Textatelier
BLOG vom: 17.04.2008

Bad Schinznach: Von Düse zu Düse, von Strudel zu Strudel

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Kälte, Nebel, Regen oder wenn möglich leichter Schneefall sind die besten Rahmenbedingungen für einen Besuch im Thermalbad „Aquarena“ in Bad Schinznach (zwischen Wildegg und Brugg im Aargau). Das Baden im 35 °C warmen Wasser im Freien wird dann zu einem Vergnügen mit Sauna-Anklang. Wenn der Kopf eiskalt ist, taucht man ihn schnell unters Wasser und spürt die wohlige Wärme, die den gesamten Körper durchdringt.
 
Mit etwas Geschick im Zurechtbiegen könnte man die Ursache für dieses Vergnügen auf das Jahr 1651 zurückführen, an dem es wochenlang geregnet hatte, was zu Überschwemmungen führte, obschon die Aare damals noch frei mäandrieren konnte. Auf dem Hof „Gottines-Husum“ (Häuser der Göttin) kam eine nach faulen Eiern riechende, warm sprudelnde Quelle am juraseitigen Ufer auf einer Kiesbank zum Vorschein; der Flusslauf war verlegt worden. Ihr Ursprung liegt in 370 m Tiefe, in der obersten Schicht des Muschelkalks.
 
Die 45 °C warme Quelle dient seit 1998 auch als Wärmelieferantin für das Heilbad. Die Heilwasserzuflussmenge beträgt 500 Minutenliter. Laut dem Geologen Adolf Hartmann sinkt Wasser westlich von Schinznach und bis gegen die Staffelegg (Juraübergang zwischen Aarau und Frick) in den freiliegenden Muschelkalk, der sehr zerklüftet, also von Hohlräumen durchsetzt ist. Das Wasser sickert in die Tiefe. Über dem Muschelkalk liegt der Gips führende Keuper (oberste Abteilung des Trias), darunter die steinsalz- und gipshaltige Anhydrit- und Salztonschicht. Beide Schichten sind zwar wasserdicht, geben aber immerhin an der Berührungsfläche Gips (Kalziumsulfat), Salz und Kalk ab. Die Gesteine sind nach Osten abgeschrägt. In der tiefen Klus von Schinznach-Bad ist der Muschelkalk wieder angeschnitten, und dort entspringt aus ihm die heilsame Quelle, ein Glücksfall. Im Volksmund hiess es früher, als es noch richtige Winter gab, der Schnee bleibe in der Gegend zwischen Holderbank, Veltheim, Schinznach-Dorf und Schinznach-Bad weniger lang liegen als in der Nachbarschaft; denn dieses Gebiet befinde sich unmittelbar über der Hölle. Das würde bedeuten, dass es in der Hölle wohlig warm und richtiggehend gesund sein muss. Warten wir ab.
 
Laut dem „Magazin für Erholungssuchende“, herausgegeben von der Bad Schinznach AG in CH-5116 Schinznach-Bad, ritten sogar der Landvogt der Burg Schenkenberg und der Hofmeister von Königsfelden herbei, um das sprudelnde Naturwunder zu bestaunen. 1658 wurde im Schwefelwasserstoffdampf das erste Badehäuschen eröffnet. Und nachdem Samuel Nötiger von Bern, Verwalter der Burg Schenkenberg (heute eine Ruine), auch bares Geld gerochen hatte, sicherte er sich das Patent und baute die Anlage aus. Doch hatte er die Rechnung ohne die Naturgewalten gemacht: Ein neuerliches Hochwasser spülte die aufkeimende Geldquelle aareabwärts, dem Rhein entgegen.
 
21 Jahre später entdeckte der Zürcher „Badgraber“ Lienhard Bindschedler die Quelle wieder, und er legte sie frei. Viele Kranke strömten zum so genannten „Hapsburger Bad“ herbei, um in diesem Wasser Heilung zu suchen und wohl auch zu finden. Als Übernachtungsmöglichkeit diente ein Militärzelt, das der Oberst Samuel von Muralt vom Landvogt auf der Lenzburg auslieh und herbeischleppen liess. Laut der erwähnten Broschüre wurde der Grundstein zum heutigen „Schinznachter Baad“ 1696 mit dem Bau eines dreistöckigen Gasthauses, einem Kurpark und einem Wirtschaftsgebäude mit Bäckerei, Rasierstube, Kramladen und Aufenthaltsraum gelegt, und 1738 kam noch ein Krankenhaus für Arme hinzu.
 
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich ein farbenfroher Kurbetrieb, bei dem auch gastronomische Genüsse an der „Table d’hôte“ nicht fehlen durften. Die besten Geister der Alten Eidgenossenschaft trafen sich hier, und doch blieb das Bad sehr volkstümlich. „Die Gesellschaft ist sehr gut“, schrieb 1733 ein Neuenburger Arzt, „gut angezogene Leute so weit es der ort zulässt. Man kann hier nämlich keinen Schmuck tragen, da das Gold sogar im Geldbeutel schwarz wird.“ Wahrscheinlich färbten Münzen aus weniger edlen Metallen das Gold.
 
Internationale Berühmtheit erlangte das Bad damals als Tagungsort der Helvetischen und Schinznacher Gesellschaft. Diese gesamtschweizerische Vereinigung von Gleichgesinnten für Bemühungen zum Besten des Vaterlands wurde 1762 in Schinznach offiziell gegründet, wo sie sich in der Folge jedes Jahr im Mai 4 Tage lang versammelte; auch erschienen ausländische Gäste, so dass die Versammlung 1780 aus Kapazitätsgründen nach Olten verlegt werden musste.
 
Wofür das Baden gut ist
Der grosse Andrang von Heilungssuchenden und Badefreudigen erforderte einen ständigen Ausbau, vor allem weil dem Heilbad eine „hohe medizinische Qualität“ zugestanden wurde. Das Kalzium-Natrium-Sulfat-Chloridwasser wirkt angenehm auf den gesamten Organismus und lindert Erkrankungen des Bewegungsapparates, der Luftwege und der Haut (Akne und ihre Abarten, seborrhoische Ekzeme, übermässige Verhornung, Hautverhärtungen) sowie bei peripheren Zirkulationsstörungen. Heute kommen pro Jahr etwa 400 000 Besucher nach Schinznach ins Bad.
 
Am Montag, 07.04.2008, habe ich die Wirkungen auf mich während eines anderthalbstündigen Bades wieder einmal getestet, selbstverständlich im Aussenbassin. Die Luft war etwa 4 °C kalt. Die Sonne schaute gegen Mittag gelegentlich zwischen Wolken hervor, und im Norden, im Bereich des Juras, baute sich eine schwarze Wand auf, kurz: es war höchst angenehm. Sanfte Dampfschwaden entwichen dem Wasser. Im Garten neben dem altehrwürdigen, klassizistischen Rundbau des Zürcher Architekten Hans Conrad Stadler aus den Jahren 1824‒1827 blühten die Märzensterne in ihrem leuchtenden Gelb.
 
Das Gift als Heilmittel
Im 1991 eröffneten Erlebnis-Thermalbad Aquarena schwamm ich im 50 m langen Flussbad gegen die Strömung an, genoss die kräftigen Strudel und bewegte mich von Düse zu Düse. Neben der Grotte ist ein reich dosierter Wasserfall, von wo die Flüssigkeit richtiggehend auf einen einhämmert, ja fast zu erschlagen scheint. Man spürt das Gewicht des herabfallenden Wassers.
 
In der künstlich angelegten Schwefelgrotte atmete ich den Geruch nach faulen Eiern (Schwefelwasserstoff, Wasserstoffsulfid, H2S, früher: Hydrothionsäure) tief ein, obschon dieses Gas in grösseren Mengen giftig ist, weil dann der rote Blutfarbstoff zerstört und dadurch die interzelluläre Atmung gestört wird. Selbst Silberbesteck wird bei H2S-Einwirkung schwarz (Bildung von Silbersulfd). Das gleiche Gas, das in der Natur bei Fäulnisprozessen entsteht und in Vulkangasen enthalten ist, wird in schwacher, aber mit der Nase noch gut wahrnehmbarer Dosierung (Geruchsschwelle: 0,15 mg/m3) zum Heilfaktor.
 
Der Gips wird durch spezielle Bakterien bei 30 bis 35 °C zu Schwefelwasserstoff abgebaut. Vor allem trägt dieser zur Heilung von Hautkrankheiten bei – selbst ein Teil der Heilwirkung von Knoblauch geht darauf zurück. Zudem wirken Sulfidwässer keim- und pilztötend.
 
Ich genoss die gesamte Angebotspalette in vollen Zügen und legte mich dann auf ein Rundeisengestänge knapp unter der Wasseroberfläche, das die Form eines Liegestuhls hat. Dann schwamm ich unter dem längsgeteilten Kunststoffvorhang ins Gebäudeinnere zurück, stieg über die Treppe aus dem Wasser – fühlte mich bei jedem Schritt schwerer und schwerer, bis ich es auf meine 90 kg gebracht hatte. Ich weiss nun, weshalb es heisst, jemand fühle sich so wohl wie ein Fisch im Wasser; das bezieht sich auch auf tonnenschwere Walfische.
 
Ich duschte mich noch einmal und begab mich ins Aquarena-Restaurant, wo ich mich von einem Buffet mit viel frischen Salaten (u. a. ein herrlicher Kartoffelsalat), Pasteten und Frikadellen hemmungslos bediente (100 g kosten 2.40 CHF) – ich brachte es auf 500 g und trank ein Cardinal-Bier dazu. Gewisse Schlemmereien gehörten schon immer zum Badebetrieb.
 
Daheim angekommen, spürte ich eine wohlige Müdigkeit, eine Entspannung. Ich hatte das Gefühl, das Bad habe mir wirklich gut getan, auch am folgenden Tag war dieser Eindruck noch da.
 
Eintrittspreise und weitere Informationen
Eintrittspreis für Erwachsene, 1½ Std. Aufenthalt: 18 CHF (Kinder: 12 CHF)
Eintrittspreis für Erwachsene, 2 Std. Aufenthalt: 20 CHF (Kinder: 13,50 CHF)
Eintrittspreis für Rentner, 1½ Std. 16 CHF (MON‒FRE bis 16 Uhr).
Internet: www.aquarena.ch
„Zur Geschichte von Bad Schinznach“ lautet der Titel einer 1991 erschienenen Broschüre von Heinz Balmer, die in der Informationsstelle von Bad Schinznach für 5 CHF gekauft werden kann. Darin ist die Entwicklung des Heilbads ausführlich beschrieben.
 
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