BLOG vom: 04.02.2008
Das Waldsterben: Kann die Menschheit das Klima retten? (2)
Autor: Heiner Keller, Ökologe. Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ...
Im September 1983 steht Herr Bundesrat Alphons Egli im Wald bei Zofingen und lässt sich vom Aargauer Kantonsoberförster Schäden an Wurzeln, Borke und Wipfeln von Bäumen erklären. Nach jenem Zofinger Presse-Vormittag gehörte der neue Begriff „Waldsterben“ quasi offiziell zum politischen Vokabular in der Schweiz („Weltwoche“, Ecostory 79/2007). Eine ganze Kaskade von Aktivitäten, Studien, Forschungen und Alarmrufen kam in Gang: „Heute stirbt der Wald und morgen der Mensch.“ Wer nicht an diese Botschaft glaubte, wurde als unbelehrbar taxiert oder falscher Absichten bezichtigt. Die Mehrheit der Wissenschafter, die Medien, die Politiker führten die Öffentlichkeit in die Irre und brachten es fertig, dass Forschung und Holzwirtschaft mit Millionenbeiträgen aus der Bundeskasse unterstützt wurden. Und zwar nicht so sehr zum Wohle des Waldes, sondern für die eigene Kasse. Dafür nahm man in Kauf, dass man dem Wirtschaftswald einen Krankheitszustand andichtete, der dringend lebensrettende Pflegeeingriffe durch die Wohlstandsgesellschaft erforderte.
Der Wald steht still und schweiget – wenn man ihn in Ruhe lässt. Das Lassen liegt den Schweizer Förstern nicht so im Blut wie das Wirtschaften, das Machen, das Nutzen, das Pflegen. Unter was für einem Titel das Tun begründet wird, ist egal und austauschbar: Pflege, Verjüngung, Naturschutz, Wirtschaft, Klimawandel, Sicherheit, Nachhaltigkeit. Wegen der sinkenden Holzpreise (z. B. nach Lothar) wurde die Holzerei vielerorts trotz öffentlicher Gelder unrentabel. An meist abgelegenen und unproduktiven Standorten wurden sogar „Waldreservate“, Flächen auf denen in den nächsten Jahrzehnten auf die Holznutzung verzichtet wird, ausgeschieden – gegen Abgeltung natürlich.
Bei der Holzernte machte die Maschinentechnik enorme Fortschritte. Ungetüme bewegen sich im Wald, schneiden, sägen und entrinden Bäume, machen Haufen und shreddern die Biomasse zu Schnitzeln. Die Holzpreise steigen wieder, die Holzproduktion nimmt zu. Holz ist wegen der Wirtschaftslage und des „Klimawandels“ wieder gefragt: Das Verbrennen von Holz gilt per Definition als CO2-neutral. Das entstehende CO2 kann deshalb dem Klima nicht schaden. Auch die Waldfläche wächst. Wo die Menschen in den Alpen kein Holz mehr brauchen für die Käserei und wo sie die abgelegenen Weiden und Wiesen nicht mehr von Jungbäumen säubern, erobert sich der Wald die frühere Fläche zurück. Niemand spricht mehr von den Katastrophenbildern, die ganze Alpentäler ohne Wald zeigten. Es wurden sogar Umfragen gemacht, was den Touristen besser gefalle.
Wo ist das Waldsterben geblieben? „Den Begriff ,Waldsterben’ lehnt die Waldschadensforschung heute kategorisch ab. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, denn dieser Begriff ist nach heutigen Erkenntnissen zu absolut“, schrieb der Glarner Kantonsoberförster Fritz Marti an seine Kollegen. „Das in Osteuropa eingetretene Waldsterben konnte bei uns vorderhand verhindert werden. Dies dürfte unter anderem der Verbesserung der Luftqualität zu verdanken sein. Die Waldschadensforschung hält fest, dass unser Wald zurzeit nicht akut gefährdet ist, warnt aber vor Langzeitschäden durch übermässigen Eintrag von Luftschadstoffen, insbesondere von Säuren und Stickstoff. Die zunehmend einseitige Ernährung der Bäume könnte dazu führen, dass die Anfälligkeit – beispielsweise auf Trockenheit, Käferschäden und Stürme – weiterhin ansteigt.
Angesichts dieser Entwicklung sollte sich eigentlich niemand wundern, dass das Waldsterben analog Osteuropa nicht eintraf. Seien wir alle froh, dass es uns gelang, den dramatischen Anstieg der Luftverschmutzung zu stoppen und eine Verbesserung einzuleiten und glauben wir doch daran, dass es die Verbesserung dieser Luft war, die das drohende Waldsterben verhindert hat. (...) Womöglich sind die gemachten Aussagen wissenschaftlich nicht in allen Teilen erwiesen. Aber mal ehrlich: Wie viel von dem, was uns täglich an Informationen serviert wird, ist denn ,wissenschaftlich erwiesen’? Entscheidend ist, dass wir uns des Langzeitrisikos bewusst sind und die Anstrengungen zur Verbesserung der Luft auch aus der Sicht der Walderhaltung konsequent weiter verfolgen. Und eben diese Forderung verpufft ungehört, wenn wir gleichzeitig überall verkünden: Wir haben uns geirrt – es gibt kein Waldsterben.“
Der Zustand der Luft
Das Waldsterben hat seine Schuldigkeit getan. Die Ängste haben gewirkt, die Gelder sind geflossen. Es wurden aber auch konkrete Massnahmen getroffen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sogar solche darunter waren, die in gewissen Bereichen eine Verbesserung der Luftqualität bewirkt haben. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) widmet dem Thema saubere Luft eine eigene Nummer in seiner Gratiszeitschrift „Umwelt“ (Umwelt 4/07): „Die Luft ist unser wichtigstes Lebensmittel.“
Seit 1980 ist das Jahresmittel von 50 Mikrogramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft dank der Massnahmen auf unter 10 Mikrogramm gefallen. Anteil an diesem Erfolg hatten vor allem die Industrie und schwefelarme Heizöle in den Haushalten. Schwefel wirkt sehr vielfältig in der Natur. Als Pilzgift verhindert er das Wachstum von Pilzen und Flechten. Säuren tragen zum sauren Regen und zur Versauerung von Böden bei. Es ist gut möglich, dass diese Verminderung des Schwefelgehalts in der Luft die Bäume dazu führt, dass die Bäume weniger geschädigt werden. Flechten jedenfalls haben vielerorts in Anzahl und Artenzahl wieder zugenommen.
Übermässige Belastungen der Luft bestehen nach wie vor beim Feinstaub und bei den Stickoxiden. Viel zu hohe Ammoniak-Emissionen stammen aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Heute hat es doppelt so viel Ammoniak und Stickoxide in der Luft wie vor 50 Jahren. Beeinträchtigungen von menschlicher Gesundheit (Risikogruppen), von Nutzpflanzen und Ökosystemen sind nicht auszuschliessen. Die Eutrophierung, die systematische Überdüngung von Landschaft und Gewässern, ist ein „ökologischer Megatrend“. Bäume und Kulturpflanzen wachsen schneller als früher. Dafür verschwinden Pflanzen- und Tierarten, die nur an nährstoffarmen Standorten, in Mooren, Rieden und Blumenwiesen wachsen können.
Die Bekämpfung der problematischen Schadstoffe Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon, die anfangs der 1990er-Jahre noch deutlich zurückgegangen sind, zeigt heute kaum mehr Fortschritte. Die Erfolge der ersten technischen Entwicklungen und Massnahmen zur Luftreinhaltung werden durch die ausserordentlich starke Zunahme der Mobilität zunichte gemacht. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat die Bevölkerung der Schweiz um 500 000 Personen zugenommen. „Gut zwei Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Luftreinhalteverordnung (LRV) gibt es inzwischen keine einzelnen Grossemittenten mehr, deren lufthygienische Sanierung das Mengenwachstum noch überkompensieren könnte“ (Umwelt 4/07, S. 10). Vielmehr tragen Millionen von Einzelquellen zur Luftbelastung bei. Langsam werden wir alle zu Tätern und Leidtragenden gleichzeitig: Wenn Luftschadstoffe bei windarmen Wetterlagen sich am Ort ihrer Entstehung in der Atemluft anreichern, dann steigen in europäischen Städten die Zahl der Spitaleinweisungen und die Todesfälle.
Die Welt ist krank
Die „Weltwoche“ (Ecostory 79/2007) sieht in der Hysterie um das Waldsterben (das nicht stattfand) und den Klimawandel (von dem man das Ende noch nicht kennt) etwas wie eine systematische Verschwörung zur Veränderung der Gesellschaft: „Dennoch hat die Lüge vom Waldsterben in der Schweiz eine einmalige Welle von staatlichen Interventionen ausgelöst, die bis heute Gesetz sind: Die Autos wurden auf Tempo 80/120 abgebremst, in Quartieren setzte sich das Schritttempo durch. Dazu kamen verschärfte und (anfänglich) jährlich kontrollierte Abgasnormen, auch für Dieselfahrzeuge und Töffs, die Katalysatorpflicht, Luftreinhaltekonzepte, Bauvorschriften, Isolationsnormen, strenge Abgasregimes für Öl- und Gasfeuerungen, Typenprüfungen für Heizkessel und Brenner, obligatorische Abgaskontrollen für Heizungen, Vorschriften, Abgaben, Vorschriften, Abgaben. Die Autobahnvignette und Schwerverkehrsabgaben wurden beschlossen und zielstrebig verteuert.
Die Welt ist krank, sehr krank. Die Geschichte wiederholt sich. ,Die Klimaänderung findet statt und hat sich in den letzten achtzig Jahren zunehmend beschleunigt. Sie lässt sich grösstenteils durch die vom Menschen verursachte Erhöhung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre erklären und hat unter anderem steigende Temperaturen, eine Anhebung des Meeresspiegels und schmelzende Gletscher zur Folge’, schreibt Umweltminister Leuenberger in der Nachfolge Eglis in seinem ,Klimabericht’. Basis seiner angeblichen Gewissheiten sind wiederum Studien der Wissenschaftler: Die Sanasilva-Experten wurden durch Prognostiker des Intergovernmental Panel on Climate Change ersetzt. Obwohl die Schweiz, damals wie heute, ein ökologisches Mustermädchen ist, sind ausgerechnet hier dringliche Handlungen angesagt: Beim Waldsterben waren alpine Waldungen ,besonders bedroht,; heute steigt, ohne nähere Begründung, ,in der Schweiz die mittlere Temperatur schneller als im weltweiten Durchschnitt.’
In Tat und Wahrheit zielt der Aktivismus nicht auf den Schutz der Umwelt, sondern auf eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Umkrempelung. Es geht um Umverteilung, um die Verstaatlichung des Verkehrs, um neue Sperren gegen den Autoverkehr, um Schub für die Bahnen, um neue Hindernisse für die hiesige Industrie, um ,Bewusstseinwandel’. Die Schweiz demolieren, um die Welt zu retten, das ist ein politischer Archetyp seit den 68er-Jahren. Was ökonomisch nicht geklappt hat, soll jetzt mit dem grünen Hebel bewerkstelligt werden.“
Damit erleben wir am Beispiel „Waldsterben“ eine ganze Palette von Interpretations- und Kombinationsmöglichkeiten. Man muss übertreiben, damit man gehört wird. Sobald man gehört wird und Gelder fliessen, übertreiben die Profiteure ganz selbstständig und laut, auf dass ihnen die Gelder erhalten bleiben und sich die Gesellschaft nicht andern Themen zuwende. In dieser Phase stehen weniger das Problem selber, als vielmehr die Lieferung und Konstruktion weiterer Beweise und Katastrophenszenarien im Zentrum. Die Klimadebatte, die das Waldsterben ablöste, hat heute dieses Stadium erreicht.
Fortsetzungen folgen: Biodiversität, Wachstum, Ablasshandel.
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