergang nach Aesch
Der Wanderweg vom Mosener Hafengebiet nach Aesch überquert den Aabach, der als Hauptzufluss zum See gilt, und ein paar Schritte nachher den Altwiserbach, der aus Altwis etwas Wasser heranführt. Zahlreiche weitere bescheidene Bäche und Entwässerungsgräben münden in den See; einer der Gräben war rostrot, was auf den Eisengehalt im Moorboden hinweist; zweiwertige Eisenverbindungen werden durch Eisenbakterien zu dreiwertigem Eisenoxid = Rost oxidiert; ich habe dieses Phänomen im Aargauer Reusstal (beim Kloster Hermetschwil) kennen gelernt.
 
Der Wanderweg führt dann aufs offene Feld, wo Menschen mit einem Herz für Tiere in einem Holzrahmen ein Bild mit Text aufgestellt haben: „Wo sind die Hasen im Winter?“ Die Antwort von Susanna Geissbühler, Natur und Landschaft, uwe (Umwelt und Energie) Luzern, und Benno Affolter, lokaler Schutzgebietsbetreuer: „Als ursprüngliches Steppentier hat es der Feldhase gerne trocken und warm. Trotzdem lebt er bei uns auch auf nassen Riedern und am Seeufer, weil er dort weniger gestört wird als auf dem offenen Feld. Im Winter findet er natürlich weder Klee noch frische Kräuter. Dann begnügt er sich halt mit junger Rinde oder mit Knospen. Seine Nahrung sucht er vor allem nachts. Am Tag ruht er in einer windgeschützten Bodenmulde. Er ist ständig fluchtbereit, sogar im Schlaf erkennt er verdächtige Geräusche. Je weniger er aufgestöbert wird und flüchten muss, umso eher überlebt er den Winter und kann im Frühling für neue ‚Osterhäsli’ sorgen. Darum DANKE allen HundehalterInnen, die ihre Lieblinge im Naturschutzgebiet an die Leine nehmen!“
 
Das ist schön gesagt. Ich dachte dankbar noch an diese Belehrung, als mich in Unteraesch 2 frei umherstreunende Hunde anbellten – aber das war nicht mehr im Naturschutzgebiet, und die Hunde wohnten dort. Ich ging frontal auf sie zu, zeigte mich unerschrocken bis angriffslustig, worauf sie einen grossen Bogen um mich machten und bald anderes zu tun hatten.
 
Auf dem Weg dorthin grüsste die Kirche St. Luzia hinter einem lang gezogenen Band von Föhren mit dem roten Zwiebelturm hervor, der mich daran erinnerte, dass in unserer Küche gerade die Zwiebeln ausgegangen sind. Ich nahm aber nicht den Zwiebelturm mit, sondern kaufte dieses herrliche Gemüse später in einem der zahlreichen Ab-Hof-Verkäufe, die es in Aesch und Mosen gibt (4 mittelgrosse Zwiebeln kosteten total 1 CHF), und ich nahm bei der Rückkehr in Mosen gleich noch ein Gläschen Erdbeer-Rhabarber-Konfitüre mit (3 CHF), die etwas dünn geraten ist, aber einen intensiven Beerengeschmack hat.
 
In Aesch
Der Spaziergang von Mosen nach Aesch dauert bloss 25 Minuten, und von hier aus wären es auf dem Seeuferweg noch 2 Stunden und 10 Minuten zum Schloss Hallwil gewesen. Der ganze Seerundgang beträgt etwa 22 km und dauert etwa 6 Stunden.
 
Der Wanderweg führt in Aesch an der Rosenkultur Kiener mit den umfangreichen Treibhäusern und der Vieh - und Schweinehandlung Häberli vorbei, und im Dorf hatte ich das Gefühl, der kanalähnliche Vorderbach erhalte ein etwas naturnaheres Ufer; aber wahrscheinlich waren das einfach Renovationsarbeiten.
 
Mir lag es daran, einen Eindruck von Aesch zu gewinnen, das die Fusion mit Hitzkirch 2006 knapp abgelehnt hat. Wirklich attraktiv ist hier das Ensemble von katholischer Kirche mit der Turmuhr und einer Sonnenuhr auf der Seite, die dem Friedhof zugewandt ist, mit Pfarrhof und -scheune (Mosen gehört zur Pfarrei Aesch). Auf der Sonnenuhr liest man SICUT UMBRA DIES NOSTER, wahrscheinlich aus Hiob 8,9 (Sicut umbra diese nostri sunt super terram = Wie ein Schatten sind unsere Tage über der Erde), eine vieldeutige Aussage, die auf Vergänglichkeit oder/und auf eine Verdüsterung durch tragische, anthropogene Ereignisse hinweisen könnte.
 
Das 1776 erbaute und 1977 restaurierte Pfarrhaus hat als Holzhaus vom Typus der steilgiebeligen Bauernhäuser mit umlaufenden Klebdach (Vordach über der 1. Etage) einen ganz anderen Charakter als die Kirche; verschiedene architektonische Welten haben sich hier zusammengefunden.
 
Ich nutzte die Gelegenheit, endlich wieder ans Seeufer zu gelangen und begab mich also zum Hafen Aesch, der im Gegensatz zur Sonnenuhr noch nicht im Schatten der untergehenden Sonne lag. In der Nähe der braunen Ansammlungen von Schilfhalmen sind schwimmende Stege, welche den Uferbereich zum Schwimmbad machen und zur Befestigung von Booten dienen. Auch eine Anlegestelle für die Hallwilersee-Kursschiffe ist vorhanden. Befremdend wirkt nur der Stacheldraht, der das verschlossene Tor zur Bootsanlegestelle auf beiden Seiten und oben einrahmt. Solche martialische, grimmige Massnahmen sind eines Erholungsgebiets unwürdig. Wie aus der begleitenden Tafel hervorgeht, hat das die Einwohnergemeinde Aesch als Eigentümerin des Seegrundstücks so veranlasst – bei Androhungen von Haft oder Busse. Sogar die Stockentenpaare, die sich hier aufhielten, schüttelten vor solchen Drohgebärden ihre Köpfchen. Landeinwärts befindet sich eine Erholungswiese mit allem Komfort wie Bänken, einem Toilettengebäude, Rutschbahnen für Kinder usw.
 
Zurück nach Mosen
Es war Zeit, den Rückweg nach Mosen anzutreten, den ich übers Gewerbegebiet Käppeliacher nahm, wo gewaltige Landwirtschaftsmaschinen „New Holland“ und andere Giganten der Agrotechnik mit der Aufschrift „The Best. Unlimited“ standen und die Bauern-Zukunft vorwegnahmen. Ich folgte der Hauptstrasse, wobei ich auf dem Trottoir einer aufgestellten Indianerfamilie mit 2 federgeschmückten Jung-Indianern in einem zweirädrigen Karren begegnete; die Frischlinge schienen etwas müde zu sein. Schliesslich war es der Schmutzige Donnerstag, der als Fasnachtsauftakt gilt. Auf dem Gehweg lagen ein paar vereinzelte Konfetti, womit mein Fasnachtsbedarf gleich gedeckt war.
 
Schliesslich passierte ich noch die Feuerwerk-Fabrik „Läubli Vulkan“, immer noch auf Aescher Boden, die hier seit 1960 in Handarbeit vor allem Vulkane mit langer Brenndauer produziert und diese neben anderem Feuerwerk ab Fabrik verkauft. Also kommen doch nicht alle rauchenden und stinkenden Manifestationen kaum zu bremsender, ungestümer Lebensfreude aus China. Das macht den Rauch etwas erträglicher.
 
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