BLOG vom: 12.02.2008
Winterthur im Winter: Wo Kultur und Wissenschaften blühen
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
„Die Beschäftigung mit den Wissenschaften bildet die Jugend,
ergötzt das Alter, verschönt das Glück,
ist Zuflucht und Trost im Unglück,
vergnügt und zu Hause, fällt auswärts nicht zur Last,
vertreibt uns die Nächte, die Zeit auf Reisen und das Leben auf dem Lande.“
Marcus Tullius Cicero, römischer Politiker (106‒43 v. u. Z.)
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Peking, Schanghai, Hongkong, Harare, Kuching, Mombasa, Rom, Paris, Stockholm, Dublin, Budapest, Moskau, Kairo (inkl. das Mülldorf), Solothurn usf. habe ich schon gesehen, aber in Winterthur war ich noch nicht. Mit Bahn oder Auto bin ich schon hundertmal an dieser Stadt vorbei gefahren, sah aber noch nie einen Anlass, dieses ehemalige berühmte Zentrum der schweizerischen Maschinenindustrie (wie dem 1834 entstandenen Unternehmen Gebrüder Sulzer, Giesserei in Winterthur) und mit dem bekannten Technikum, das inzwischen zur Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW geworden ist, zu besuchen.
Nicht nur die Wirtschaftsgeschichte lässt sich sehen: Winterthur war einst die Hauptstadt des umfangreichen kyburgischen Herrschaftsgebiets, das sich von der Saane bis an den Bodensee und vom Jura bis an den Walensee erstreckte. Und wie auch die anderen Kyburgerstädte (Aarau, Frauenfeld, Zug) lehren, wurden in diesem Reich die Städte nach verkehrstechnischen und nicht nach strategischen Überlegungen angelegt (ganz in der Nähe von Winterthur ist das Museum Schloss Kyburg in CH-8341 Kyburg www.schlosskyburg.ch).
Der zügige Verkehrsfluss verleitet einen oft dazu, Perlen am Rand des Verkehrswegs links oder rechts liegen zu lassen (das erlebt der Aargau ununterbrochen). Manchmal muss der Mensch eben zu seinem Glück gezwungen werden. Ich hatte an einer kleinen Expertenrunde in beratender Funktion in der ZHAW teilzunehmen und nutzte die Gelegenheit, um einen Eindruck vom 1877/78 erbauten Technikum Winterthur (Architekt: Theodor Guhl) zu gewinnen. Der Hauptbau, unser Treffpunkt, ist eigentlich die vergrösserte Ausgabe einer Portikusvilla (mit einer vorne offenen Säulenhalle mit seitlichen Eckrisaliten (vorspringende Gebäudeteile). Die Säulenhalle, wie sie zu solchen Bauten gehört, ist hier allerdings zum überdeckten Haupteingang geschrumpft, der über eine Treppe zu erreichen ist – denn hier beginnt ja schliesslich der berufliche Aufstieg. Die Säulen-Symbolik spielt in Winterthur eine tragende Rolle (im Rathaus-Durchgang mit seinem von Arkaden gesäumten Lichthof, vor dem historisierenden, von Gottfried Semper entworfenen Rathaus mit der korinthischen Tempelfront und dem Kunstmuseum). Säulen sind nicht nur als Stützen da, sondern sie sind eine Verbindung von unten und oben, des Bodens und mit den geistigen Sphären, die immer oben angesiedelt sind, zum Beispiel im Kopf des Menschen. Ganz oben. Aber sie sind gelegentlich auch Ausdruck des reformistischen Strebens auf der Basis von Kunst und Wissenschaft.
Wer sollte managen?
Es war an jenem Freitagmorgen, 08.02.2008, um halb 10 Uhr eisig kalt, wo die Sonne nicht Zugang fand. Auch in Winterthur war Winter, allerdings schneefrei. Deshalb floh ich nach einem Blick zum schönen Riegelbau, der Alten Kaserne (heute ein Kulturzentrum) auf der gegenüberliegenden Strassenseite, in den alten Technikumsbau. An der Wärme führte ich mir das aufliegende Prospektmaterial und die Schweizerische Hochschulzeitung „Vision“ zu Gemüte. Darin stiess ich auf einen Artikel des Herausgebers Bernhard im Oberdorf (Synthese-Verlag, Zürich), der sich mit dieser „Grundfrage“ befasste: „Was für Menschen sollten in verantwortungsvolle Positionen gelangen?“ Er weist auf die Schäden hin, die aufgrund von Managementfehlern wegen eines Mangels an der nötigen Erfahrung und Reife bei der Entscheidung und Risikoabwägung entstehen können und fährt fort: „Damit lässt sich unschwer ableiten, dass es zu einer Vertrauenskrise führen könnte, wenn in Bern die Schweiz in Parlament und Bundesrat von jugendlichen Gipfelstürmern regiert würde. Die Kunst muss es viel mehr sein, Menschen in verantwortungsvolle Positionen zu bringen, die sowohl Kreativität, jugendliche Frische, intellektuelle Spannkraft und auch die nötige Reife und Erfahrung in einer Einheit der starken Persönlichkeit zu verbinden vermögen.“ Eine Absage an den Jugendkult. Der gleiche mutige Autor wendet sich in der gleichen Ausgabe (Rubrik: „Stand-pauke“) gegen die Expertokratie – „der Herrschaft politisch motivierter Experten“. Publikationsorgane mit Engagement gefallen mir.
Gleich neben dem Prospekte- und Zeitschriftenaushang im Eingangsbereich steht ein seltener Elektromotor mit einsehbarem Innenleben, ein Antriebsmotor für Keilriemenübertragung der Johann Jacob Rieter AG, Winterthur (Nr. 748, von 1905). Ich studierte und fotografierte dieses technische Meisterstück, neben dem eine Informationstafel mit folgendem Titel ist: „Hohe Entwicklungsinvestitionen, keine Geschäftserfolge“ ‒ offenbar auch hier das Resultat eines Managementfehlers. Der demotivierende Text zur Umgebung, in welcher der Elektromotor entstanden war: „Dreizehn Jahre lang baute die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur ihre Elektroabteilung auf, ohne dass die neue Technik ein Geschäft wurde. 1897 verkaufte die SLM die Elektroabteilung an die Maschinenfabrik Rieter. Rieter baute Elektromotoren für die Industrie, die elektrische Strassenbahn Winterthur und elektrische Zahnradbahnen (Brunnen‒Morschach, Vesuv), verkaufte dann aber die Abteilung 1905 weiter an die inzwischen in der Einphasenwechselstromtechnik führende Maschinenfabrik Oerlikon.“
Das Museale schwindet
Als ich diesen Text und einige Parallelen zum Firmenhandel in der Neuzeit überdachte, sprach mich eine freundliche Person im besten Mannesalter an und fragte, ob ich etwas suchen würde, wahrscheinlich weil mein beschauliches Gehabe nicht dem eines typischen Studenten und Gipfelstürmers entsprach. Ich verneinte die Frage, die wohl einer Mischung aus Neugier und Hilfsbereitschaft entsprungen war, und sagte nein, ich würde bloss die Zeit bis zu einem vereinbarten Treffen hier vertreiben und mir etwas Hochschulatmosphäre einverleiben. Daraus entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch mit Stephan Lüdi, technischer Angestellter und Informatiker (wir stellten uns im Verlaufe des Gesprächs vor), über die Bedeutung von technischen Exponaten für Neuentwicklungen in der Maschinenwelt. Mein zufälliger Gesprächspartner stimmte meiner Erkenntnis zu, dass die Gegenwart nicht ohne die Kenntnis der Vergangenheit verstanden werden kann, und auch bei einem Blick in die Zukunft zeichnen sich die mutmasslichen Konturen deutlicher ab, wenn Vergangenheit und Gegenwart bekannt sind. Im Freien zeigte mir Stephan Lüdi den Ort, wo die „Mühlradlok Ge 2/4 Nr. 205“ der Rhätischen Bahn RhB, 1913 erbaut, bis zum 18. Oktober 2007 gestanden hatte. Es handelte sich dabei um die vermutlich letzte Lokomotive mit einem Repulsionsmotor (Rückstossmotor). Jetzt war davon nichts mehr zu sehen – der Zug war abgefahren.
Nachdem die Lokomotive ausrangiert worden war, wurde sie 1974 aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des Technikums von der RhB der Bildungsstätte geschenkt, wo sie als betriebsfähige Denkmal-Lokomotive auf einem Sockel mit Rollenstand bewundert wurde und gelegentlich das „Treten an Ort“ demonstrieren durfte. Doch das Wetter und wohl auch Standschäden setzten der Lokomotive zu – mit den entsprechenden finanziellen Folgen. Jetzt ist sie in einem gedeckten Unterstand in Arth-Goldau zwischengelagert, und der Club 1889 (www.club1889.ch) bemüht sich um einen neuen standesgemässen Standplatz. Schliesslich gibt es viele Eisenbahnfreunde.
So habe die ZHAW also ein paar Jahrzehnte lang eine museale Funktion übernommen, warf ich ein, und Museen wie Verkehrshaus in Luzern und das Technorama in Winterthur hätten schon eine wichtige Funktion für die Erhaltung historischer Technikobjekte. Das Sammeln trete zunehmend in den Hintergrund, erwiderte Lüdi, dies zugunsten einer Art von Eventkultur. Das Technorama hat z. B. Hunderte von Probierstationen eingerichtet, welche einen Zugang und das Wahrnehmen einer phänomenalen Welt bewirken sollen. Daran kann nichts Schlechtes sein; doch müsste eine Lösung für das Aufbewahren von wichtigen technischen Museumsstücken gefunden werden, die als Objekte des Verständnisses auf die Entwicklungsgeschichte zunehmend Bedeutung erhalten werden.
Vom Technikum zur ZHAW
Anschliessend traf ich Prof. Dr. phil. Ursula Hasler Roumois, eine charmante Dame mit phantasievoll geschwungenem blonden Haar, die nichts Verstaubt-Professorales an sich hat – im Gegenteil. Sie leitet auf dem ZHAW-Rektorat die Online-Kommunikation, befasst sich auch in ihrer Lehrtätigkeit damit und ist selber in einfühlsamen Art kommunikativ. Ich lernte die Technikumsgeschichte kennen, die ich auch auf der Grundlage eines ZHAW-Prospekts hier aufzeichne, der wissenschaftlichen Genauigkeit wegen.
Das Technikum, 1874 gegründet, wurde zur Technikum Winterthur Ingenieurschule (TWI), welche die Departemente Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen sowie Technik, Naturwissenschaften und Informatik umfasst. Das Departement Angewandte Linguistik hatte seine Ursprünge in der Dolmetscherschule Zürich (DOZ). Aus der 1968 entstandenen Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule Zürich (HWV) ging das Departement Wirtschaft und Management hervor. Sie wurden 1998 zur Zürcher Hochschule Winterthur (ZHAW) zusammengeschlossen (www.zhaw.ch ). 2006 kam mit dem Departement Gesundheit ein neuer Fachbereich hinzu. Die 5 Hochschuleinrichtungen sind an 4 zentrumsnahen Standorten in der Stadt Winterthur angesiedelt, die seit September 2007 zur ZHAW zusammengefasst sind (weitere Standorte sind in Zürich/Dübendorf und Wädenswil).
Allein schon das Verständnis dieser wechselhaften Geschichte ist eine geistige Herausforderung, ein Hirntraining sozusagen; ich hatte in den letzten Jahren irgendwo den Faden verloren. Aber jetzt bin ich wieder auf der Höhe, auch was die Studentenzahlen anbelangt: Rund 6000 Studenten sind in 25 Bachelor-Studiengängen immatrikuliert; der Begriff Bachelor wurde aus den angloamerikanischen Ländern importiert – es handelt sich um den niedrigsten akademischen Grad; auf Europa hat er im Rahmen des Bologna-Prozesses übergeschwappt (europäischer Beitrag zur Globalisierung des Hochschulwesens). Zudem bieten rund 30 Weiterbildungs-Masterstudiengänge (Master = 2. akademischer Grad, etwa dem Lizenziat entsprechend) ein breites Spektrum zur berufsbegleitenden Fachqualifikation an.
Die Hochschulstadt
Die Hochschule belebt und befruchtet die Stadt Winterthur selbstverständlich ausserordentlich. Die mittelalterliche Altstadt mit ihren geschlossenen Häuserzeilen, ihren breiten und schmalen Gassen, Hinterhöfen und Plätzen wirkt luftig und pulsiert: Verkaufsgeschäfte, Gaststätten, Kultur- und Vergnügungszentren. Wir assen im Restaurant „Akazie“ an der Stadthausstrasse 10 zu Mittag, in dem es wie in Marseille duftete – doch wurde hier nicht eine Boulliabaisse, sondern provençalische Fischsuppe serviert, die als Vorspeise auf dem Programm war und in jeder Bedeutung des Worts schmeckte. Das kleine Restaurant war gerammelt voll, die Verbindungswege fürs Personal schmal. Aber das Essen mundete wie gute Hausmacherkost, auch der Nüsslisalat mit den gekochten Getreidekörnen. Das Kalbsgeschnetzelte hätte etwas stärker angebraten sein müssen, dafür bestand meine Rösti fast nur aus Kruste – und so stimmte denn im Durchschnitt alles, was die Bratkünste anbelangt. Der Truttiker Pinot noir aus dem Holzfass hatte den angenehm bereichernden Holzton.
Am sonnigen Nachmittag machte ich einen ausgedehnten Stadtrundgang; der aber bei dieser Angebotsfülle nur rudimentär sein konnte. Das Buch „Schutzwürdige Bauten der Stadt Winterthur“ von der Denkmalpflege der Stadt Winterthur herausgegeben, das ich selbstverständlich bei „Winterthur Tourismus“ im Hauptbahnhof für 20 CHF gekauft habe, umfasst 427 Seiten. Auf den meisten Seiten sind 5 Gebäude klein abgebildet und kurz beschrieben. Man rechne! Darin ist auch nachzulesen, dass im 20. Jahrhundert in zunehmendem Tempo in der Winterthurer Altstadt traditionelle Gebäude abgebrochen worden seien: von 684 Gebäuden, die 1810 in der Altstadt vorhanden waren, sind noch 225 erhalten. Schon zwischen 1810 und 1900 waren total 116 Gebäude abgerissen und deren 21 ausgekernt worden. Nach 1950 kam es ganz schlimm. Damals glaubten viele Winterthurer nicht mehr an die Lebensfähigkeit der Altstadt, und die Abbruchhämmer hatten Hochkonjunktur. Noch in den 1970er-Jahren wurden beim Untertor historische Häuser mit Wandmalereien aus dem 16. Jahrhundert dem Erdboden gleichgemacht – dieses Winterthur muss ja ein Bijou gewesen sein. Der Stadtrat trat diesem Vandalismus dann mit dem Gesetz eines Fassadenschutzes in der Altstadt entgegen.
Zum Glück stellte sich Mitte der 1970er-Jahre die Gegenbewegung zur Erhaltung historischer Ortskerne und der malerischen Altstädte überhaupt – als Gegensatz zu den trostlosen Grossüberbauungen auf der grünen Wiese ‒ ein, die oft genug in Asphaltwüsten verwandelt wurde. Doch allein was noch an wertvoller Bausubstanz in Winterthur erhalten geblieben ist, füllt ein Buch und kann hier nicht vollständig erwähnt werden; dadurch würde die Geduld der Leserinnen und Leser, deren Durchhaltevermögen ohnehin meine volle Bewunderung hat, überstrapaziert.
Zwar gäbe es für solche Fälle das Haus „Zur Gedult“ (mit t) an der Marktgasse 22 und auch den dazu gehörenden Club zur Geduld. Das erwähnte geduldige Haus wurde 1690 und 1717 etappenweise erstellt und 1919 von Oskar Reinhart, dem berühmten Kunstsammler und Mäzen (1885‒1965), erworben. 1921/22 wurde es unter der Leitung der Architekten Rittmeyer & Furrer zu einem Clubhaus im englischen Stil umgebaut, wobei Teile des Interieurs aus dem späten 17. Jahrhundert erhalten geblieben sind. Das ist wirklich ein imposantes Gebäude. Die Mittelachse der Fassade wird durch eine reiche Portalarchitektur und einen darüber an die Fassade vorgebauten Erker akzentuiert.
Die Schicksale der Tore
Der Stadtgrundriss ist eine Mischung aus dem mittelalterlichen Parallel- und dem Kammstrassensystem (vergleichbar mit Liestal) mit einem unteren und einem oberen Tor. Wo das Obertor war, ist jetzt eine Orientierungstafel mit Zeichnung und Plan. Die Tafel war gerade hinter einem Abfallfass mit Plakat, das zur Erhaltung der Sauberkeit aufruft, teilweise verdeckt. Dieses Tor war 1340 erbaut und 1606 erneuert und mit den Wappen des Reichs, Zürichs und Winterthurs geschmückt worden, las ich hinter dem Gestänge. Dieses Tor verschwand 1864, und 1983 wurden die Fundamente durch Steinplatten markiert – alles, was noch auf den oberen Eingang hindeutet.
Die inneren Stadttore sind bis 1871 abgebrochen worden, weil sich die Geschäftsleute dadurch einen leichteren Zugang zu ihren Geschäften im Zentrum versprachen; der damalige Stadtpräsident Johann Jakob Sulzer und die Architekten Wilhelm Bareiss (Stadtarchitekt) und Ernst Jung hatten sich vergeblich für die Erhaltung der Tore eingesetzt.
Auf der entgegengesetzten, unteren Altstadtseite ist der Hauptbahnhof Winterthur, ein beachtenswerter Renaissancebau aus den Jahren 1894‒96; er sieht wie ein Familienangehöriger des Bundeshauses in Bern aus; da sind unverkennbar identische Gene vorhanden. Im Jahr 2000 wurde beim Bahnhof, einem der bedeutendsten der Schweiz übrigens, ein Stadttor- bzw. Arkaden-ähnliches rotes Gestänge aufgestellt. Damit hat die untere Stadt wieder eine Art Tor.
Trolleybusse und Ökologie
Vor dem Bahnhof ist eine Trolleybus-Station mit dem entsprechenden, straffen Netzwerk aus elektrischen Leitungen. Wenn Trolleybusse jeweils ersetzt werden müssen, entwickelt sich in Winterthur regelmässig eine Diskussion darüber, ob sie abgeschafft werden sollen. Und gerade am 24.01.2008 wurde bekannt, dass auf den Stadtlinien des Unternehmens „Stadtbus Winterthur“ auch in Zukunft Trolleys fahren werden – es wurden 21 neue Fahrzeuge bestellt; einzig die Breitelinie wird wie seit 1990 auch weiterhin mit Dieselbussen betrieben. Die Trolleybusse sind wie alle Elektrofahrzeuge umweltfreundlicher als Fahrzeuge, die mit Erdöl betrieben sind; sie sind ruhig und pusten kein CO2 aus. Schliesslich ist Winterthur der Gründungsort von www.myblueplanet.ch (2006). Die Bewegung hat sich zum Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoss zu verringern und dem Klimawandel entgegenzuwirken – lokal handeln, in der Hoffnung auf Ausstrahlung.
Drachen an den Türmen
Mitten in der Altstadt ist die dreischiffige reformierte Stadtkirche St. Laurentius mit den beiden Türmen, die zwischen 1501 und 1518 entstanden ist. Besonders beeindruckt haben mich die gewaltigen Drachen, die als Wasserspeier amten, der Hochdrucklage wegen aber gerade ihre freien Tage hatten, sonst aber vielleicht auch die Zeitung „Der Landbote“ befruchten, der unmittelbar bei der Kirche die Neuigkeiten zum Besten gibt.
Viele Bauten, auch in der Innenstadt, sind schlicht, elegant. Ein reiner Zweckbau, nüchtern, funktionell, der mich an einen gewaltigen Silo erinnert hat, ist der Hauptsitz der Winterthur Versicherungen an der General-Guisan-Strasse nahe beim verschwundenen Obertor: Hier stand ehemals die Villa „Zum Wehntal“. Der 1931 entstandene Versicherungsbau mit den eingelagerten Prämien setzt sich aus 2 Trakten zusammen, die durch einen achtgeschossigen Turm verbunden sind.
Wissenschaft, Industrie, Dienstleistungen und Kultur haben sich in Winterthur zu einem permanenten Stelldichein versammelt, wobei die einzelnen Komponenten je nach den Geboten der Zeit ihre Bedeutung variieren. Die Zahl der Museen ist stattlich. Neben den schon erwähnten finden sich hier das berühmte Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten und die Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“ (wo gerade Honoré Daumier geehrt wird), das Kunstmuseum (wo aus Anlass des 100. Geburtstags jetzt der in Winterthur geborene Max Bill gefeiert wird), die Kunsthalle, das Gewerbemuseum, das Museum Briner und Kern (Gemäldesammlung), das Münzkabinett, die Uhrensammlung Kellenberger, das Kerala Kindermuseum/Naturmuseum, die Fotostiftung Schweiz, die Villa Flora (Gemälde) usw. Auch das Theater- und Musikleben haben Gewicht (Theater Winterthur, Casinotheater, Orchester Musikkollegium Winterthur u a.). Winterthur ist also nicht einfach ein kultureller Aussenposten der nahen Stadt Zürich, sondern erfreut sich eines eigenständigen, erstaunlich reichen Kulturlebens.
Vor der Heimreise kaufte ich beim Holzofe-Beck an der Marktgasse noch ein Holzofenbrot und steckte es in meine Aktenmappe, die sich nicht mehr schliessen liess. Beim Bahnhof machte mich eine alte, gebrechliche Frau, die eine Gehhilfe umständlich vor sich herschob, freundlich darauf aufmerksam, dass meine Mappe offen sei. Ich bedankte mich für diesen Hinweis. Ich hatte damit einen weiteren Beweis für die liebenswürdige, hilfsbereite Art der Winterthurer erhalten.
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